Star-Bugs – die Kleine-Tiere-Kolumne: »Skandalkäfer« besticht durch Taktik und Toxine

Mitte März pressen Frühblüher ihre weißen, violetten oder butterblumengelben Blütenköpfe zwischen welkem Laub und gelb-braunen Grasrispen hervor. Buschwindröschen und Scharbockskraut etwa verwandeln den noch nackten Boden unter Bäumen und Büschen in bunte Teppiche.
Diese ersten Blüten im neuen Jahr und ihr Nektar finden dankbare Abnehmer. Frühe Wildbienen wie Sandbienen (Andrena) und die gerade aus ihrem Winterquartier gekrabbelten Jungköniginnen der Dunklen Erdhummel (Bombus terrestris) füllen damit ihre Energiereserven auf.
Dazwischen wartet auf sie jedoch mitunter eine böse Überraschung: kleine orangegelbe oder braune Plagegeister, die sich bei der erstbesten Gelegenheit im Pelz der Wildbienen festklammern. Es sind die rund zwei Millimeter langen parasitischen Larven der Ölkäfer (Meloidae). Die so genannten Triungulinen lassen sich von Bienen in deren Nester tragen und verspeisen dort Proviant und Brut – zumindest, sofern das unfreiwillige Taxi einer Wirtsart der Käferlarven angehört.
Weltweit sind rund 3000 Ölkäferarten bekannt, zwölf gelten in Deutschland als heimisch. Unter ihnen sind zwei besonders auffällig: der Schwarzblaue (Meloe proscarabaeus) und der Violette Ölkäfer (Meloe violaceus). Mit bis zu dreieinhalb Zentimeter Körperlänge sind die Weibchen dieser beiden Spezies wahre Brummer, die Männchen fallen oft etwas kleiner aus.
Gut erkennbare Insekten
Allein an ihrer Größe und Körperform lassen sich die beiden flugunfähigen Ölkäferarten gut erkennen und von anderen Käfern unterscheiden. Der Kopf ist deutlich vom Halsschild abgesetzt und dieses wiederum vom Hinterleib. Vor allem beim Weibchen ist das Abdomen klobig und im Vergleich zum restlichen Körper riesig. Die Männchen lassen sich gut an ihren geknickten Fühler erkennen, die der Weibchen sind gerade.
Mit Masse und Strategie ans Ziel
Der Biologe Johannes Lückmann hat seine Doktorarbeit über die Verbreitung des Ölkäfers und das Verhalten ihrer Larven geschrieben. Mittlerweile arbeitet er nicht mehr in der Wissenschaft und bezeichnet sich deshalb selbst als Freizeitforscher. So ganz lassen ihn die Käfer allerdings nicht los. Ihn fasziniert, wie zwei ähnlich aussehende Arten doch so unterschiedlich sind, wenn es um ihren Lebensrhythmus geht. Während Meloe proscarabaeus bevorzugt offene Wiesen und Brachen bewohnt, findet sich Meloe violaceus in lichten, feuchten Wäldern. Dessen Larven kraxeln bereits im März an Blütenstängeln hinauf. »Bei Meloe violaceus sehen wir die Triungulinen sehr früh im Jahr und zeitgleich mit den Imagines, also den ausgewachsenen Käfern«, sagt Lückmann. Das ist ungewöhnlich, hat aber einen Grund.
Ölkäfer durchlaufen eine Hypermetamorphose
Die meisten Käferarten entwickeln sich vom Ei über mehrere Larvenstadien und eine Puppe zum ausgewachsenen Insekt. Dabei verändern sie ihre Gestalt, sie durchlaufen eine Metamorphose. Ölkäfer reihen mehrere Metamorphosen aneinander. Fachleute nennen das eine Hypermetamorphose.
Die Triungulinen, das erste Larvenstadium der Ölkäfer, sind flink. Einige Arten tragen am Ende ihrer Beine drei Krallen, weshalb Triungulinen auch Dreiklauer genannt werden. Mit denen klammern sich die Larven an potenziellen Wirten fest, die in Blüten krautiger Pflanzen nach Pollen und Nektar suchen; im Fall der Violetten und Schwarzblauen Ölkäfer sind das vor allem Wildbienen der Gattung Andrena und Colletes, also Sand- und Seidenbienen. Bis vor etwa 200 Jahren hielt man diese Primärlarven für Bienenläuse und damit für eine eigene Insektengruppe.
Im Nest der Wildbienen angekommen, fressen die parasitischen Larven zunächst die Eier ihrer Wirte. Danach häuten sie sich zu typischen engerlingartigen Käferlarven und machen sich über den Proviant her, den die Biene für ihren Nachwuchs angelegt hat. Nach vier weiteren Häutungen verlassen die Larven das Bienennest und graben sich im benachbarten Erdboden eine Kammer. Dort häuten sie sich zu Scheinpuppen, die überwintern. Eine Scheinpuppe ist in der Ordnung der Käfer einmalig und tritt nur bei den Meloiden auf.
Im Folgejahr schlüpft aus der Scheinpuppe eine weitere engerlingartige Tertiärlarve, die sich schließlich zur eigentlichen Puppe häutet. Das kann mehrere Monate dauern. Die ausgewachsenen Käfer schlüpfen zwischen März und Mai des zweiten Jahres. Besonders aktiv sind Meloe violaceus und M. proscarabaeus im Mai, was ihnen den Beinamen Maiwurm einbrachte.
So variabel die Ölkäfer in Form und Farbe sind, so unterschiedlich sind auch ihre Entwicklungen. Bei einigen Arten entfällt zum Beispiel das Scheinpuppenstadium, bei anderen tritt es doppelt auf. Für viele Ölkäferarten weiß man es schlichtweg nicht genau.
Anfang und Mitte März ist der Wald noch licht und der Boden übersät mit Frühblühern. Die ziehen früh im Jahr aktive Wildbienen an, beispielsweise die Weidensandbiene Andrena vaga. Insgesamt sind jedoch vergleichsweise wenige Insekten unterwegs. Deshalb ist die Chance groß, dass die Larven des Violetten Ölkäfers an den Blüten auf Bienen treffen, die sich als Wirt eignen. Anders die Larven des Schwarzblauen Ölkäfers. »Die tauchen etwas später auf, Ende April oder Anfang Mai«, sagt der Biologe. Dann gebe es mehr Blüten und deutlich mehr Insekten, die in ihnen nach Nektar und Pollen suchen. Das Dilemma ist nur: Erwischen die Triungulinen statt etwa Andrena flavipes, der Gemeinen Sandbiene, eine Honigbiene oder eine Hummel und lassen sich in ihrem Pelz ins Nest tragen, sterben sie. Die Wahrscheinlichkeit, später im Frühjahr auf einer Wiese das falsche Wirtstier anzutreffen, ist schlichtweg um einiges höher als im März in einem Wald.
»Die Weibchen des Schwarzblauen Ölkäfers setzen deshalb auf Masse«, sagt Lückmann. Bis zu 40 000 Eier – verteilt auf mehrere Gelege – kann ein einziges Weibchen produzieren. Solche Zahlen kenne man eher von sozialen Insekten wie Ameisen und Termiten, sagt der Biologe.

Sein Verwandter kommt »nur« auf rund 10 000 Eier. »Allerdings sind die Eier größer und fast dreimal so schwer wie die des Schwarzblauen Ölkäfers«, ergänzt Lückmann. Meloe violaceus, so scheint es, investiert in Energiereserven für den Nachwuchs. Diese Reserven benötigen die Larven in den Eiern. Denn während bei Meloe proscarabaeus die Triungulinen bereits nach drei Wochen aus ihren Eiern krabbeln – und damit im selben Jahr aktiv sind wie ihre Eltern –, harren die von Meloe violaceus bis zu sieben Monaten aus. Erst im nächsten Frühjahr verlassen sie ihre Erdröhre und legen sich auf die Lauer nach potenziellen Wirten. Zur gleichen Zeit sind auch die Imagines der Vorgängergeneration unterwegs, so dass beide Entwicklungsstadien dieser Ölkäferart parallel auftreten.
Irrationale Angst vor dem Gift der Käfer
Bekannt wurden die Blauschwarzen Ölkäfer in den vergangenen Jahren vor allem, weil immer wieder Medien vor dem Gift des Käfers warnten. Wenn Ölkäfer sich bedroht fühlen, sondern sie aus ihren Kniegelenken Hämolymphe ab. In dieser gelben, öligen Flüssigkeit – dem Insektenblut – befindet sich das giftige Cantharidin.
»Es steht außer Frage, dass Ölkäfer giftig sind«, sagt Johannes Lückmann. Die Panikmache verstehe er allerdings nicht. Welcher Mensch stecke sich schon freiwillig einen drei Zentimeter großen Käfer in den Mund? »Zumal Cantharidin extrem bitter schmeckt«, ergänzt er. Man würde den Käfer sofort wieder ausspucken.
Es gelte, den Menschen die Angst vor den Käfern und auch vor der Natur zu nehmen, findet Johannes Lückmann. Die Schlagzeilen mit den todbringenden Käfern verkauften sich sicherlich besser, schürten aber eine völlig irrationale und übertriebene Angst vor allem, was herumkrabbelt. Lückmann empfiehlt, stattdessen Kindern den Umgang mit giftigen Tieren beizubringen: »Man kann die Käfer vorsichtig anfassen, dann setzt man sie wieder ab und wäscht sich die Hände.« Ölkäfer seien faszinierende Tiere, die man großartig beobachten könne.
Gefährdet – und doch auf dem Vormarsch
Zur Angst der Menschen vor den Käfern trägt laut Johannes Lückmann bei, dass die Tiere in den vergangenen Jahren immer mal wieder in größeren Mengen auftauchten, etwa an Kindergärten oder Spielplätzen. Und tatsächlich scheinen sich regional die Bestände der Ölkäfer durchaus zu erholen. Denn eigentlich ist der Trend ein anderer: Die Rote Liste führt sowohl Meloe proscarabaeus als auch Meloe violaceus als »gefährdet«. Gründe dafür sind schwindende Lebensräume wie naturbelassene Wiesen sowie der Rückgang ihrer Wirte, der Wildbienen.
Wo jedoch das eine wie das andere vorhanden ist, fühlen sich Ölkäfer wohl. Sie tauchten laut Lückmann sogar an Orten wieder auf, an denen sie lange als verschollen galten. Das treffe auf Meloe proscarabaeus zu, aber zum Beispiel auch auf den Seidenbienen-Ölkäfer (Stenoria analis). »Früher gab es vereinzelt Funde in den östlichen Bundesländern«, sagt der Biologe. Seit Mitte der 1990er Jahre breite sich diese Ölkäferart allerdings von Südwesteuropa nach Norden und Osten aus, »quasi im Gepäck ihrer ebenfalls nordwärts strebenden Wirtsart, der Efeu-Seidenbiene (Colletes hederae)«. Mittlerweile wiesen Insektenforscher die Art vereinzelt in Westfalen, Nordhessen und Südwestniedersachsen nach. Im südlichen Rheintal können aufmerksame Beobachter sie stellenweise sogar häufig antreffen. Doch essen sollte man auch diesen Käfer selbstverständlich nicht.
Cantharidin
Vermutlich nutzten bereits die Pharaonen das Gift der Ölkäfer und der Scheinbockkäfer (Oedemeridae) als Heilmittel. Auch heute gilt Cantharidin als Naturheilmittel, vor allem als »natürliche« Alternative zur Medizin. Eine Wirkung ist für die meisten dieser Anwendungen nicht nachgewiesen.
Das Wehrsekret ist für die meisten Tiere inklusive uns Menschen giftig. Es tötet sogar Pflanzen. Einige Insektenarten jedoch – darunter einige Fliegen, Wanzen und andere Käfer – sammeln das Gift an lebenden und toten Ölkäfern.
Männchen der Feuerkäfer (Pyrochroidae) etwa gelten als besonders potent, wenn sie viel Cantharidin gespeichert haben. Sie übergeben das Gift bei der Paarung an das Weibchen, das damit den Nachwuchs gegen Fressfeinde und Pilzbewuchs schützt. Blumenkäfer (Anthicidae) wiederum folgen der Cantharidin-Duftspur, um Ölkäferkadaver als Mahlzeit zu finden. Einige Arten der Gnitzen (Ceratopogonida) saugen am lebenden Käfer und nutzen das Gift für ihre Verteidigung.
Gelangt Cantharidin auf menschliche Haut, geschieht erst einmal nichts, vor allem, wenn man die ölige Substanz direkt mit Wasser und Seife abwäscht. Bleibt das Gift länger auf der Haut, können sich Blasen bilden, weshalb Ölkäfer auch Blasenkäfer genannt werden (englisch: blister beetles).
Im Körper hemmt Cantharidin den zellulären Stoffwechsel, reizt Schleimhäute und kann die Nieren und die Leber schädigen. Und: Es kann Menschen töten. In der Antike setzten Menschen das Gift ein, um Personen hinzurichten. Die so genannte LD50 beträgt 0,5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. LD50 ist eine statistische Kennziffer, die besagt, dass theoretisch die Hälfte der Menschen, die diese Dosis des Gifts aufnehmen, stirbt. Für einen erwachsenen Menschen mit 60 Kilogramm Körpergewicht wären das 30 Milligramm des reinen Gifts. Der höchste bei einem einzelnen Meloe proscarabaeus festgestellte Cantharidin-Gehalt betrug laut Johannes Lückmann zwei Milligramm. Er selbst hat mit Kollegen in Schwarzblauen Ölkäfern maximal ein Milligramm des Gifts gemessen. Verschluckt also ein Mensch, warum auch immer, einen Ölkäfer, wird er das mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit überleben.
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