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PIAAC-Studie: Neue Hausaufgaben für die Bildungspolitik

Die Deutschen sind nur Mittelmaß. Das ist das Ergebnis einer OECD-Studie zur Lese-, Rechen- und Problemlösekompetenz von Erwachsenen. Einmal mehr zeigt sich, dass in kaum einem anderen Land die Bildungs- und Lebenschancen so stark von der sozialen Herkunft abhängen wie hier zu Lande. Und noch eine weitere Erkenntnis hält die PIAAC-Studie bereit: In Sachen "lebenslanges Lernen" liegt Deutschland weit hinter anderen Ländern zurück.
Marc Scheloske

Welche Informationen liefert der Beipackzettel eines Medikaments? Welche Ersparnis bieten die Sonderangebote im Supermarkt? Und wie filtere ich in einer Onlinestellenbörse die relevanten Jobangebote heraus? Solche ganz alltäglichen Fragen standen im Fokus der jetzt veröffentlichen PIAAC-Studie der OECD (ausführliche Darstellung der Ergebnisse finden Sie im aktuellen Stichwort). Die Forscher wollten wissen, wie gut sich Erwachsene bei der Lösung solcher Aufgaben schlagen. Gefragt waren also Textverständnis und mathematisches Basiswissen sowie der vernünftige Umgang mit dem Computer. Nichts anderes also als die wirklich grundlegenden Fertigkeiten, die einen Erwachsenen dazu befähigen, in unserer Welt zurechtzukommen.

Mit 166 000 Teilnehmern in 24 Industriestaaten ist die PIAAC-Studie (Programme for the International Assessment of Adult Competencies) der erste internationale Vergleich solcher Schlüsselkompetenzen. Und das deutsche Abschneiden ist – ähnlich wie bei den bekannten PISA-Studien – wenig schmeichelhaft. Beim Lesen landet Deutschland auf einem ziemlich bescheidenen 15. Platz. Bei der mathematischen Alltagskompetenz reicht es zu Platz 12. Und in Sachen computergestützter Problemlösung findet sich Deutschland immerhin auf dem 8. Rang wieder (allerdings wurden hier nur 20 Länder in den Vergleich einbezogen).

Der Blick auf diese Gesamttabelle ist dabei nur begrenzt aufschlussreich. Die Unterschiede in den Durchschnittswerten der allermeisten Länder sind recht gering. Lediglich Japan, das mit herausragenden Werten auf dem Spitzenplatz rangiert, und die beiden Schlusslichter Italien und Spanien fallen aus dem Rahmen. Wirklich interessant sind die Detailergebnisse in den einzelnen Kompetenzfeldern: Wenn es um das Verstehen, Nutzen und Interpretieren von geschriebenen Texten geht, so liegt Deutschland mit 270 Kompetenzpunkten etwas unter dem OECD-Durchschnitt von 273 Punkten (die Spitze bildet Japan mit 296 Punkte). Das formale Bildungsniveau ist dabei in allen Ländern der ausschlaggebende Faktor: So erreichen Personen mit Hauptschulabschluss in Deutschland rund 75 Kompetenzpunkte weniger als Akademiker. Allerdings schneiden – das ist dann doch überraschend – auch deutsche Hochgebildete etwas schlechter als der entsprechende OECD-Durchschnitt ab. Und am unteren Ende der Skala ist die Situation noch trauriger: 18 Prozent der deutschen Testpersonen erreichen gerade die niedrigste Kompetenzstufe I. Das entspricht lediglich dem Niveau von Grundschulkindern: Mehr als das sinnentnehmende Lesen kurzer, einfacher Texte ist nicht drin.

Etwas erfreulicher fällt die Bestandsaufnahme im mathematischen Bereich aus. Die Gruppe der leistungsstärksten Deutschen erzielt hier deutlich bessere Werte als der OECD-Durchschnitt. Im Gesamtergebnis schlagen somit ordentliche 272 Punkte (OECD-Schnitt: 269 Punkte) zu Buche. Ganz vorne liegen erneut Japan (288 Punkte) und Finnland (282 Punkte). Aber auch beim Rechnen scheitert fast jeder fünfte Deutsche an der Lösung von Aufgaben, die mehr erfordern als Abzählen oder einfache Formen von Addition und Subtraktion. Und auch der Blick auf die Kompetenzentwicklung über die Altersstufen hinweg ist wenig erfreulich; bis etwa Mitte 30 bleiben die Mathekenntnisse halbwegs stabil. Bei den 40- bis 65-Jährigen sinkt das Niveau jedoch deutlich ab. Dass es auch anders geht, zeigen die skandinavischen Länder. In Dänemark, Schweden oder Norwegen steigt das Mathe-Knowhow nach der Schulzeit noch weiter an und erreicht etwa in Dänemark bei den 40-Jährigen erst seinen Höhepunkt.

Bei der Nutzung des Computers zur Informationssuche und -bearbeitung schneiden 36 Prozent der deutschen Studienteilnehmer gut ab. Dieser Wert liegt zwar deutlich hinter denjenigen von Schweden (44 Prozent), Finnland und den Niederlanden (beide 42 Prozent), aber doch wenigstens über dem OECD-Durchschnitt von 34 Prozent. Das ist immerhin ein tröstlicher Befund.

Insgesamt macht die PIAAC-Studie aber deutlich, dass das deutsche Bildungssystem weiterhin erhebliche Defizite aufweist. Und das betrifft ausdrücklich auch die nachschulische Phase der Berufsausbildung und der späteren Weiterqualifikationen. Hier demonstrieren andere Länder, dass ebenso im Erwachsenenalter ein Kompetenzaufbau beziehungsweise wenigstens eine Konservierung von erlerntem Wissen möglich ist. Das ist eine der Hauptaufgaben, die sich die Bildungspolitik dick in ihr Hausaufgabenheft schreiben sollte.

Die skandinavischen Länder oder Australien machen vor, wie es geht. Für Anke Grotlüschen, die an der Universität Hamburg Professorin für "Lebenslanges Lernen" ist, ist dieses Ergebnis keine Überraschung: "Die Kompetenzspitzen bei den jungen Erwachsenen kommen daher, dass sie frisch aus dem Bereich der organisierten Bildung kommen. Im zunehmenden Alter sehen wir dann einen Kompetenzverlust. PIAAC zeigt, dass hier Programme zur Erwachsenenbildung – wie etwa in Australien – effizient gegensteuern können."

Und noch eine andere Lehre hält PIAAC bereit: In kaum einem anderen Industriestaat ist die Chancenungleichheit im Bildungssystem so groß wie in Deutschland. Was die Bildungsungleichheit angeht, so befindet sich Deutschland zusammen mit Polen, Frankreich und den USA auf den letzten Plätzen. Und so darf man getrost die Prognose wagen, dass Deutschland auch im nächsten PIAAC-Test – der in zehn Jahren geplant ist – kaum besser abschneiden wird, wenn es nicht endlich gelingt, den unheilvollen Zusammenhang zwischen Schulerfolg und sozialer Herkunft aufzubrechen.

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