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Warkus' Welt: Woher das Licht der Erkenntnis stammt

Licht steht für Vernunft und Erkenntnis. Anders als man annehmen könnte, geht das Bild aber nicht auf das Christentum zurück. Es ist deutlich älter, erklärt unser Kolumnist.
Illustration eines Mannes mit einer Lampe in der Hand vor einem dunklen Hintergrund
Die Metapher vom Licht, das für Erkenntnis steht, lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen.
Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

Licht ins Dunkel bringen. Sachverhalte erhellen. Einleuchtende Erklärungen finden. Wenn wir über Philosophie, Wissenschaft oder das menschliche Erkenntnisstreben ganz allgemein reden, greifen wir oft auf Ausdrücke zurück, die etwas mit Licht zu tun haben. Woher kommt das?

Man könnte annehmen, dass die christliche Religion etwas damit zu tun hat. Schließlich bezeichnete sich Jesus dem Johannes-Evangelium zufolge selbst als das »Licht der Welt«, und das nizänische Glaubensbekenntnis (das ausführlichere der beiden in den großen christlichen Kirchen üblichen) spricht von ihm bis heute als »Licht vom Licht«. Doch das Neue Testament ist nicht der Ursprung dieser Vorstellung. Dann vielleicht das Alte? In Psalm 119 etwa steht der auch für Taufsprüche beliebte Vers »Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.« Hier ist also das Wort Gottes das Licht – und nicht die menschliche Vernunft.

Tatsächlich wird die Metapher von Vernunft als Licht an der wohl berühmtesten Stelle ihrer Wirkungsgeschichte eher gegen das Christentum mobilisiert: Die intellektuelle, tendenziell kirchenkritische und in Teilen dem Atheismus zugeneigte Bewegung des 18. Jahrhunderts, die wir im Deutschen »Aufklärung« nennen, trägt in vielen Sprachen das Licht bereits im Namen: »Enlightenment«, »Les Lumières«, »Ilustración«, »Illuminismo«, »Verlichting«, »Просвещения« sind nur einige Beispiele.

Schon lange vor Christi Geburt wurden Vergleiche zwischen dem menschlichen Geist und Licht gezogen, etwa in Aristoteles’ Werk »Von der Seele« (»Peri psychês«, zirka 350 v.Chr.). Dort wird ein Aspekt der menschlichen Seele beschrieben, der im Denken Sachen schafft, ähnlich wie Licht Farben schafft: Potenziell Farbiges wird schließlich auch erst dadurch farbig, dass Licht darauf fällt. Da Aristoteles über Jahrhunderte hinweg der meistrezipierte Philosoph im christlichen Raum (und darüber hinaus) war, könnte man ohne Weiteres davon ausgehen, dass seine Worte eine bleibende Wirkung hinterlassen haben.

Aber auch Aristoteles hat das Lichtmotiv nicht erfunden. Es taucht bereits eine Generation früher bei seinem Lehrer Platon auf, der in einem seiner berühmtesten Gleichnisse, dem Sonnengleichnis, in seinem wahrscheinlich einflussreichsten Werk »Politeia« das Verhältnis von Sonne und Sehsinn mit dem zwischen dem Guten und der menschlichen Vernunft vergleicht. Demnach sind Sehsinn und Licht nicht die Sonne selbst, sondern ihr nur ähnlich. Und entsprechend sind Erkenntnis und die erkennbare Wahrheit dem Guten zwar ähnlich, aber nicht mit ihm gleichzusetzen. Das Gute steht über der Erkenntnis und der Wahrheit.

Die Idee, dass eine externe, positiv bewertete »Lichtquelle« notwendig ist, damit der Mensch schlüssig denken und richtig handeln kann, wurde über verschiedene Instanzen von der griechischen Philosophie schließlich auch ans Christentum weitergereicht. Dort ist »das natürliche Licht« ein feststehender Ausdruck für die menschliche Fähigkeit, aus eigener Kraft zu Erkenntnissen zu gelangen – die nach mittelalterlicher christlicher Vorstellung freilich in letzter Konsequenz von Gott verliehen wird. René Descartes (1596–1650), der traditionell als Begründer der neuzeitlichen Philosophie europäischer Tradition gilt, schränkte das »natürliche Licht« dann wiederum auf die Fähigkeit ein, das zu erkennen, was »klar und deutlich gesehen« wird.

Spätestens mit der Entwicklung der wissenschaftlichen Optik im 17. Jahrhundert hat das Licht als philosophische Metapher einen neuen Akzent bekommen. Statt als abstraktes, alles erfüllendes Prinzip mit übernatürlicher Abkunft wird das Licht nun als physikalisches Phänomen zum Thema und ebenfalls zur Metapher. Das zeigt etwa der berühmte Brief des Literaten Heinrich von Kleist an seine Verlobte Wilhelmine von Zenge vom 22. März 1801. Dort erläutert er die Erkenntnistheorie von Immanuel Kant mit dem Vergleich: »Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urtheilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün«.

In allerjüngster Zeit gibt es wieder andere, allgegenwärtige Lichtphänomene, nämlich Flächen aus Pixeln. Es wundert daher nicht, dass für bestimmte philosophische oder theoretisch-physikalische Konzepte, die davon ausgehen, dass die Raumzeit eine Struktur aus diskreten Teilen aufweist, der Vergleich der Realität mit einem mehrdimensionalen Display aufgekommen ist. Die diskreten Elemente wären darin gewissermaßen die Pixel. Der Mensch ist ein Augentier. Ob in der Antike oder in der Neuzeit: Seine Neigung, das, was mit dem Sehen zu tun hat, als Modell für allerhand Abstraktes zu nehmen, ist offensichtlich ungebrochen.

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