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Lobes Digitalfabrik: Narrenfreiheit im Netz

Twitter geht schärfer gegen Verschwörungstheorien und Falschnachrichten vor. Zum Beispiel die des brasilianischen Präsidenten. Dann fehlt jetzt nur noch ein berühmter Twitterer.
Manche Tweets entwickeln Sprengkraft

Vor wenigen Tagen hat der Kurznachrichtendienst Twitter angekündigt, Falschinformationen und Verschwörungstheorien zu kennzeichnen. Irreführende Informationen oder unverifizierte Behauptungen sollen künftig mit einem Warnhinweis versehen werden.

Im Netz kursieren jede Menge Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit Covid-19: zum Beispiel die abstruse Behauptung, Bill und Melinda Gates hätten das Virus kreiert, um die Welt zu regieren. Oder das Gerücht, der Ausbau von 5G schwäche das Immunsystem der Menschen und mache sie anfälliger für Covid-19. Der Journalist und Sciencefiction-Autor Cory Doctorow sprach jüngst auf der Digitalkonferenz re:publica von einer »epistemischen Pandemie«, einer Krise der Wahrheit, die das Vertrauen in Institutionen erschüttere und die Seuchenbekämpfung erschwere. Twitter will daher im Kampf gegen Fake News einen Beitrag leisten und Inhalte besser moderieren. »Unser Ziel ist es, die Auffindung glaubwürdiger Informationen auf Twitter zu erleichtern und die Ausbreitung potenziell schädlicher und irreführender Inhalte einzudämmen«, teilte der Konzern auf seinem Blog mit.

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Diese Ansage geht auch an die Adresse von US-Präsident Donald Trump, der von seinem Twitter-Account wiederholt Fakes und Verschwörungstheorien verbreitet hat. So hat Trump ein digital manipuliertes Bild getwittert, das Joe Biden, seinen wahrscheinlichen Herausforderer bei der Präsidentschaftswahl, mit herausgestreckter Zunge zeigt. Forscher warnen, dass solche »Deep Fakes« die Demokratie gefährden. Zwar hat Twitter wiederholt klargestellt, dass seine Standards auch für »world leaders«, also für Staatenlenker und damit auch für Trump gelten. Trotzdem hat sich der Kurznachrichtendienst im Umgang mit seinem Edelnutzer – dem Account @realDonaldTrump folgen mittlerweile fast 80 Millionen User – erstaunlich handzahm gezeigt. Die Moderatoren haben sich bislang noch nicht getraut, Trumps Inhalte zu zensieren.

Anders beim brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro: Dessen Tweet über die angebliche Wirksamkeit des Malariamittels Hydroxychloroquin bei der Behandlung von Covid-19 wurde gelöscht. Ebenso die Tweets von Trumps Anwalt Rudy Giuliani, dem ehemaligen Bürgermeister von New York, der das Präparat ebenfalls zur Corona-Therapie empfahl. Zuvor hatte es bereits den venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro getroffen, der auf Twitter von einem »natürlichen Gebräu« gegen das Virus schwadronierte.

Dass Twitter aktiv gegen Fake News vorgeht, ist ehrenwert. Dass der Kurznachrichtendienst bei der Bewertung von Politikerinhalten aber mit zweierlei Maß misst, verursacht ein Glaubwürdigkeitsproblem. Denn wenn man die gleichen Regeln anwendet, müsste man auch Trumps Tweets löschen. Doch damit tut sich Twitter offenbar schwer.

Konkurrent Facebook hat dagegen eine lockerere Haltung. So kündigte der Konzern im vergangenen Jahr an, dass Politiker gegen die Community-Standards verstoßen dürften. Nick Clegg, ehemaliger britischer Vizepremierminister und mittlerweile Cheflobbyist von Facebook, sagte in einer Rede: »Wir glauben nicht, dass es eine angemessene Rolle für uns ist, Schiedsrichter in politischen Debatten zu sein und zu verhindern, dass die Rede eines Politikers ihr Publikum erreicht und Gegenstand öffentlicher Debatte und Prüfung ist. Deshalb befreit Facebook Politiker von externen Faktencheck-Programmen.« Will heißen: Politiker können auf Facebook sagen, was sie wollen – und lügen, wie sie wollen. Sie brauchen keine Angst zu haben, dass ihre wahrheitswidrigen Posts gelöscht werden.

Diese Haltung ist nicht unproblematisch, weil dabei eine Zwei-Klassen-Gesellschaft entsteht, in der Politiker von der Wahrheitspflicht entbunden sind. Doch insofern, als alle Politiker gleichbehandelt werden, entstehen keine Wertungswidersprüche. Bei Twitter dagegen gewinnt man den Eindruck, Trump genieße einen Sonderstatus. Hat das vielleicht damit zu tun, dass Twitter ein amerikanischer Konzern ist?

Intern wie auch in der Öffentlichkeit wächst der Druck, die Gangart gegenüber dem US- Präsidenten zu verschärfen. Twitter-Angestellte forderten bereits vor einigen Jahren, Trumps Account zu löschen (ein Mitarbeiter setzte die Forderung in die Tat um und deaktivierte an seinem letzten Arbeitstag kurzerhand das Twitter-Konto des Präsidenten). Auch die Demokratin und mögliche US-Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris rief dazu auf, Trump von Twitter zu verbannen. Zwar ist Twitter ein privatwirtschaftliches Unternehmen, das frei entscheiden kann, wer auf seiner Plattform Rederecht hat. Doch auf Twitter gelten ebenso Recht und Gesetz. So hat ein US-Gericht entschieden, dass Trump gegen die Verfassung verstößt, wenn er auf Twitter Nutzer blockiert, die sich über ihn lustig machen oder ihn kritisieren. Einfach Leute abschalten, das geht auch im Netz nicht.

Trotzdem ist der Umgang mit dem US-Präsidenten für Twitter eine delikate Angelegenheit. Löscht das Unternehmen Trumps privaten Account (er hat dazu noch den offiziellen Account @potus), macht es ausgerechnet einen Verächter der Pressefreiheit zum Märtyrer der Meinungsfreiheit und bestärkt seine Anhänger in dem Glauben, man würde von linkslastigen Plattformkonzernen mundtot gemacht. Lässt man die Sache unkommentiert so laufen, diskreditiert man die eigenen Diskursstandards. Twitter steht vor einem Dilemma.

Die neuen Labels für irreführende Behauptungen könnten Verschwörungstheorien im schlimmsten Fall sogar mit dem Stempel der gedanklichen Schmuggelware beglaubigen und Neugierde bei Nutzern wecken. Nach dem Motto: Verschlusssache, der Inhalt ist brisant! Den Gefallen wird Twitter den Trump-Followern sicher nicht tun. Dass Trumps Tweets also bald mit einem Warnhinweis versehen werden, ist eher unwahrscheinlich.

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