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Freistetters Formelwelt: Ordnung im Chaos

Die natürliche Welt ist voller Chaos. Wenn wir hier die Übersicht bewahren wollen, brauchen wir einen klaren Blick. Den kann uns die Mathematik liefern.
Chaos auf einer Straßenkreuzung in der Großstadt

Mathematik soll Dinge verständlicher machen. Denjenigen, die den Umgang mit Formeln und Symbolen nicht gewöhnt sind, mag das anders erscheinen. Wer aber die Sprache der Mathematik beherrscht, sieht vieles klarer.

Zum Beispiel mit dieser Formel:

Gleichung eines Rekurrenzplots

Hier wird ein "Rekurrenzplot" beschrieben: eine Methode zur Analyse nichtlinearer dynamischer Systeme. Dabei geht es um das Verständnis, was in einem "Phasenraum" passiert. Diese abstrakten mathematischen Räume sind im Allgemeinen nicht besonders anschaulich. Und sie lassen sich vor allem nicht immer direkt visualisieren. Ein Phasenraum kann deutlich mehr als drei Dimensionen haben, je nachdem wie viele Freiheitsgrade ein dynamisches System hat. Will man etwa den Zustand eines sich bewegenden Objekts beschreiben, benötigt man dafür sechs Zahlen: drei Koordinaten, um die Position im Raum anzugeben, und noch einmal drei, um die Geschwindigkeit in jede der drei Raumrichtungen zu beschreiben. Das System hat also sechs Freiheitsgrade und der zugehörige Phasenraum sechs Dimensionen.

Notiert man die sechs Zahlen, die das System beschreiben, für jeden Zeitpunkt, erhält man eine Phasenraum-Trajektorie. Diese Kurve in einem sechsdimensionalen Raum gibt den dynamischen Zustand des Systems an, und wenn man das System verstehen will, muss man auch diesen Phasenraum irgendwie visualisieren und analysieren. Mehr als drei Dimensionen können wir aber anschaulich nicht darstellen, und genau hier hilft uns der Rekurrenzplot weiter.

In der Formel steht der Vektor \(\vec{x}\) für die Phasenraum-Trajektorie. Man betrachtet das System zu zwei verschiedenen Zeitpunkten i und j und bestimmt den Abstand, den die Punkte der Trajektorie zu den beiden Zeitpunkten voneinander haben (das beschreibt der vertikale Doppelstrich). Ist der Abstand kleiner als ein vorgegebener Wert ε, dann liefert die Formel für den Rekurrenzplot eine 1, ansonsten eine 0. Anschaulich geht es darum herauszufinden, ob das System zu zwei verschiedenen Zeitpunkten ähnliche Zustände einnimmt. Ein periodisch schwingendes Pendel wird etwa immer wieder den gleichen Zustand einnehmen, den es auch schon in der Vergangenheit innehatte. Die Phasenraum-Trajektorie wird also in periodischen Abständen wieder am gleichen Ort des Phasenraums vorbeikommen. Ein System, das sich komplett chaotisch verhält, wird dagegen seltener Zustände einnehmen, die es früher schon hatte.

Der Rekurrenzplot, der sich aus der obigen Gleichung ergibt, ist immer zweidimensional. Auf beiden Achsen ist die Zeit aufgetragen, und für jede Kombination der Zeitpunkte i und j erhält man entweder einen Punkt im Diagramm oder nicht. Die Methode wurde 1987 von Physikern der Universität Genf entwickelt und seitdem zur Analyse einer Vielzahl dynamischer Systeme eingesetzt. Die Reduktion eines hochdimensionalen Phasenraums auf einen zweidimensionalen Rekurrenzplot führt natürlich zu einem gewissen Verlust an Informationen. Viele grundlegende dynamische Eigenschaften bleiben aber erhalten. Anhand der Strukturen die in einem Rekurrenzplot sichtbar werden, lässt sich bestimmen, ob das System sich periodisch oder quasiperiodisch verhält – ob es stationär ist oder sich im Lauf der Zeit langsam entwickelt. Man kann aber auch herausfinden, ob sich im System Änderungen für die Zukunft ankündigen und auf welchen Zeitskalen sie zu erwarten sind.

Besonders interessant ist der Einsatz von Rekurrenzplots bei natürlichen Phänomen wie zum Beispiel dem Sonnenfleckenzyklus oder dem Wetterphänomen El Niño. Diese Vorgänge sind prinzipiell periodisch: Zirka alle elf Jahre gibt es ein Maximum an Sonnenflecken; ungefähr alle vier Jahre verändern sich die Meeresströmungen im Pazifik. Diese Perioden sind aber nicht exakt, den Ereignissen liegen chaotische Phänomene zu Grunde. Will man dieses Chaos durchschauen, dann braucht man den klaren Blick der Mathematik.

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