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Warkus' Welt: Kann gut sein schlecht sein?

Wer Gutes tut, liegt damit nicht zwangsläufig richtig. Das suggerieren Begriffe wie »Gutmensch«. Doch kann man Gutsein überhaupt legitim kritisieren? So fragt unser Kolumnist. Und wenn ja: Was verrät das über den Kritiker?
Ein junger Mann gibt einem Pärchen an der Lebensmitteltafel lächelnd eine Tüte mit Lebensmitteln.
Gutes zu tun und anderen wie hier zu helfen, ist eigentlich erstrebenswert. Manchmal wird es Menschen aber auch zum Vorwurf gemacht.
Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

Sind Sie gerne gut? Nicht in dem Sinne, dass Sie Aufgaben besonders vorbildlich erledigen oder im Wettbewerb mit anderen besser abschneiden, sondern im moralischen Sinne: Sind Sie gerne ein guter Mensch?

Im ersten Moment scheint das eine seltsame Frage zu sein. Wer freut sich nicht darüber, Gutes zu tun? Und umgekehrt: Wer möchte schon böse sein? Dem deutschen Sprachgebrauch zufolge ist es allerdings durchaus möglich, jemandem einen Vorwurf daraus zu machen, dass er gut sein möchte. Die steile und weitgehend ungebremste Konjunktur des Begriffs »Gutmensch« seit 1990 ist ein Indiz dafür. In die gleiche Kerbe schlägt das etwas altmodischere Wort »moralinsauer«, das eine übertrieben moralisierende Person bezeichnet – abwertend, wohlgemerkt. Wie lässt es sich erklären, dass aus etwas, das vermutlich die meisten Menschen sein möchten, ein Schimpfwort geworden ist?

Natürlich kann es sein, dass ein Wort als bloße Hülse oder Floskel verwendet wird. Nehmen wir an, jemand schüttet im Park seine Grillasche auf die Wiese und jemand anderes macht ihn darauf aufmerksam, dass dies nicht nur verboten, sondern auch in vielerlei Hinsicht schlecht ist. Wenn der Übeltäter die Person, die ihn zurechtweist, in dieser Situation als »Gutmensch« beschimpft, steht dahinter sicher keine vertiefte Auseinandersetzung mit den Grundfragen moralischen Handelns, sondern vielmehr das Bedürfnis, Kontra zu geben.

Doch unterstellen wir einmal, es könnte auch eine legitime Kritik am Gutsein geben. Wie könnte die aussehen? Dass man böse statt gut sein sollte, kann sicher nicht gemeint sein. Auch nicht, dass niemand mehr Maßstäbe zur Bewertung des Handelns haben dürfe. Das erste Szenario ist schwer zu verallgemeinern – eine Gesellschaft, in der alle möglichst böse sein wollen, würde vermutlich recht schnell auseinanderfallen. Es ist nur »geil, ein Arschloch zu sein«, wenn es auch jemanden gibt, den man ausnutzen kann. Das zweite Szenario, dass niemand irgendwelche Werte haben sollte, führt sich selbst ad absurdum: »Habe keine Gebote!« ist selbst ein Gebot, und selbst um grenzenlos egoistisch zu sein, braucht man Bewertungskriterien, um zu entscheiden, welche Handlungen eben das sind: egoistisch.

Es geht also nicht darum, Moral als solche zu bekämpfen. Sondern darum, eine bestimmte Form von Moral, die man für die bessere oder legitimere hält, stark zu machen gegen eine Form von Moral, die man für populär, aber suboptimal hält. Zwei Begriffspaare, die in der deutschsprachigen Diskussion hierfür oft zum Einsatz kommen, sind »Moral und Hypermoral« (nach dem gleichnamigen Werk des konservativen Philosophen Arnold Gehlen von 1969) sowie »Gesinnungsethik und Verantwortungsethik« (nach einem Vortrag des Soziologen Max Weber im Jahr 1919).

Oft haben die ins Feld geführten Argumente wenig mit den Inhalten der Texte zu tun, die diese Ausdrücke bekannt gemacht haben. Auch hier findet also eine Art »Verworthülsung« statt. Man kann aber ganz grob sagen, dass mit dem Begriffspaar Gesinnungsethik–Verantwortungsethik ein Unterschied aufgemacht werden soll zwischen einem Handeln einerseits, das bestimmte Überzeugungen zum Selbstzweck macht, selbst wenn dies schädliche Auswirkungen hat, und einem Handeln mit Augenmaß andererseits, das die Übernahme von Verantwortung für seine Folgen einschließt.

Das Problem mit der Verantwortungsethik

Bringen wir diesen Gedanken ein, dann wäre der Vorwurf des »Gutmenschentums« genau dann legitim, wenn der Betroffene durch das Handeln nach einer tendenziell engstirnigen Vorstellung des moralisch Guten Folgen provoziert, die nach einem übergeordneten moralischen Maßstab als schlecht zu gelten haben. Ein großes Problem bei dieser Art von Vorwurf ist allerdings, dass dabei eventuell umfangreiche Annahmen über den Mechanismus getroffen werden, der die Folgen hervorbringt.

Nehmen wir ein beliebtes, wenn auch vielleicht etwas abgedroschenes Beispiel: Jemand ist äußerst pingelig bei der Mülltrennung und rüffelt regelmäßig seine Nachbarn, wenn sie etwas in die falsche Tonne werfen. Das nervt die Nachbarn nun so, dass sie aus reiner Reaktanz komplett aufhören, Müll zu trennen, ja sogar absichtlich die Tonnen völlig falsch befüllen. Man könnte nun sagen, dass der nervige Nachbar diese Konsequenz zu verantworten hat – aber andererseits musste der Rest des Hauses nicht notwendigerweise derartig kindisch auf seine Zurechtweisungen reagieren. Dass die Retourkutsche für den Nachbarn einem im Zweifel wichtiger ist als die Müllgebühren und die Umwelt, ist kein Naturgesetz.

Wer Menschen, in welcher Formulierung auch immer, dafür kritisiert, zu moralisch zu sein, kann also unter Umständen einen gültigen Punkt haben. Nur ist dieser in der Regel voraussetzungsreich und diskutabel. Jedenfalls muss sich die Person den Schuh anziehen, dass sie damit selbst beansprucht, noch moralischer zu sein – ob sie will oder nicht.

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