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Warkus' Welt: Kann man mit Kindern philosophieren?

Mit Siebenjährigen über Philosophie sprechen – geht das? Kommt darauf an, was man unter Philosophie versteht, sagt Kolumnist Matthias Warkus und erzählt von seinen eigenen philosophischen Anfängen.
Mädchen blickt nachdenklich aus einem winterlichen Fenster
Kinder haben schon früh philosophische Fragen. Ob sie auch philosophieren, ist allerdings eine Frage der Definition. (Symbolbild)

Man kann in Deutschland ein ganzes Leben verbringen, ohne nennenswert mit Philosophie in Kontakt zu kommen. Quasi alle, die hier zu Lande in der Philosophie tätig sind, betrachten das als Problem: Wenn es eine Forderung gibt, auf die sie sich einigen können, dann ist es die nach mehr Philosophieunterricht in der Schule. Als Vorbild dient häufig das französische Schulsystem, in dem Philosophie zum Pflichtprogramm gehört, insbesondere kurz vor dem dortigen Äquivalent zur Abiturprüfung.

Das Leben findet aber bekanntlich nicht nur in der Sekundarstufe statt. Wenn man davon ausgeht, dass der Kontakt mit Philosophie eine gute Sache ist: warum dann erst mit 14 oder 16 Jahren? Seit etwa den 1970er Jahren beschäftigt sich die Wissenschaft in den USA näher mit dem Thema »Philosophie für Kinder« oder »Philosophieren mit Kindern«, und seit Ende der 1980er geschieht das auch in den deutschsprachigen Ländern. Im Gefolge wurde das Thema immer beliebter. Man konnte zwar den Eindruck gewinnen, dass es den Höhepunkt seiner Popularität überschritten hat, seit der Philosophie-Boom der Nullerjahre abklingt – doch in nächster Zukunft ist zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen die Einführung eines Grundschulfachs »Praktische Philosophie« als Ersatzfach für den Religionsunterricht geplant.

Soll man mit Kindern also Philosophie treiben, und wenn ja, wie? Es ist offensichtlich, dass komplexe Fragestellungen, wie man sie im Philosophieunterricht der Oberstufe diskutiert, für Grundschul- oder gar Kindergartenkinder noch nicht geeignet sind. Mit Siebenjährigen wird man beispielsweise nicht besprechen können, ob Immanuel Kants Kategorischer Imperativ eine brauchbare Richtschnur für persönliches Handeln darstellt. Aber mit Siebenjährigen löst man ja auch im Mathematikunterricht keine Differenzialgleichungen.

Für und wider den Philosophieunterricht

Die Frage, ob man mit Kindern sinnvoll Philosophie betreiben kann, ist demnach letztlich (wie so oft) eine Frage danach, was man unter Philosophie versteht. Das Kennenlernen und kritische Bewerten von Theorien anhand von Texten aus der wissenschaftlichen Literatur kann hier nicht gemeint sein. Befürworter des Philosophierens mit Kindern argumentieren jedoch, dass man in den Fragen von Kindern (und zwar auch schon von kleinen) Probleme und Überlegungen auffinden kann, die die »große« akademische Philosophie ebenfalls kennt. In seinem klassischen Werk zum Philosophieren mit Kindern von 1980 stellt der amerikanische Philosoph Gareth Matthews (1929–2011) das Beispiel eines Sechsjährigen vor, der fragte, woran man denn erkennen könne, dass nicht alles bloß ein Traum sei. Wer formal philosophisch gebildet ist, muss hier sofort an René Descartes denken. Dessen Auseinandersetzung mit dem Problem, ob nicht alles bloß Täuschung sein könnte, gilt traditionell als Startschuss für die moderne europäische Philosophie.

Das »Philosophieren mit Kindern« ist allerdings auch Kritik ausgesetzt, wie man etwa in dem 2020 von Caroline Heinrich und anderen herausgegebenen Sammelband »Alle Tassen fliegen hoch!« nachlesen kann. Nicht nur ist die Art und Weise, wie Kindern philosophische Themen nahegebracht werden sollen, oft nicht besonders ergebnisoffen: wenn zum Beispiel mit einem bemalten weißen Ball als »Traum« Spiele gespielt werden, bevor es überhaupt zur Diskussion darüber geht, was Träume eigentlich sind. Auch die Interpretation kindlicher Äußerungen hat mehr mit der Denkweise von Erwachsenen zu tun als mit der von Kindern. Dass man etwas, was ein Kind sagt, auf Descartes beziehen kann, gilt als Nachweis für philosophisches Denken – aber ohne dass man beurteilt hätte, wie es wirklich denkt. Abstrakt zu denken, darüber zu reflektieren und das Ergebnis so kompetent sprachlich auszudrücken, dass andere diese abstrakten Gedanken beurteilen können: Diese Fähigkeiten erwerben Kinder erst allmählich. Wenn man die Entwicklungspsychologie fragt, sind sie tendenziell erst mit elf oder zwölf Jahren so weit.

Philosophische Gedanken oder doch nur Geplapper?

Wenn ich an meine eigene Kindheit zurückdenke, finde ich Anhaltspunkte für beides. Einerseits haben meine Freunde und ich uns schon im Grundschulalter mit genuin philosophischen Fragen beschäftigt. Ich bin meiner Umgebung ordentlich auf die Nerven gegangen, als ich irgendwann entdeckt habe, dass man über die Existenz Gottes diskutieren kann. Ich erinnere mich auch recht genau an den Satz eines Klassenkameraden: »Die Mitte der Mitte hat selber wieder eine Mitte« (oberflächlich gelesen könnte das auch von Platon oder Hegel sein). Ein anderer dachte intensiv darüber nach, warum Menschen böse zueinander sind und ob man das beheben könnte, indem man das Geld abschafft.

Die Art und Weise jedoch, wie wir als Grundschulkinder diese Themen »bearbeitet« haben, war natürlich nicht »philosophisch«. Ich erinnere mich, dass ich über die Sache mit Gott unbedingt etwas schreiben wollte und dabei dachte, ich müsste irgendwie das Wort »Perspektive« unterbringen, vielleicht weil ich aufgeschnappt hatte, dass es in gebildeten Diskussionen vorkam. Genauso gut erinnere ich mich, dass ich überhaupt nicht wusste, was dieses Wort bedeutet, und dass es mir auch egal war. Meine Überlegungen zur Existenz Gottes waren letztlich irgendwie beides: philosophisch interessiert und doch nur Geplapper.

Mein Kollege David Löwenstein hat neulich eine nur halb unernst gemeinte Definition von Philosophie zitiert, die der Stanford-Professor David Hills formuliert hat: Philosophie sei »der unbeholfene Versuch, Fragen anzugehen, die für Kinder selbstverständlich sind, und dabei Methoden zu verwenden, die für Anwälte selbstverständlich sind«. Das, was wir in der Regel Philosophie nennen, mag Themen behandeln, die Kinder faszinieren und über die man hervorragend mit Kindern reden kann. Aber das ist nur die eine Seite. Über die Bedeutung der anderen Seite – die Komplexität, Abstraktion und Spitzfindigkeit des in der wissenschaftlichen Philosophie erwarteten Vorgehens – kann man streiten, wenn auch eher nicht mit Kindern.

Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

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