Datensicherheit: Physiologische Daten müssen vertraulich bleiben
Bei wie vielen Menschen steht unter dem Fernseher inzwischen eine Xbox One? Diese neue Konsole ist beeindruckend, und das nicht nur auf Grund ihrer Spiele und Grafik: Sie ist zudem mit einer Kamera ausgestattet, die von den im Raum anwesenden Personen die Herzschlagfrequenz erfassen kann. Der Sensor ist für Sportspiele gedacht, damit die Spieler parallel Veränderungen der Herzfrequenz überwachen können. Im Prinzip könnte dasselbe System aber auch Informationen über physiologische Reaktionen auf Werbung, Horrorfilme oder sogar Parteisendungen erfassen und übermitteln.
Die Xbox One ist die erste kommerzielle elektronische Hardware, die "Physiological Computing" integriert hat, also die Erfassung und Verarbeitung von physiologischen Daten. Diejenigen von uns, die in diesem Feld arbeiten, würden gern die Art und Weise verändern, wie Menschen in ihrem täglichen Leben mit elektronischen Geräten umgehen. Doch wie bei allen Technologien gibt es auch eine dunkle Seite, und die größte Befürchtung betrifft die mögliche Verletzung der Privatsphäre. Die riesige Fangemeinde der Xbox One lässt vermuten, dass eine solche Anwendung eine große Reichweite hätte. Deshalb ist es an der Zeit, die Vorteile und Risiken der neuen Technologie zu diskutieren – auch angesichts der ersten internationalen Konferenz zu diesem Thema, die vom 7. bis 9. Januar in Lissabon stattfand.
Unser Körper sendet ständig Signale
Die meisten Menschen denken nicht darüber nach, dass ihr Körper quasi ständig Informationen sendet, doch genau das tut unser Nervensystem – vom ersten Herzschlag eines Embryos bis zum letzten Atemzug. Entsprechende Schnittstellen wandeln diese Daten in Eingangssignale für computergesteuerte Systeme um, indem sie die physiologischen Signale als Proxy für Tastatur und Maus verwenden. Hirn-Computer-Schnittstellen sind beispielsweise inzwischen in der Lage, auf der Basis von Schwankungen in Hirnströmen einen Cursor auf einem Bildschirm zu steuern.
Mit derselben Technologie lässt sich auch eine spontane Aktivität von Gehirn und Körper erfassen und sich daraus der emotionale und kognitive Zustand eines Menschen ableiten. Gefühle wie Ärger oder Frustration beispielsweise verraten sich durch spezifische Veränderungen in der Herz-Kreislauf-Aktivität und Atemmustern. Gesteigerte Konzentration bei schwierigen Aufgaben produziert charakteristische Veränderungen in der Aktivierung von Hirnregionen, die mittels Elektroenzephalogramm (EEG) aufgezeichnet werden können.
Der gläserne Mensch?
Wissenschaftler möchten mit Hilfe dieser physiologischen Veränderungen Technologien entwickeln, die auf äußere Umstände reagieren und die Gegebenheiten anpassen, um die Qualität von Mensch-Computer-Interaktionen zu verbessern. Ein Computer, der anhand der Herzsignale Frustration erfassen würde, könnte so programmiert werden, dass er in diesem Fall Hilfe anbietet oder beruhigende Musik spielt. Sensoren in einem Smartphone würden Stress während einer anstrengenden Fahrt bei dichtem Verkehr oder schlechtem Wetter registrieren und automatisch alle Anrufe auf die Mailbox umleiten. Dieses Szenario, in dem Software proaktiv und auf implizitem Wege auf dynamische Signale des Benutzers reagiert, wäre eine radikale Abkehr von der Art und Weise, wie wir Computer heute nutzen.
Ein gutes Beispiel ist die digitale Gesundheit, bei der drahtlose Geräte und Sensoren physiologische Aktivität aufzeichnen und so eine Fülle an quantitativen Daten zu Lebensstil und Gesundheitszustand liefern. Diese Daten können aufzeigen, wie sich veränderte Sport- oder Essensgewohnheiten auf physiologische Marker wie die Herz-Kreislauf-Aktivität auswirken. Ein Kollege, der ein Jahr lang ununterbrochen seine Herzschlagfrequenz mit einer Pulsuhr überwachte, erkannte beispielsweise, wie seine Arbeitsbelastung sein Schlafverhalten beeinflusste. Diese Art von ambulanter Messung – und der kumulativen Sammlung von Information – liefert große Datenmengen für jedes Individuum.
Die größte Hürde für eine solche Technologie ist bisher der Mangel an Sensoren, die sowohl unauffällig als auch fähig sind, qualitativ hochwertige Daten zu liefern. Das Feld tragbarer Sensoren entwickelt sich jedoch rasant. Das traditionelle Bild vom verkabelten Versuchsteilnehmer wird zunehmend abgelöst von einem neuen Bild, in dem diskrete, ambulante Sensoren die Daten direkt und kontinuierlich an Mobilgeräte übermitteln. Die Kameras von Smartphones ermöglichen, mit der entsprechenden App die Herzschlagfrequenz direkt vom Finger oder sogar aus der Distanz vom Gesicht abzulesen. Mit jeder Verbesserung der Sensoren wächst auch ihre Akzeptanz in der Bevölkerung. Ihre zunehmende Verbreitung wird ihrerseits nicht nur die Qualität der von ihnen erfassbaren Daten verbessern, sondern auch die möglichen Anwendungsbereiche ausdehnen. Eine kontinuierliche ambulante EEG-Überwachung zum Beispiel könnte für Epilepsie charakteristische Muster der Hirnaktivität aufdecken – eine hilfreiche Information nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für Versicherungsunternehmen.
Wem gehören die Daten?
Solche Fortschritte werfen natürlich Fragen auf: Wem gehören die Daten? Wer darf solche Informationen erheben und speichern? Als Forscher würde ich nie ohne Einwilligung physiologische Daten eines Menschen im Labor oder außerhalb erheben. Doch die Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre sind real, und ich denke, den meisten wäre bei solchen neuen Technologien wohler, wenn es lieber heute als morgen angemessenen Schutz und Regelungen gäbe. Die Fortschritte in der Genomik und der Gensequenzierung lösen bei vielen die Befürchtung aus, dass Dritte heimlich auf diese genetischen Daten zugreifen und sie analysieren können – und sei es nur ein Vaterschaftstest anhand einer Probe von einer benutzten Kaffeetasse (in Deutschland ist ein solcher heimlicher Vaterschaftstest seit 2010 verboten). Doch das Feld des "physiologischen Computing" benötigt auch Regelungen und Richtlinien für Forscher und andere.
Wir stehen erst am Anfang dieser Debatte, doch gibt es einen Punkt, der allen weiteren Diskussionen zu Grunde liegen sollte: Physiologische Daten einer Person sollten ihr gehören. Die Grundhaltung muss sein, dass diese Daten genauso vertraulich sind wie medizinische Akten – denn genau das sind sie.
Der Artikel erschien unter dem Titel "Physiological data must remain confidential" in Nature 505, S. 263, 2014.
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