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Hirschhausens Hirnschmalz: Nix wissen muss man sich mal trauen

Eckart von Hirschhausen

Als Medizinstudent durfte ich 1989 ein Jahr nach London, was mein Denken dreifach verändert hat. Erstens habe ich dort Stand-up Comedy in jeder Kneipe erlebt, machte übermütig bei einem Talentwettbewerb mit, wurde Vorletzter und begann meine Karriere in Deutschland, denn man sagte mir, dafür reicht’s. Zweitens: Nicht alle Engländer haben Humor, so wenig wie alle Deutschen keinen haben. Und meine dritte Einsicht: In der Medizin ist weniger oft mehr!

Wenn ich in England einen Bluttest beauftragte, fragte der Ausbilder: "Does it change anything?" Würdest du den Pa­tienten anders behandeln, wenn der Wert höher oder niedriger ist als normal? Wozu brauchst du das Resultat dann? "Ich wollte es nur mal wissen" galt nicht.

In Deutschland wird erst alles geröntgt und bestimmt, und dann schaut man, ob der Patient eine zu den Befunden passende Krankheit hat. Das kostet uns dreimal so viel wie die Engländer, und wir sterben auch nicht viel später. Die Idee, dass "Wissen" immer nützlich ist, liegt so nah, ist aber leider falsch. Und dass unnützes Wissen schaden kann, spricht sich erst langsam herum.

Wenn man mal nix weiß, sollte man …

  1. A) sich schlau machen.
  2. B) schlau gucken.
  3. C) Mama fragen.
  4. D) das Leben genießen!

Das Paradebeispiel ist die Bestimmung des PSA, des prostataspezifischen Antigens. Ich bin männlich, Ende 40, also empfiehlt mir der Uro­loge den Test, "zur Sicherheit". Die Kasse zahlt die 30 Euro aber nicht. PSA kann bei Prostatakrebs erhöht sein. Aber auch bei Entzündungen, beim Sex oder wenn man sich beim Radfahren unfreiwillig die Prostata massiert. Weil ich keine Beschwerden habe und auch keine familiäre Belastung, forsche ich auf "Igel-Monitor.de" nach: Mit dem Test werden mehr Krebserkrankungen erkannt als ohne. Aber die viel spannendere Frage ist ja, heißt mehr erkennen auch länger leben?

Dazu muss man in großen Studien bei Zig­tausenden beschwerdefreien Männern gucken, was es bringt, den Test zu machen oder nicht. Entscheidend is auf’m Platz – zur Veranschaulichung ein Fußballstadion. 2000 Plätze. Natürlich sitzen da auch Frauen, aber keine mit Pros­tata! Die 1000 Fans von Hertha PSA haben den Test gemacht, die Fans vom FC Langmut nicht. Nach zehn Jahren das Rückspiel. Die Reihen haben sich gelichtet. Auf jeder Seite sind 200 Männer gestorben – also kein Vorteil für Hertha PSA! Sind durch den Test weniger an Prostatakrebs ge­storben? Nein! Auf beiden Seiten acht. 8 : 8 unentschieden.

Viele Männer sterben mit, aber nicht an Prostatakrebs. Kann der Test denn schaden? Ja, weil man dann vieles behandelt, was nie ein Problem geworden wäre. Es wird operiert, bestrahlt und ganz konkret 20 der 1000 PSA-Fans dem Ri­siko von Impotenz und Inkontinenz ausgesetzt. Ein hoher Preis, dafür dass man kein Leben rettet.

In der wunderbaren Satire "House of God" steht: Die Kunst der Medizin ist, so viel NIX zu tun wie möglich. Auch wenn man daran NIX verdienen kann. Und als Patient muss man sich trauen, auch mal NIX wissen zu wollen. Jungs, die Statistik ist auf eurer Seite! Oder mit einem Witz gesprochen: Stehen drei Kühe auf der Weide, sagt die erste: "MUH." Die zweite: "MUHMUHMUH-MUHMUMUMU!" Die dritte Kuh erschießt die zweite. Die erste fragt: "Warum?" Die dritte: "Sie wusste zu viel!"

  • Quellen

Illic, D. et al:Screening for Prostatic Cancer. In: Cochrane Reviews 2013 10.1002/14651858.CD004720.pub3

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