Warkus' Welt: Alles nur ein Traum?
Vor vielen Jahren, ich war kurz zuvor in ein sehr kleines Zimmer gezogen, wachte ich morgens mit dem Gedanken auf, dass ich mir vor Kurzem auf dem Flohmarkt einen Plattenspieler und eine ganze Menge Vinylplatten gekauft hatte. Ich ärgerte mich sehr über diese spontane, aber unpraktische Entscheidung. Mein Zimmer war nämlich wirklich sehr, sehr klein; eigentlich hatte ich gar keine freie horizontale Fläche, die groß genug gewesen wäre, um den Plattenspieler dort aufzustellen, von einem Regal für Schallplatten ganz zu schweigen. Ich steigerte mich richtig hinein in meinen Ärger über mich selbst. Nach einiger Zeit aber dämmerte mir dann, dass der ganze Gedankengang Unfug war. Ich hatte keinen Plattenspieler gekauft und auch keine Platten; es war alles nur ein sehr lebensechter Traum gewesen.
Woher wusste ich beim Nachdenken über all dies nun, dass ich nicht mehr träumte? Und hätte es nicht auch umgekehrt sein können, dass ich nämlich träumte, ich sei wach geworden, während ich in Wirklichkeit neben meinem sperrigen neuen Plattenspieler weiterschlummerte? Es kommt ja vor, dass wir träumen, dass wir wach sind; es kommt sogar vor, dass wir träumen, dass wir träumen. Es könnte also zu jedem Zeitpunkt sein, dass wir träumen. Woran können wir Traum und Wirklichkeit zuverlässig unterscheiden? Können wir überhaupt je ausschließen, dass wir träumen?
Diese Frage beschäftigt die Philosophie schon seit der Antike und hat ihre berühmteste Behandlung in den 1641 erschienenen »Meditationen« von René Descartes (1596–1650) gefunden, die oft als das Werk betrachtet werden, mit denen die Philosophie der Neuzeit beginnt. Dort denkt der Erzähler darüber nach, dass er im Traum schon völlig gewöhnliche Alltagssituationen erlebt hat, und muss feststellen:
»dass nie durch sichere Merkmale der Schlaf vom Wachen unterschieden werden kann, und dies macht mich so stutzig, dass ich gerade dadurch fast in der Meinung zu träumen bestärkt werde«René Descartes, Philosoph
Für Descartes ist das Nachdenken über Traum und Täuschung ein Element der skeptischen Betrachtung, in deren Zuge der Nachdenkende alles in Zweifel zieht: Neben seinem Wachzustand stellt er auch seine Fähigkeit, die Außenwelt zuverlässig mittels Sinnesorganen wahrzunehmen, in Frage. Sogar das logische und mathematische Denken, das doch so zuverlässig und von allem Äußeren unabhängig gültig scheint, muss er anzweifeln, denn es könnte ja einen »bösen Geist« geben, der ihm falsche Gedanken eingibt.
Der Ausweg aus dem Zweifel führt in Descartes' »Meditationen« letztlich über den Beweis der Existenz Gottes, denn ein allmächtiges gutes Wesen kann eine Täuschung seiner Geschöpfe in diesem Umfang nicht wollen und nicht zulassen. Nachdem er somit abgesichert hat, dass seine Sinne ihn zumindest im Wachen nicht trügen, stellt er ein Kriterium für den Unterschied zwischen Wachen und Traum auf, nämlich die konsistente Wahrnehmung von Gegenständen, »bei denen ich deutlich bemerke, woher sie kommen, wo sie sind und wann sie sich ereignen, in stetigem Zusammenhang mit meinem ganzen übrigen Leben«. Sie gibt es nur im Wachen, während im Traum Gegenstände auftauchen und verschwinden, wie sie wollen.
Bis heute sind ähnliche Überlegungen gängig – der Unterschied von Traum und wachem Erleben wird an Abweichungen der Farbwahrnehmung festgemacht, an der Abwesenheit von echtem Schmerz, etwa wenn man sich kneift, oder auch daran, dass wir im Traum zuweilen durch bloße Vorstellung die Außenwelt verändern können, was im Wachen nicht funktioniert. Es gibt sogar das Argument, dass wir gerade deswegen problemlos über Träume so reden, als ob sie real wären (»Ich war beim Zahnarzt, aber der Zahnarzt war mein alter Klassenlehrer«), weil wir alle wie selbstverständlich wissen, dass Träume vollständig anders funktionieren als die wache Realität. Wenn das tatsächlich so ist, dann können wir durch das Nachdenken über Träume vielleicht gar nichts über die Beschaffenheit der Wirklichkeit lernen. Dass wir träumen, liefert uns aber auf jeden Fall ein Indiz dafür, dass es sich lohnt, allgemein darüber nachzudenken, was Wirklichkeit überhaupt ausmacht, weil es eben auch etwas anderes geben könnte.
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