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Freistetters Formelwelt: Auch durch Fehler kann man die Mathematik voranbringen

Wer in der Mathematik eine Vermutung hat, hat meist mehr als nur eine vage Ahnung. Falsch liegen kann man aber trotzdem.
Auf drei bunten post-its steht die Formel 1 + 1 = 3.
Auch wenn eine Vermutung falsch ist, können daraus noch spannende neue Fragen entstehen.

Als der französische Mathematiker Pierre de Fermat im 17. Jahrhundert eine Notiz an den Rand eines arithmetischen Lehrbuchs schrieb, rechnete er wahrscheinlich nicht damit, dass er die Welt der Mathematik mehr als 300 Jahre lang damit beschäftigen würde. Die berühmte »Fermatsche Vermutung« (an + bn ≠ cn, für n > 2 und a, b, c positive ganze Zahlen) wurde erst 1994 von Andrew Wiles bewiesen und damit zum »Großen Fermatschen Satz«.

Es war aber nicht die einzige Vermutung des französischen Gelehrten. 1640 hatte er bereits ein paar Ideen zu dieser Formel:

Ist n eine ganze Zahl größer oder gleich null, dann beschreibt die Formel die so genannten Fermat-Zahlen. Die Vermutung des Mathematikers: Alle diese Zahlen sind Primzahlen. Für n = 0 ist das richtig, denn die zugehörige Fermat-Zahl lautet 3 und ist prim. Für n = 1 erhält man 5 und auch das ist eine Primzahl. Das gleiche gilt für n = 2, n = 3 und n = 4 (mit zugehörigen Fermat-Zahlen 17, 257 und 65 537).

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Aber nur weil die Vermutung für die ersten fünf Werte gilt, muss sie das natürlich nicht für alle tun. Tatsächlich fand Leonhard Euler im Jahr 1732 ein Gegenbeispiel. Berechnet man die Fermat-Zahl für n = 5, erhält man das zehnstellige Ergebnis 4 294 967 297. Dividiert man das durch 641, ergibt sich 6 700 417. Oder anders gesagt: F5 ist keine Primzahl und Fermats Vermutung damit falsch.

Von einer Vermutung zur nächsten

Trotzdem bleiben offene Fragen: Wie viele Fermat-Zahlen sind tatsächlich Primzahlen? Und wie hat Leonhard Euler das eigentlich ausgerechnet? Man könnte natürlich einfach 4 294 967 297 der Reihe nach durch alle kleineren natürlichen Zahlen dividieren und schauen, ob man ein Ergebnis ohne Rest erhält. Heute ist das mit einem Computerprogramm schnell erledigt. Für Euler wäre es aber ein enorm hoher Arbeitsaufwand gewesen – noch dazu ohne Garantie auf Erfolg. Natürlich hat der große Mathematiker eine bessere Idee gehabt.

Zuerst bewies Euler nämlich eine andere Vermutung von Fermat (den »kleinen Satz«, der mit Primzahlpotenzen zu tun hat) und leitete daraus ein paar neue Theoreme ab, die sich mit der Teilbarkeit von Zahlen beschäftigen. Eines davon ließ sich auf die Fermat-Zahlen anwenden. Damit konnte Euler zeigen, dass ein Primteiler von F5 die Form 64n + 1 haben muss. Er musste nun also nicht mehr hunderte Zahlen durchprobieren, sondern nur zehn. Für n = 1, 2, 5, 6 und 8 ergibt 64n + 1 keine Primzahl: Das Ergebnis kann daher kein Primteiler von F5 sein. Bei n = 10 beziehungsweise 64·10 + 1 = 641 wird man jedoch fündig. Ein bisschen rechnen musste Euler also schon, aber am Ende war er vergleichsweise schnell am Ziel.

Mittlerweile wurden sechs weitere Fermat-Zahlen vollständig faktorisiert und es konnte gezeigt werden, dass sie keine Primzahlen sind. Weitere acht Fermat-Zahlen (bis F59) lassen sich zumindest teilweise faktorisieren. Auch von noch größeren Fermat-Zahlen konnte man nachweisen, dass sie keine Primzahlen sind. Fachleute vermuten, dass es abgesehen von den fünf Beispielen, die Fermat gefunden hatte, keine weiteren Fermat-Zahlen mehr gibt, die prim sind. Beweisen ließ sich diese Vermutung aber bis heute noch nicht – ebenso wenig wie ihr Gegenteil.

Am Ende ist aus der widerlegten Vermutung eine neue, unbewiesene Vermutung entstanden. Und meine Vermutung lautet: Sollte man die Frage nach der Anzahl der Fermat-Primzahlen irgendwann einmal geklärt haben, wird daraus irgendein neues Problem entstehen, dessen Lösung wir nicht kennen. So läuft es immer in der Wissenschaft.

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