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Grams' Sprechstunde: Aber mir hat es doch geholfen!

Nadel gesetzt, Schmerz verschwunden. Hat wirklich das Getränk geheilt? Warum persönliche Erfahrungen gut sind, aber Studien als Nachweis für Wirksamkeit noch besser.
Nahaufnahme einer Hand, die Akupunkturnadeln in gerader Linie auf Haut setzt.

Die meisten kennen das: Eben noch elend gefühlt, kurz was genommen, schon geht es besser. Die Akupunkturnadel, der Tee oder das Wärmekissen hat geholfen, so scheint es. Das wirkt, lautet das Fazit. Gefolgt von der Empfehlung: »Du solltest das auch mal probieren!« Doch Vorsicht, nur weil man meint, etwas habe einem geholfen, muss es noch lange nicht wirksam sein.

Das Gehirn führt Menschen nämlich gern in die Irre. Es stellt schnell Zusammenhänge her und ordnet Sinneseindrücke zu Mustern, weil etwas zu erkennen das Gehirn zufrieden stellt – es läuft buchstäblich im Energiesparmodus: kurze Wege, bekannte Muster. Für den oben genannten Fall heißt das:
a) Präparat genommen und
b) baldige Besserung erlebt, bedeutet,
c) dass das Mittel gewirkt hat.
Doch nur weil man meint, etwas habe einem geholfen, muss es noch lange nicht wirksam sein. Es gibt zahlreiche Faktoren, dank derer Betroffene sich besser fühlen könnten, obwohl sie nicht das von der Arzneimittelbehörde zugelassene Medikament, sondern ein Mittelchen ihrer Wahl genommen haben. Weiße kleine Kügelchen beispielsweise, Schüßler-Salze oder Reiki.

Womöglich hatte der Körper in der Zwischenzeit die Chance, sich zu erholen. Vielleicht war es die Hochleistung des funktionierenden Immunsystems. Oder es wirkten die Hoffnung und Erwartung, die mitschwangen, als die Hausärztin oder der Apotheker das Mittel empfohlen hat.

Was kann die moderne Medizin leisten? Nutzt die Homöopathie? Was macht einen guten Arzt aus, und welche Rolle spielt der Patient? Die Ärztin und Autorin des Buchs »Was wirklich wirkt« Natalie Grams diskutiert in ihrer Kolumne »Grams' Sprechstunde« Entwicklungen, Probleme und eklatante Missstände ihrer Zunft. Alle Teile lesen Sie hier.

Für manche klingen diese Gründe banal, für andere zu weit hergeholt. Sie sind es aber keineswegs. Im Gegenteil: Die meisten davon sind häufig die wahrscheinlichere Ursache dafür, dass Hämatome oder Herzrasen, Ohnmachtsanfälle oder Ödeme, Durchfall oder Depressionen sich gebessert haben – oder gar ganz überstanden sind.

Von »Mir hat’s geholfen« zu nachweislich sicher und wirksam

Was einzelne Patientinnen und Patienten nicht leisten können, vollbringt die moderne Medizin, nämlich bloße Behauptungen von verlässlichen Daten zu unterscheiden. Anders ausgedrückt: Studien durchführen. Und zwar unter strengen Bedingungen.

Allein systematische Untersuchungen können zeigen, welche Medikamente oder Impfstoffe mehr nützen als schaden, welche gezielt helfen und welche nicht bloß wegen Placeboeffekten, die bei jeder Behandlung auftreten, den Eindruck erwecken. Das ist ein mühsamer, streng regulierter Prozess, und er stellt Forscher und Medizinerinnen vor die Herausforderung, kritisch zu prüfen, ob die Ereigniskette »schlecht – Medikament – besser« auf kausalen Zusammenhängen von Ursache und Wirkung beruht (siehe Infobox). Dazu muss die Wirkung überprüfbar und wiederholbar sein, also bei vielen verschiedenen Patientinnen und Patienten in gleicher Weise eintreten. Erst nach Jahren intensiver Prüfung lässt sich von einem wirksamen Medikament sprechen und erst danach von einem zugelassenen Arzneimittel.

Arzneimittel – von der Entwicklung bis zur Zulassung

Präklinische Studien sind der Anfang. Sie finden nicht an Menschen statt, sondern an Proteinen, Zellkulturen, Gewebekulturen oder isolierten Organen sowie mit diversen Versuchstieren: Ratten, Affen, Schweinen beispielsweise. Unter klaren Vorgaben prüfen Forscher Wirkstoffe auf mögliche Nebenwirkungen und versuchen, den tolerierbaren Dosisbereich am Menschen zu finden. Die Ergebnisse sollen helfen, die folgenden klinischen Studien sicher und zielführend durchzuführen. Kosten einschließlich der Forschung und Entwicklung: 200 bis 300 Millionen Euro.

Eine klinische Prüfung am Menschen ist laut Arzneimittelgesetz (AMG) »jede am Menschen durchgeführte Untersuchung, die dazu bestimmt ist, klinische oder pharmakologische Wirkungen von Arzneimitteln zu erforschen oder nachzuweisen oder Nebenwirkungen festzustellen oder die Resorption, die Verteilung, den Stoffwechsel oder die Ausscheidung zu untersuchen, mit dem Ziel, sich von der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit der Arzneimittel zu überzeugen«. Es gibt unterschiedliche Studiendesigns mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen.

In Phase I der Tests bekommen Gesunde den Wirkstoff (Überprüfung der Sicherheit und Verträglichkeit). In Phase II (Sicherheit in Patienten und des therapeutischen Effekts, Dosisfindung) und III (Wirkungsnachweis) wird das Mittel an Menschen getestet, die erkrankt sind. Alle Probandinnen und Probanden sind vollständig aufzuklären und sollen freiwillig einwilligen mitzumachen.

Hat es ein Mittel in Phase III geschafft, liegt die Markteintrittswahrscheinlichkeit bei 65 Prozent. Bis dahin hat ein Konzern jedoch bereits mindestens mehrere hundert Millionen Euro, wenn nicht gar Milliarden investiert.

Im Zulassungsverfahren wird ein Arzneimittel hinsichtlich seiner Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geprüft. Dabei sollte der Nutzen die Risiken überwiegen. Für eine Zulassung in Deutschland prüfen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), für den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum ist die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) zentral zuständig.

Phase-IV-Studien sollen anschließend die systematische und fortlaufende Überwachung sicherstellen. Das Ziel: insbesondere sehr seltene Nebenwirkungen und andere Risiken erfassen.

Sicherlich sind persönliche Erfahrungen nicht grundsätzlich irreführend. Doch es ist wichtig, sich der Schwäche von Anekdoten bewusst zu sein – mögen sie auch noch so emotional und überzeugend vorgetragen sein. Erfahrungswissen ist wertvoll, aber nahezu wertlos ohne Evidenz, also Studien.

Gleichzeitig gilt: Eine einzelne Studie macht noch keine Wirksamkeit. Die besten Belege liefern Überblicksarbeiten, auch Metaanalysen genannt, deren Autorinnen und Autoren zahlreiche Erfahrungen und Daten auswerten, vergleichbar machen und so ein objektives Urteil erlauben. Auch hier passieren Fehler, wird unsauber gearbeitet und manchmal sogar manipuliert und gelogen. Deshalb ist es wichtig, sich solche Studien, ihre Methodik und mögliche Interessenkonflikte der Autoren genau anzusehen. Das ist im Wissenschaftsbetrieb üblich, genau für die kritische Betrachtung durch andere Forscher werden Studien in Fachjournalen veröffentlicht. Bei allen Unzulänglichkeiten und Fallstricken bieten Studien dennoch einen objektiveren Blick darauf, was wirklich wirkt, als das persönliche Empfinden Einzelner.

Wo die Grenzen liegen, erleben wir während der Corona-Pandemie deutlich. Allein mit einer positiven Einstellung und einem funktionierenden Immunsystem kann der Körper dem Virus Sars-CoV-2 nur wenig entgegensetzen. Im Moment werden deshalb von Seiten der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) mehrere Heilkräuter wie Radix astragali (Huangqi) oder Fructus forsythia (Lianqiao) zur Prävention oder Behandlung empfohlen – aber eben auf Basis von sehr schlechten oder einseitigen oder einfach nicht aussagekräftigen Daten und Studien. Umso wichtiger, dass wissenschaftlich geprüfte Maßnahmen vorhanden sind, die mehr bieten als ein vages »Das könnte helfen«.

Noch gibt es weder eine Impfung oder eigens für die Krankheit entwickelte Medikamente. Denn auch bei schulmedizinischen Medikamenten kommt es auf diese Genauigkeit an. Dank sauber durchgeführten Untersuchungen an tausenden Menschen gibt es mit Remdesivir und Dexamethason zwar zwei Wirkstoffe, die einigen Covid-19-Kranken nachweislich helfen können, jedoch längst nicht so sehr wie zunächst erhofft. Aber die Möglichkeiten und Grenzen dieser Mittel sind dank der genauen Forschungsarbeit inzwischen ziemlich genau bekannt.

Was die moderne Medizin lehrt: Es gilt zu unterscheiden, was allgemein guttut, was das Immunsystem unterstützt und was wirklich wirkt, also eine spezifische Arzneimittelwirkung vorweisen kann, ohne falsche Hoffnung zu schüren. Mit diesem Wissen lässt sich dann die richtige Therapie finden, wenn das Immunsystem und die Kontexteffekte allein es nicht richten können. Bloß auf »Versuch und Irrtum« – und nichts anderes war die »reine Erfahrungsmedizin« – ist die Medizin längst nicht mehr angewiesen. Das ist beruhigend. Denn im Zweifel hängt das Leben davon ab.

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