Die fabelhafte Welt der Mathematik: Das vielleicht älteste ungelöste Problem der Mathematik
6, 28, 496, 8128: Richtige Zahlen-Nerds werden wissen, dass es sich dabei um so genannte perfekte Zahlen handelt. Seit mehr als 2300 Jahren geben solche Zahlen Rätsel auf – und bergen damit das wohl älteste Geheimnis der Mathematik: Kann eine perfekte Zahl auch ungerade sein?
Inzwischen ist bekannt: Falls es eine ungerade perfekte Zahl gibt, dann muss sie größer sein als die unvorstellbar große Zahl 102200 (eine Eins gefolgt von 2200 Nullen). Viele Fachleute gehen davon aus, dass eine solche perfekte Zahl nicht existiert. Trotz der jahrtausendelangen Suche blieb ein handfester Beweis dafür bis heute aus. Aber Mathematikerinnen und Mathematiker geben die Hoffnung nicht auf: Immer wieder machen sie kleinere Fortschritte; sie kesseln diese hypothetischen ungeraden perfekten Zahlen jeweils weiter ein und hoffen, dabei irgendwann zu zeigen, dass all diese Anforderungen an sie unmöglich zu erfüllen sind.
Um diesen Bemühungen folgen zu können, muss man zunächst verstehen, was perfekte Zahlen überhaupt sind. Dabei handelt es sich um Zahlen, die der Summe ihrer echten Teiler entsprechen. 6 besitzt beispielsweise die Teiler 1, 2, 3 und 6; ihre echten Teiler sind 1, 2, 3 (alle Teiler außer der Zahl selbst). Addiert man diese, erhält man: 1 + 2 + 3 = 6. Tada!
Die Zahlen gelten als »perfekt«, weil ihre additiven Eigenschaften (die Summe der Teiler) eng mit ihren multiplikativen (die Teiler selbst) verbunden sind. In der Zahlentheorie ist man immer wieder auf der Suche nach solchen Zusammenhängen, da multiplikative und additive Aspekte von Zahlen meist nicht allzu viel miteinander zu tun haben – zumindest auf den ersten Blick. So ist zum Beispiel die abc-Vermutung ein weiteres berühmtes mathematisches Problem, das sich um eine ähnliche Verbindung multiplikativer und additiver Eigenschaften von Zahlen dreht.
Perfekte Zahlen treten im Zahlenstrahl nur extrem selten auf. Summiert man zum Beispiel die echten Teiler von 8, erhält man 1 + 2 + 4 = 7; für 10 ergibt sich 1 + 2 + 5 = 8; für 12 folgt 1 + 2 + 3 + 4 + 6 = 16 und so weiter. Fast immer ist die Summe der echten Teiler entweder kleiner oder größer als die Zahl selbst – nur ganz selten ist sie gleich der Zahl. Im Zahlenraum zwischen 1 und 100 gibt es nur zwei perfekte Zahlen: 6 und 28. Die nächstgrößere perfekte Zahl ist 496, und dann folgt 8128.
Mehr als 1000 Jahre lang waren nur diese vier perfekten Zahlen bekannt. Wenn man sie genauer betrachtet, lassen sich gewisse Muster erkennen: So enden die Werte abwechselnd mit 6 oder 8; bis auf die 6 lassen sich die Zahlen als Summe von Kuben ungerader Zahlen schreiben (28 = 13 + 33; 496 = 13 + 33 + 53 + 73 und so weiter); die Summe der Kehrwerte aller Teiler der perfekten Zahlen ergibt immer 2 (zum Beispiel: 1⁄1 + 1⁄2 + 1⁄3 + 1⁄6 = 2).
All das ist zwar spannend, doch der antike Gelehrte Euklid fand um das Jahr 300 vor unserer Zeitrechnung etwas viel Erstaunlicheres heraus: Die geraden perfekten Zahlen hängen mit einer ganz besonderen Sorte von Primzahlen zusammen.
Perfektion und Primzahlen
Euklid entwickelte eine Methode, um perfekte Zahlen zu berechnen. Wie er erkannte, ergibt das Produkt aus 2k−1 und 2k − 1 stets eine perfekte Zahl, falls 2k − 1 nur durch eins und sich selbst teilbar ist (wobei k eine natürliche Zahl ist). Primzahlen dieser Form sind inzwischen als »Mersenne-Primzahlen« bekannt. Und tatsächlich findet man: 6 = 21·(22 − 1); 28 = 22·(23 − 1); 496 = 24·(25 − 1) und 8128 = 26·(27 − 1).
Beweis:
Um Euklids Erkenntnis zu beweisen, muss man die echten Teiler von x = 2k−1·(2k − 1) addieren und prüfen, ob die Summe den Wert x ergibt: In diesem Fall ist x eine perfekte Zahl.
Man bestimmt dafür zunächst die Teiler von 2k−1: 1, 2, 22, 23, ..., 2k−1. Die Teiler des zweiten Faktors 2k − 1 lassen sich besonders schnell berechnen, da es sich dabei um eine Primzahl handeln soll, also: 1 und 2k − 1. Die Teiler von x entsprechen demnach den jeweiligen Teilern von 2k−1 und 2k − 1; sowie dem Produkt der einzelnen Teiler. Möchte man also alle Teiler von x addieren, muss man bloß die Summe der Teiler von 2k−1 mit der Summe der Teiler von 2k − 1 multiplizieren.
Die Summe aller Teiler von x ergibt sich somit zu: (1 + 2 + 22 + 23 + ... + 2k−1) ·(1 + 2k − 1), was sich zu 2k(1 + 2 + 22 + 23 + ... + 2k−1) vereinfachen lässt. Die Summe in den Klammern entspricht einer geometrischen Reihe und lässt sich zu 2k − 1 vereinfachen. Daher entspricht die Summe aller Teiler von x dem Wert: 2k(2k − 1).
Da für perfekte Zahlen jedoch nur echte Teiler relevant sind, muss man von dem Ergebnis noch den Wert von x abziehen. Damit ergibt sich: 2k(2k − 1) − 2k−1·(2k − 1), was sich vereinfachen lässt zu: (2k − 1)·(2k − 2k−1). Also ergibt die Summe aller echten Teiler von x das Ergebnis: 2k−1·(2k − 1) = x; das heißt x ist eine perfekte Zahl.
Die von Euklid vorgebrachte Formel erweist sich als hilfreich, um perfekte Zahlen zu generieren – sofern man genügend Mersenne-Primzahlen kennt, was zu Euklids Zeiten nicht der Fall war. Euklids Formel liefert stets ein gerades Ergebnis, und es ist unklar, ob sie lückenlos alle perfekten Zahlen erzeugt: Man erhält durch die Berechnung zwar immer eine solche, aber es könnte theoretisch perfekte Zahlen geben, die einem anderen Schema als 2k−1·(2k − 1) folgen. Damit blieb die Frage, ob ungerade perfekte Zahlen existieren, weiterhin ungelöst.
Eine weitere Frage, die Euklids Überlegungen eröffneten, ist, ob es unendlich viele perfekte Zahlen gibt. Die Antwort steht und fällt mit der Anzahl von Mersenne-Primzahlen: Falls es unendlich viele solcher Primzahlen der Form 2k − 1 gibt, dann gibt es folglich auch unendlich viele perfekte Zahlen. Da aber bis heute nicht klar ist, wie viele Mersenne-Primzahlen existieren, zählt auch das zu den ältesten ungelösten Problemen der Mathematik.
Knapp daneben ist auch vorbei
In den folgenden 2000 Jahren gab es kaum Fortschritte auf dem Gebiet der perfekten Zahlen. Zwar hatten sich Gelehrte immer wieder damit beschäftigt und dabei interessante Aspekte in den bekannten Zahlenbeispielen entdeckt, doch diese brachten das Fachgebiet kaum voran. Auch der Mathematiker René Descartes hatte sich Anfang des 17. Jahrhunderts mit jenen Zahlen beschäftigt – und fast eine ungerade perfekte Zahl gefunden. Diese ist inzwischen als Descartes-Zahl bekannt: 198 585 576 189.
Die Descartes-Zahl hat die Teiler 3, 7, 11, 13 und 22 021. Addiert man alle sich daraus ergebenden echten Teiler der Zahl zusammen, erhält man wieder die ungerade Descartes-Zahl. Problem gelöst? Nicht ganz, denn ein Detail passt nicht: 22 021 ist leider keine Primzahl, sondern durch 19 und 61 teilbar. Schade. Descartes war trotzdem überzeugt, dass es ungerade perfekte Zahlen gibt – allerdings konnte er keine finden.
Genauso wenig wie sein Kollege Christian Goldbach, der etwa 100 Jahre später lebte und sich intensiv mit Primzahlen auseinandersetzte. (Auch er hat ein bis heute ungelöstes Problem hervorgebracht). Als er sich mit dem Mathematiker Leonhard Euler darüber unterhielt, gelang diesem ein bahnbrechender Beweis: Er konnte zeigen, dass die von Euklid vorgelegte Formel tatsächlich alle geraden perfekten Zahlen beschreibt. Falls es also eine perfekte Zahl geben sollte, die sich nicht als Produkt von 2k−1 und 2k − 1 schreiben lässt, dann muss es sich um eine ungerade perfekte Zahl handeln.
Und Euler ging sogar noch weiter. Er entdeckte die achte perfekte Zahl 230·(231−1) und konnte beweisen, dass eine ungerade perfekte Zahl folgende Form haben muss: p4k+1Q2, wobei Q eine natürliche Zahl ist und p eine Primzahl der Form 4n+1 ist. Damit hatten Mathematiker und Mathematikerinnen einen Anhaltspunkt dafür, wie ungerade perfekte Zahlen aussehen könnten.
Die Suche ist eröffnet
In den nächsten 150 Jahren wurde es still um die perfekten Zahlen. So schrieb der Mathematiker Peter Barlow in seinem 1811 erschienenen Buch »Theorie der Zahlen«: »Die achte perfekte Zahl ist die größte, die jemals entdeckt werden wird; denn da sie nur neugierig machen, ohne nützlich zu sein, ist es unwahrscheinlich, dass irgendjemand jemals versuchen wird, eine darüber hinaus zu finden.« Doch er hatte Unrecht.
Die Neugierigen suchten weiter nach perfekten Zahlen. Und als die Mathematik Fortschritte bei der Untersuchung von Mersenne-Primzahlen machte – insbesondere dank des Einzugs von Computern – wurden auch immer mehr perfekte Zahlen entdeckt. Inzwischen sind 51 perfekte Zahlen bekannt, die größte ist 282 589 932(282 589 933 − 1). Tatsächlich gehen zahlreiche Fachleute davon aus, dass es unendlich viele Mersenne-Primzahlen (und damit auch perfekte Zahlen) gibt, konnten das aber bisher nicht beweisen. In den 1980er Jahren stellten Mathematiker die Vermutung auf, dass es unter den ersten n Zahlen im Durchschnitt 1,78·log2(log2n)) Mersenne-Primzahlen gibt. Diese Funktion wächst für immer größere n zwar auch unbegrenzt an – aber nur extrem langsam. Ob diese Vermutung stimmt, konnte bisher jedoch nicht bewiesen werden.
»Die Existenz einer ungeraden perfekten Zahl – sozusagen ihr Entkommen aus dem komplexen Geflecht von Bedingungen, die sie von allen Seiten einschließen – käme einem Wunder gleich«James Sylvester, Mathematiker
Auch die Suche nach ungeraden perfekten Zahlen geht voran. Fachleute konnten immer mehr Anforderungen formulieren, die eine solche Zahl erfüllen müsste, falls sie denn existiert. Unter anderem ist inzwischen Folgendes bekannt:
- Die Zahl ist größer als 102200.
- Sie ist nicht durch 105 teilbar.
- Es trifft einer der drei Fälle zu: Wenn man die Zahl durch 12 teilt, erhält man als Rest eins; wenn man sie durch 468 teilt, erhält man als Rest 117; oder: wenn man sie durch 324 teilt, erhält man als Rest 81.
- Ihr größter Primteiler ist größer als 108 und kleiner als die dritte Wurzel von dreimal der Zahl selbst.
- Sie hat mindestens 101 Primteiler, von denen mindestens zehn verschieden sind. Falls 3 kein Primteiler ist, dann hat die Zahl mindestens zwölf verschiedene Primteiler.
- Es kann nur endlich viele ungerade perfekte Zahlen mit k Pimteilern geben.
All diesen – und noch mehr – Bedingungen gleichzeitig zu genügen, ist schwierig. Schon im 19. Jahrhundert, als noch deutlich weniger Anforderungen bekannt waren, sagte der MathematikerJames Sylvester: »Die Existenz einer ungeraden perfekten Zahl – sozusagen ihr Entkommen aus dem komplexen Geflecht von Bedingungen, die sie von allen Seiten einschließen – käme einem Wunder gleich.« Doch auch wenn immer mehr Anforderungen hinzukommen: Der Fachwelt gelang es noch nicht zu beweisen, dass es keine einzige Zahl gibt, die sie alle erfüllt.
Zurück zu den Fake-Primzahlen
Deshalb wenden sich einige Mathematiker wieder René Descartes' Ansatz zu: Sie untersuchen die fast ungeraden perfekten Zahlen, in die sich eine falsche Primzahl gemogelt hat. Tatsächlich ist es gar nicht so einfach, solche »Spoofs« zu finden, wie Mathematiker sie nennen. Erst 1999 wurde eine zweite Spoof-Zahl gefunden. In diesem Fall handelt es sich um 34·72·112·192·(−127), also um die Zahl −22,017,975,903. Ja, Sie sehen richtig: Es handelt sich hierbei um einen negativen Wert. Das negative Vorzeichen von 127 sorgt dafür, dass die Summe der echten Teiler aufgeht. Negative Werte sind bei der Untersuchung von Primzahlen und perfekten Zahlen aber nicht zulässig. Deshalb handelt es sich um einen Spoof.
Wie einige Fachleute erkannten, könnten sich Spoofs als äußerst nützlich erweisen. Denn sie stellen im Grunde eine Verallgemeinerung von ungeraden perfekten Zahlen dar. Falls man beispielsweise beweisen könnte, dass alle Spoofs notwendigerweise durch 105 teilbar sind, dann müsste das auch für ungerade perfekte Zahlen gelten – und damit hätte man einen Gegenbeweis zu ihrer Existenz erbracht (denn es wurde bereits bewiesen, dass ungerade perfekte Zahlen nicht durch 105 teilbar sein können, siehe die obige Liste an Anforderungen). Allerdings hat auch dieser Ansatz bisher noch nicht den erhofften Erfolg gebracht.
Vielleicht scheitern aber auch alle Beweisversuche, weil es ungerade perfekte Zahlen ja doch gibt. Ein einziges Beispiel für eine solche Zahl würde genügen, um alle bisherigen Bemühungen der Forschenden zu untergraben. Und es wäre nicht das erste Mal, dass die Mathematik alle überrascht hat.
Erratum: In einer ursprünglichen Version des Artikels stand, dass Euler gezeigt hätte, dass eine ungerade perfekte Zahl zwangsläufig mit einer Mersenne-Primzahl zusammenhängen würde. Das wurde korrigiert.
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