Warkus' Welt: Der Duft der Erkenntnis
»Ich glaube nichts, was ich nicht selbst gesehen habe.« Diesen Satz hört man oft. Selten wird hingegen interessanterweise etwas gesagt wie: »Ich glaube nichts, was ich nicht selbst gerochen habe.« Das Sehen spielt für uns schon rein umgangssprachlich gegenüber unseren anderen Sinnen eine herausgehobene Rolle.
Auch in der Bildungssprache, in einem Vokabular, das historisch zur Philosophie gehört, finden sich Hinweise auf diese Privilegierung des Sehens. Wenn zum Beispiel davon gesprochen wird, etwas sei evident, also im buchstäblichen Sinne offensichtlich. Zumindest die europäische philosophische Tradition ist stark von dem Gedanken geprägt, dass das, was »klar und deutlich« zu sehen ist, auch wahr ist. (Die Formulierung »klar und deutlich« ist untrennbar mit René Descartes verbunden, der traditionell als Begründer der neuzeitlichen abendländischen Philosophie gilt. Er bleibt auch in der Sehmetapher, wenn er die Fähigkeit des Menschen, »evidente« Wahrheiten zu erkennen, als »natürliches Licht« bezeichnet, ein Ausdruck, der seit der römischen Antike etabliert ist.)
Dass gerade unser Sehsinn als so zuverlässig gilt, dass man ihn mit Einsicht in die Wahrheit schlechthin gleichsetzt, wundert einerseits nicht, da der Mensch ein Augentier ist: Wir können in der Regel nicht hören, wo unsere Möbel stehen, und unsere Freunde und Angehörigen nicht am Geruch erkennen. Andererseits wissen wir natürlich, dass man, wenn es sein muss, auch blind durchs Leben gehen kann. Und dass unsere optische Wahrnehmung uns täuschen kann. Doch dadurch, dass wir unsere visuellen Eindrücke vergleichen und mit anderen Erkenntnisquellen abgleichen können, wissen wir, was wir statt dem, was wir sehen, »in Wirklichkeit sehen müssten«, und denken uns die Welt immer noch als eine, die wir im Großen und Ganzen korrekt visuell wahrnehmen.
Nicht alles kann man sehen
Unser wissenschaftliches Weltverständnis operiert allerdings ganz entscheidend mit Gegenständen, die überhaupt nicht zu sehen sind, eventuell nicht einmal mit Hilfsmitteln. Während man noch diskutieren kann, ob ein Virus, das nur auf dem Bildschirm eines Elektronenmikroskops zu sehen ist, nicht doch irgendwie sichtbar ist, ist ein elektromagnetisches Feld wirklich gar nicht zu sehen, gleich wie man es dreht und wendet.
Philosophie, insbesondere Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, arbeitet sich daher seit Jahrhunderten intensiv an der Vorstellung ab, dass die Wahrheit »offen zu Tage liegt« und nur irgendwie unvoreingenommen »angeschaut« werden muss, um erkannt zu werden. Letztlich ist auch unser Denken darüber, wie unsere Sinne auf biologischer und neurowissenschaftlicher Ebene funktionieren, wiederum von diesen altgedienten philosophischen Vorstellungen geprägt.
Dies zeigt sich zum Beispiel darin, dass der Geruchssinn in den modernen Neuro- und Kognitionswissenschaften ein wenig stiefmütterlich behandelt wird. Die anderen Sinne scheint man zumindest annähernd mit der Idee in den Griff bekommen zu können, dass da ein Gegenstand in der Außenwelt sozusagen ins Gehirn projiziert wird, so dass man die Strukturen eines gesehenen Bilds oder eines gehörten Klangs irgendwie analog als neuronales Muster wieder auffinden kann. Beim Riechen ist das allerdings deutlich schwieriger.
Uns klarzumachen, dass nicht alle Sinne wie das Sehen funktionieren, kann dazu beitragen, unser kritisches Denken darüber, wie wir an gesichertes Wissen über unsere Außenwelt kommen, zu schärfen. Es lohnt sich also auch für die Philosophie, nicht nur hinzuschauen, sondern auch genau hinzuriechen.
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