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Naturkatastrophen: Jetzt ist die Zeit zum Politisieren

Fluten in Deutschland, Hitzewellen in Spanien und Nordamerika, Amazonien in Flammen. Die Menschheit untergräbt ihre Lebensgrundlagen. Das geht alle Parteien an, kommentiert Daniel Lingenhöhl.
Ein Boot der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) ist bei Hochwasser in Kornelimünster

Jetzt schlägt wieder die Stunde der Mahner wie der Relativierer: Während die einen jedes Extremwetterereignis dem Klimawandel zuschreiben, fordern die anderen, dass man dies nun nicht politisieren und einzelne Wetterlagen nicht mit der generellen Erderwärmung vermischen dürfe. Es herrscht Wahlkampf im Land, und medial werden Meteorologen schon ermahnt, doch bitte keine Partei zu ergreifen. Das ist jedoch genau die falsche Reaktion. Tatsächlich müssen wir mehr diskutieren denn je.

Denn der Klimawandel ist nur ein Aspekt von mehreren. Während Extremwetterereignisse wie jene stundenlangen Starkniederschläge in der Eifel und im Bergischen Land ein zwar seltener, aber doch normaler Teil unseres mitteleuropäischen Wetters sind, sind verheerende Überflutungen mit dutzenden Toten keineswegs schicksalhaft. Auf Naturkatastrophen kann man sich vorbereiten. Und Meteorologen hatten seit Tagen gewarnt, dass es zu massiven Niederschlägen mit katastrophalen Folgen kommen wird – sogar das exakte Gebiet konnten sie mit ausreichender Vorlaufzeit recht exakt eingrenzen. Man muss fragen, warum vielerorts Menschen offensichtlich recht unvorbereitet ihrem Schicksal überlassen wurden.

Viele Systeme und Mechanismen, die in Notlagen Menschen schützen, Kommunikation ermöglichen und die Ordnung aufrechterhalten sollen, sind seit dem Ende des Kalten Kriegs abgebaut oder reduziert worden: Die älteren Menschen noch bekannten Sirenen wurden in nicht wenigen Städten und Dörfern abgeschaltet und abgebaut. Ihr Heulen mag altmodisch erscheinen, machte aber eben viele aufmerksam. Gleichzeitig haben neue Technologien es schwerer gemacht, alle Menschen zu erreichen – der WDR verwies etwa auf seine Warnmeldungen im Internet. Doch erreichen diese wirklich viele Senioren, Menschen mit Migrationshintergrund oder Eltern, die früh ins Bett gehen? Und nicht zuletzt sind rein digitale Technologien außer Gefecht, sobald der Strom in einer Region ausfällt.

Und das ist »nur« der Blick auf Deutschland und einzelne Regionen. Corona lehrte, dass viele eigentlich wohlhabende und gut organisierte Staaten mit der Pandemie überfordert waren. Die Lehren der Pandemie aus den letzten anderthalb Jahren müssen eine Stärkung des allgemeinen Katastrophenschutzes sein – unabhängig davon, ob man Hitzewellen und Starkniederschläge nun dem Klimawandel zuschreibt oder nicht.

Totschweigen beseitigt den Klimawandel nicht

Und wir müssen dringend wieder und wieder über den Klimawandel reden. Das ist das klare Ergebnis der Attributionsforschung, die die Frage zu beantworten versucht, ob einzelne Ereignisse heute durch den Klimawandel wahrscheinlicher wurden. Sie kommt vielfach zum Schluss, dass die Erderwärmung schon heute extreme Wetterkapriolen häufiger werden lässt.

Eine Hitzewelle wie Ende Juli 2019 in Frankreich sollte ohne Klimawandel nur alle 100 Jahre auftreten, unter heutigen Bedingungen können wir sie bereits alle zehn Jahre erwarten. Die Rekordhitzewelle im Nordwesten der USA und im Westen Kanadas im Juli 2021 wurde durch die Aufheizung der Erde 150-mal wahrscheinlicher verglichen mit den Bedingungen vor der Industrialisierung. Die sibirische Dauerhitze 2020: ohne die Erderwärmung nahezu ausgeschlossen. Die brutalen Bedingungen, die 2019/20 zum »schwarzen Sommer« mit riesigen Buschbränden in Australien führten: Die Wahrscheinlichkeit dafür nahm allein durch den Klimawandel seit 1900 um ein Drittel zu. Und so weiter und so fort.

All diese Ereignisse tangieren den Katastrophenschutz. Und auch bei den aktuellen Wasserschäden in der Eifel und im Bergischen Land ist ein Zusammenhang mindestens plausibel. Selbst wenn die außergewöhnlichen Fluten von Hagen, Wuppertal und Ahrweiler nicht direkt auf den Klimawandel zurückzuführen sein sollten: Wärmere Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen und damit ergiebigere Regenfälle auslösen, wenn die Bedingungen stimmen. Und die durchschnittlichen Temperaturen haben sich erwiesenermaßen in den vergangenen Jahrzehnten erhöht. Seit Beginn moderner Wetteraufzeichnungen ist die mittlere Temperatur hier zu Lande um 1,5 Grad Celsius gestiegen. Das Potenzial für Starkregenereignisse ist also gewachsen.

Wir nähern uns Kipppunkten – oder haben sie erreicht

Und das ist erst der Anfang: Es mehren sich die Zeichen, dass sich verschiedene für das Weltklima wichtige Regionen ihren Kipppunkten nähern oder sie vielleicht sogar schon erreicht haben. Teile Amazoniens etwa setzen mittlerweile mehr Kohlendioxid frei, als sie aufnehmen: Statt durch Regenwälder eine Senke wird die Region nun durch Abholzung und Brandrodung zu einer Quelle für weitere Treibhausgase. Ganz im Norden gibt es deutliche Warnsignale, dass das grönländische Eis schon bald nicht umkehrbar schrumpfen wird – mit den entsprechend Folgen für den Golfstrom, der sich durch den Süßwassereintrag abschwächen könnte, und unsere Küsten, da der Meeresspiegel steigt.

Die Kyll ist in Erdorf über die Ufer getreten und hat Teile des Dorfes geflutet. | Die Zahl der Toten in Deutschland steigt noch, die Schäden gehen in Milliardenhöhe. Wir müssen uns zukünftig wohl öfter auf derartige Katastrophen gefasst machen und dringend auch in den Katastrophenschutz investieren.

Die Folgen sind deutlich spürbar. Die Abholzung am Amazonas bedroht die Ernten in den landwirtschaftlichen Gunstzonen Südamerikas und sogar die Ernten auf Sojafeldern, für die der Wald bereits fiel. Zerbröckelnde Riffe und zerstörte Mangroven erhöhen die Gefahr für tödliche Sturmfluten und verringern die Erträge der Fischer. Das Vordringen in immer neue Wildnisgebiete erhöht das Risiko für Zoonosen – Krankheiten, die von Wildtieren auf Menschen überspringen. Corona hat schmerzlich gezeigt, dass vermeintlich weit entfernt scheinende Probleme schnell ihren Weg zu uns finden. Das gilt ebenso für andere Umwelt- und Klimafolgen. Unsere Welt ist klein geworden.

Handeln: Wann, wenn nicht jetzt?

Deshalb ist genau jetzt der Moment gekommen, um zu politisieren. In wenigen Monaten ist Bundestagswahl, und die Bevölkerung hat das Recht, zu erfahren, wie die Politik zwei der größten Krisen der Menschheit national wie international konkret angehen möchte – das Artensterben und den Klimawandel. Wie positioniert man sich zu einem Handelsabkommen, das in Südamerika die Abholzung antreiben könnte? Was ist man gewillt zu tun, um das Artensterben zu stoppen? Welche Maßnahmen ergreift man, um den Klimawandel einzudämmen?

Aber auch: Was leitet die Politik aus den aktuellen Katastrophen über den zukünftigen Katastrophenschutz ab? Wie können wir besser auf die Katastrophen der Zukunft reagieren und uns an die unvermeidlichen Änderungen anpassen? Die nächste Pandemie kommt bestimmt, der nächste Starkregen trifft auch wieder Regionen Deutschlands ebenso wie die nächste Hitzewelle oder der nächste Hackerangriff auf Stromnetze oder Krankenhäuser. Die Wissenschaft hat die Daten und Prognosen geliefert. Die Politik ist nun am Zug. Denn keiner kann mehr wie oft bei der Coronakrise sagen: Das habe man ja nicht ahnen können.

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