Direkt zum Inhalt

Die fabelhafte Welt der Mathematik: Sir Isaac Newton fand Pi im pascalschen Dreieck

Eine Gravitationstheorie, die Differenzialrechnung und eine Theorie des Lichts – all das entwickelte Newton in nur einem Jahr. Was weniger bekannt ist: Er fand damals auch die bis dahin schnellste Methode, um Pi zu berechnen.
Muster aus Pi-Zeichen
Manchmal fällt es schwer, nicht auf die Kreiszahl zu stoßen.

Es tut mir fast schon leid, dass ich es schon wieder sagen muss. Aber Pi scheint sich wirklich überall zu verstecken. Wer diese Kolumne verfolgt, hat den vorangegangenen Satz wahrscheinlich schon häufiger gelesen. Aber es ist immer wieder erstaunlich, wo die Kreiszahl anzutreffen ist: Wir haben Pi schon in der Mandelbrotmenge entdeckt, in einem Haufen Streichhölzer, zwischen zwei Unendlichkeiten – und nun begegnen wir Pi in einem meiner liebsten mathematischen Konstrukte: dem pascalschen Dreieck.

Das pascalsche Dreieck ist Ihnen vielleicht noch aus der Schule bekannt. Es ist ein Dreieck, bestehend aus natürlichen Zahlen, das an der Spitze mit der 1 startet, worauf eine Zeile mit zwei Einsen folgt, die nächste Zeile enthält die drei Zahlen 1, 2, 1, danach kommen vier weitere Zahlen und so weiter. Das Dreieck setzt sich unendlich lange fort.

Mittiger Text
  1
1 1
1 2 1
1 3 3 1
1 4 6 4 1
1 5 10 10 5 1
1 6 15 20 15 6 1

Mir gefällt vor allem die symmetrische Struktur: Die Zahlen in einer Reihe entsprechen der Summe der zwei darüber befindlichen Werte. Neben diesem recht offensichtlichen Muster birgt das pascalsche Dreieck aber eine Menge anderer faszinierender Eigenschaften, so lassen sich darin Fibonacci-Zahlen und Dreieckszahlen finden. Benannt ist das Zahlenmuster nach dem französischen Gelehrten Blaise Pascal, der es 1655 veröffentlichte, um damit Gewinnstrategien für Glücksspiele zu entwickeln. Allerdings folgt die Geschichte auch in diesem Fall Stiglers Gesetz, das besagt, dass keine wissenschaftliche Entdeckung nach ihrem tatsächlichen Entdecker benannt ist. So taucht das pascalsche Dreieck bereits in wesentlich älteren Schriften auf, etwa in der des persischen Mathematikers Abu Bakr al-Karadschi, der etwa 700 Jahre vor Pascal lebte.

Viele Menschen denken, Mathematik sei kompliziert und öde. In dieser Serie möchten wir das widerlegen – und stellen unsere liebsten Gegenbeispiele vor: von schlechtem Wetter über magische Verdopplungen hin zu Steuertricks. Die Artikel können Sie hier lesen oder als Buch kaufen.

Al-Karadschi hatte das Dreieck konstruiert, als er die Vorfaktoren von binomischen Gleichungen der Form (a + b)n für verschiedene n berechnete. In diesem Zusammenhang ist Ihnen das pascalsche Dreieck wahrscheinlich auch in der Schule über den Weg gelaufen:

(a + b)0 = 1
(a + b)1 = 1·a + 1·b
(a + b)2 = 1·a2 + 2·ab + 1·b2
(a + b)3 = 1·a3 + 3·a2b + 3·ab2 + 1·b3
... und so weiter.

Das lässt sich für einen beliebig großen Exponenten n verallgemeinern: \((a+b)^n = \sum_{k=0}^n {n \choose k} a^k b^{n-k}\), wobei die so genannten Binomialkoeffizienten \( {n \choose k} \) den Einträgen des pascalschen Dreiecks entsprechen. Diese Binomialkoeffizienten sind definiert als: \( {n \choose k} = \frac{n!}{k!(n-k)!} = \frac{n \cdot (n-1) \cdot … \cdot (n-k+1)}{k\cdot (k-1) \cdot … \cdot 2 \cdot 1}\). Zum Beispiel beträgt \( {5 \choose 2} = \frac{5!}{2!\cdot 3!} = \frac{5 \cdot 4 }{2\cdot 1} = 10\). Das entspricht dem Eintrag in der fünften Reihe und der zweiten Spalte des pascalschen Dreiecks (die ersten Reihen und Spalten des Dreiecks werden mit null beziffert).

Newton wagt etwas Neues

Auch Sir Isaac Newton interessierte sich offenbar für das pascalsche Dreieck. Zwischen den Jahren 1665 und 1666 musste er wegen der »Großen Pest von London« die Cambridge University verlassen und die Zeit isoliert in seinem Heimatdorf Woolthorpe verbringen. Diese Quarantänezeit wird als Wunderjahr bezeichnet – anstatt sich in der Isolation zu entspannen, ging Newton seiner Forschung nach und brachte beeindruckende Ergebnisse hervor: Er begründete die Differential- und Integralrechnung, entwickelte seine Gravitationstheorie und eine Theorie des Lichts. Was jedoch häufig bei der Aufzählung ausgelassen wird: Newton fand in diesem Jahr auch eine Möglichkeit, die Berechnung von Pi extrem zu beschleunigen – und zwar mit Hilfe des pascalschen Dreiecks. Jahrtausendelang hatten Gelehrte auf der ganzen Welt nach einem solchen Algorithmus gesucht.

Der Weg zum beschleunigten Pi-Algorithmus beginnt mit einer Verallgemeinerung. Newton wusste, dass sich die binomischen Gleichungen auch als unendlich lange Reihen formulieren lassen: \( (a+b)^n = \sum_{k=0}^\infty {n \choose k} a^k b^{n-k}\). Denn sobald k einen Wert annimmt, der größer ist als n, liefert der Binomialkoeffizient \({n \choose k} \) den Wert null. Durch die unendliche Summe stockt man das pascalsche Dreieck gewissermaßen mit Nullen auf:

…0 0 0 0 1 0 0 0 0…
…0 0 0 1 1 0 0 0 0…
…0 0 0 1 2 1 0 0 0…
…0 0 1 3 3 1 0 0 0…
…0 0 1 4 6 4 1 0 0 …
…0 1 5 10 10 5 1 0 0…
…0 1 6 15 20 15 6 1 0…

Und dann machte Newton etwas Verrücktes: Er nutzte die Summendarstellung nicht nur, um (a + b)n für positive, ganzzahlige Werte n zu berechnen, sondern ließ auch negative und Bruchzahlen zu. Wie er feststellte, war die Formel \( (a+b)^n = \sum_{k=0}^\infty {n \choose k} a^k b^{n-k}\) allgemeiner als bis dahin angenommen. Doch um das Ganze für negative, gebrochenzahlige oder sogar irrationale n auszuwerten, muss man die Vorfaktoren \( {n \choose k} \) für solche Fälle bestimmen. Wenn man die Binomialkoeffizienten ausschreibt ( \( {n \choose k} = \frac{n \cdot (n-1) \cdot … \cdot (n-k+1)}{k\cdot (k-1) \cdot … \cdot 2 \cdot 1}\) ), spricht nichts dagegen, für n auch Werte abseits der natürlichen Zahlen einzusetzen.

Aber: Ist die Reihenentwicklung in diesen Fällen überhaupt korrekt? Schließlich wurde der Binomialsatz, der besagt \((a+b)^n = \sum_{k=0}^\infty {n \choose k} a^k b^{n-k}\) , nur für ganzzahlige n bewiesen. Newton konnte zeigen, dass sich der Binomialsatz durchaus auf diese Weise verallgemeinern lässt. Man muss nur sicherstellen, die Werte a und b so zu wählen, dass die entstandene Reihe konvergiert. Somit fand er Reihenentwicklungen für (1 + x)-1 = 1 (1 + x) = 1 – x + x2x3 + x4 – … oder auch für (1 + x)½ = √(1 + x) = 1 + ½x18x2 + 116x35128x4 + … Diese Ausdrücke sehen zwar kompliziert aus, können aber sehr nützlich sein, wie wir gleich sehen werden.

Wie Newton erkannte, lässt sich der zuletzt betrachtete Ausdruck, √(1 + x), mit einem Kreis – und somit mit Pi – in Zusammenhang bringen. Dafür kann man die algebraische Gleichung betrachten, die einen Kreis mit Radius eins in einem Koordinatensystem mit Mittelpunkt in null beschreibt: x2 + y2 = 1. Beschränkt man sich bloß auf positive Werte von y, lässt sich auf diese Weise eine Funktionsgleichung für einen Halbkreis formulieren: y = √(1 – x2). Und diesen Wurzelausdruck kann man durch die unendlichen Reihen ausdrücken: √(1 – x2) = 1 – ½x218x4116x65128x8 – ...

Kreisgleichung | Indem man die Kreisgleichung nach y auflöst, erhält man eine Funktionsgleichung für einen Halbkreis.

Damit war Newton schon fast so weit, einen neuen Algorithmus für Pi zu finden. Denn mit seiner eigens entwickelten Integralrechnung war er in der Lage, die Fläche eines Kreisausschnitts (etwa eines Viertelkreises) zu bestimmen – dafür musste er bloß die Funktion y von null bis eins integrieren. Das Ergebnis dieser Berechnung war bereits bekannt, es kommt π4 heraus, da das der Fläche eines Viertelkreises entspricht. Nun musste der geniale Wissenschaftler nur noch alle Bindeglieder miteinander verbinden: π4 = ∫01 √(1 – x2) dx. Für den Term innerhalb des Integrals kann man die entsprechende Reihe einsetzen: π4 = ∫01 ( 1 – ½x218x4116x65128x8 – ... ) dx

Dieser Ausdruck mag lang und kompliziert wirken. Aber wenn Sie sich in die Oberstufe zurückversetzen, werden Sie vielleicht erkennen, dass sich die Integration schnell ausführen lässt. Indem man jeden Summanden einzeln integriert, erhält man: π4 = 1 – 16140111251152 – ... Und nach Pi aufgelöst: π = 4 – 231101285288 – ...

Eine noch bessere Formel für Pi

Damit hat man eine Summe für Pi gefunden. Doch wie Sie feststellen werden, konvergiert die Reihe nicht allzu schnell gegen die Kreiszahl. Die ersten fünf Summanden liefern das Ergebnis 3,1803 – was nicht besonders beeindruckend ist. Um das Maximum aus seiner Methode rauszuholen und mit möglichst wenigen Summanden möglichst nahe an die Kreiszahl zu kommen, wählte Newton einen kleineren Flächenausschnitt des Kreises. Statt das Integral über die Halbkreis-Funktion y von 0 bis 1 zu bilden (was einem Viertelkreis entspricht), betrachtete er nur den Ausschnitt von 0 bis ½, also: ∫0½ √(1 – x2) dx. Die sich dadurch ergebende Fläche entspricht einem streifenförmigen Ausschnitt des Halbkreises.

Kreisausschnitt | Indem man die Fläche für den blauen Ausschnitt berechnet, findet man eine Reihendarstellung für die Kreiszahl Pi.

Um diese Fläche zu berechnen, kann man den Ausschnitt in ein rechtwinkliges Dreieck und ein Bogenstück unterteilen. Die Fläche des rechtwinkligen Dreiecks erhält man, indem man einhalbmal die Grundfläche (½) mal die Höhe (½√3) rechnet, also √38. Das restliche Bogenstück entspricht einem Zwölftel des Vollkreises, also π12.

Aufteilung der Fläche | Die blau markierte Fläche lässt sich in einen Kreisbogen und ein rechtwinkliges Dreieck zerlegen.

Damit konnte Newton genauso vorgehen wie zuvor: Die berechnete Fläche des Kreisausschnitts entspricht dem Integral über y von 0 bis ½. In Formeln sieht das folgendermaßen aus: π12 + √38 = ∫0½ √(1 – x2) dx. Nun kann man wieder für √(1 – x2) die Reihe einsetzen, die einzelnen Summanden integrieren und erhält am Ende folgendes Ergebnis:

\[\pi = \frac{3\sqrt{3}}{4} + 24 \left(\frac{2}{3 \cdot 2^2} – \frac{1}{5 \cdot 2^5} – \frac{1}{28 \cdot 2^7} -\frac{1}{72 \cdot 2^9}- \frac{5}{704 \cdot 2^{11}} -... \right) \]

Das Beeindruckende: Addiert man nur die ersten fünf Summanden, erhält man das Ergebnis 3,14161 – das sich nur um 0,00002… vom tatsächlichen Wert unterscheidet. Das stellte im 17. Jahrhundert eine Sensation dar. Denn damals berechnete man den Wert der Kreiszahl, indem man einen Kreis durch zwei Vielecke näherte und deren Umfang bestimmte.

Annäherungen an Pi | Die übliche Methode, um Pi geometrisch zu bestimmen, besteht darin, ein begrenzendes Vieleck innerhalb und außerhalb eines Kreises zu zeichnen und die beiden Umfänge miteinander zu vergleichen.

Dafür zeichnet man zunächst ein Vieleck so in einen Kreis hinein, dass dessen Ecken daran angrenzen, sowie ein Polygon außerhalb des Kreises, wobei dessen Kanten den Bogen berührten. Indem man jeweils den Umfang (u und U) der Polygone durch ihren Durchmesser (d und D) teilt, erhält man eine Abschätzung für Pi: ud ≤ π ≤ UD. Je mehr Ecken die Vielecke haben, desto genauer wird das Ergebnis. Um auf diese Weise eine Abschätzung für Pi zu erhalten, das bis zur dritten Nachkommastelle korrekt ist, muss man bereits mit 90-Ecken hantieren – was ziemlich aufwändig ist.

Newtons handliche Formel ermöglicht es hingegen, die Kreiszahl extrem präzise zu bestimmen, ohne solch einen Aufwand betreiben zu müssen – und Zeichnen ist überhaupt nicht mehr nötig. Seine Formel scheint auf den ersten Blick nicht einmal mehr etwas mit Geometrie zu tun zu haben. Auch das pascalsche Dreieck erblickt man nicht sofort. Doch ohne diese symmetrische Zahlenstruktur wäre Newton vielleicht niemals auf die Idee gekommen, eine neue Berechnungsmethode für Pi zu suchen.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.