Direkt zum Inhalt

Springers Einwürfe: Wie Fliegen sich verlieben

Nicht nur der Mensch passt sein Schönheitsideal der herrschenden Mode an. Sogar Insekten richten sich bei der Partnerwahl nach der Vorliebe der Artgenossen.
Fliegen beim Sex

Wen oder was wir schön finden, erscheint auf den ersten Blick als Ansichtssache; über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Dennoch sind ästhetische Urteile keine bloße Privatangelegenheit. Schönheitsideale unterliegen historischem Wandel. Offenbar fanden Niederländer um 1600 die von Peter Paul Rubens gemalten fülligen Damen besonders attraktiv und hätten moderne Mannequins gewiss als Hungerhaken bemitleidet. In ähnlicher Weise musste mit der Zeit auch das Männlichkeitsideal zwischen Herkules und George Clooney so manchen Wandel erfahren.

Im Tierreich kann es allerdings, sollte man meinen, keine variable Anziehung geben, denn da herrscht doch bloß die sexuelle Selektion: Attraktiv findet das Weibchen einfach zwangsläufig denjenigen Partner, der durch strotzendes Äußeres oder lebhaftes Balzverhalten großen Fortpflanzungserfolg verspricht. Höchstens gestehen Ethologen inzwischen manchen höheren Tieren ausnahmsweise ein bisschen kulturell überlieferten Werkzeuggebrauch zu – aber ein sozial erlerntes Liebesleben vermutet man im Tierreich zunächst sicher nicht.

Umso erstaunlicher mutet die Entdeckung an, dass ausgerechnet die unscheinbare Taufliege Drosophila eine auf Nachahmung beruhende und kulturell vererbte Kultur der Partnerwahl pflegt. Das hat ein Team um den Evolutionsforscher Etienne Danchin von der Université de Toulouse mit Hilfe einer Art Drosophila-Peepshow nachgewiesen (Science 362, S. 1025–1030, 2018).

Die Biologen platzierten ein Taufliegenweibchen in der Mitte einer sechseckigen Glaskammer mit Blick auf sechs Abteilungen, in denen entweder kopulierende Fliegenpärchen oder einsame Männchen zu sehen waren. Dabei waren die männlichen Insekten jeweils mit farbigem Puder unterschiedlich gefärbt worden. Anschließend führten die Wissenschaftler dem zentralen Weibchen ein weiteres gefärbtes Männchen zu und beobachteten das Paarungsverhalten in Abhängigkeit von der Farbe. Bei wiederholten Versuchen bevorzugte das Drosophila-Weibchen eindeutig Partner, die farblich mit den zuvor in der Peepshow beim Kopulieren beobachteten Insekten übereinstimmten.

Das bedeutet im Klartext: Taufliegen ahmen das Verhalten von Artgenossen nach, praktizieren soziales Lernen, reagieren auf Konformitätsdruck. Ja, die kleinen Insekten agieren sogar hyperkonform. Selbst wenn ein Weibchen nur, sagen wir, drei rosa und zwei grüne Männchen beim Paaren beobachtet hat, gibt es danach eindeutig einem rosafarbigen Anwärter den Vorzug.

In einer weiteren Versuchsreihe bewies Danchins Team, dass das sozial erlernte Paarungsverhalten über mehrere Generationen hinweg kulturell übertragen wird. Zu dem Zweck setzten die Forscher nun zwölf Drosophila-Jungfrauen in die Mitte und präsentierten ihnen sechs kopulierende Männchen, alle mit ein und derselben Farbe. Danach ließen sie sechs dieser Peepshow-Besucherinnen vor zwölf weiteren jungfräulichen Zuschauerinnen mit bunten Männchen ihrer Wahl kopulieren. Sie konnten diesen Quasigenerationswechsel achtmal wiederholen, erst dann dominierte die ursprünglich bevorzugte Farbe nicht mehr.

Die Vermutung liegt nahe, dass ähnlich raffinierte Versuchsanordnungen bei weiteren Tierarten merkliche Spuren von sozialer Nachahmung und regelrechtem Gruppenzwang bei der Partnerwahl offenlegen würden. Auch wenn auf Dauer der Selektionsdruck das letzte Wort behalten muss, bleibt doch oft Raum für von der Evolution kaum geprägte Spielarten von Verhalten und Aussehen. In diesem Sinn wirkt sich so etwas wie Kultur und Geschmack sogar im Tierreich aus.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.