Die fabelhafte Welt der Mathematik: Pi ist überall – Teil 3.14159: Die geheimnisvollen Fünfen
Haben Sie einen Taschenrechner griffbereit? Ein Browserfenster mit Google oder ein Smartphone tun es notfalls auch. Wählen Sie nun eine beliebige Anzahl an Fünfen, beispielsweise acht, und notieren Sie die Zahl: 55 555 555. Es mag unglaublich klingen, aber Sie sind jetzt nur noch zwei Klicks davon entfernt, dass Pi auf dem Rechner Ihrer Wahl erscheint. Dafür drücken Sie zunächst die Kehrwert-Taste, mit der man 1⁄55 555 555 erhält. Dann ein zweiter Klick auf die Sinus-Taste, et voilà. Falls der Rechner auf das Winkelmaß »Grad« eingestellt war, erscheint jetzt folgendes Ergebnis: 3,1415927·10–10.
Zugegeben, die letzte angezeigte Stelle sollte eigentlich sechs statt sieben lauten, doch man kann auch argumentieren, dass Google (das ich für die Berechnung genutzt habe) einfach gerundet hat. Dennoch: Es ist erstaunlich, dass vor der Zehnerpotenz eine Zahl auftaucht, die Pi verdächtig ähnelt. Tatsächlich kann man das Spiel mit einer anderen Anzahl von Fünfen wiederholen – das Resultat wird stets nahe an Pi liegen. Wie kommt das zu Stande? Was hat Pi, die nicht enden wollende, irrationale Kreiszahl, mit der gewöhnlichen, fast schon langweiligen Fünf zu tun?
Wie Sie vielleicht schon bemerkt haben, funktioniert der nette Rechentrick nur dann, wenn der Rechner auf »Grad« und nicht auf »Radiant« eingestellt ist. Das heißt, das Argument der Sinusfunktion – in diesem Fall der Kehrwert der vielen Fünfen – wird im Winkelmaß aufgefasst. Und genau darin liegt der Knackpunkt, wie wir später sehen werden.
Wie unterteilt man einen Vollkreis?
Man ist recht frei darin, wie man einen Vollkreis einteilt. Am geläufigsten ist das Winkelmaß »Grad«, wobei ein Kreis 360 Grad umfasst. In der Geodäsie wird stattdessen »Gon« genutzt, 360 Grad entsprechen 400 Gon. Etwas bekannter als »Gon« dürfte das Bogenmaß sein: Die Einheit entspricht dem Winkel, der den Bogen mit Länge des Radius auf dem Kreis aufspannt. Der Vollkreis hat 2π Radiant, da 2π·r dem vollen Umfang entspricht.
Häufig ist es hilfreich, Berechnungen im Bogenmaß durchzuführen. Daher können wir untersuchen, was herauskommt, wenn man die Größen 1⁄5, 1⁄55, 1⁄555 und so weiter in Radiant umrechnet. Da 360 Grad im Winkelmaß 2π im Bogenmaß entsprechen, muss man die Argumente der Sinusfunktion mit π⁄180 multiplizieren, um zum Bogenmaß überzugehen. Das heißt, wir sind an den Größen sin(1⁄555·π⁄180 ≈ 0,00003) interessiert.
Leider sagt das erst einmal nichts über das Ergebnis aus – trigonometrische Funktionen von solch komplizierten Ausdrücken lassen sich kaum im Kopf berechnen. Daher müssen wir zuerst herausfinden, wie man die Sinusfunktion für extrem kleine Argumente berechnet. Wenn man den dazugehörigen Graphen betrachtet, stellt man fest, dass die Kurve für kleine Werte von x (im Bogenmaß) einer Geraden ähnelt. Das machen sich Physikerinnen und Physiker bei zahlreichen Berechnungen zu Nutze – anstatt umständlich die trigonometrische Funktion sin(x) nachzuschlagen (oder in den Taschenrechner einzugeben), kann man einfach den Wert von x nehmen.
Das ultimative Hilfsmittel: Die Taylorreihe
Dass dies zulässig ist, besagt die berüchtigte Taylorreihe, die der britische Mathematiker Brook Taylor (1685–1731) bereits im 18. Jahrhundert hergeleitet hat: Arbeitet man mit einer glatten Funktion (also einer, deren Graph weder Lücken noch Ecken oder Kanten aufweist), dann kann man diese in der Umgebung eines Punkts a immer durch eine Summe von Polynomen annähern. Das ist ein äußerst nützlicher Satz, denn Polynome gehören zu den einfachsten Strukturen in der Analysis: Sie bestehen aus Variablen, die mit einer Zahl potenziert werden, zum Beispiel x3 + 4x2 − x.
Und das Beste an der Taylorreihe: Es gibt sogar eine Vorschrift, wie man das passende Polynom zu einem Punkt a auf einer Kurve findet: Tfa(x) ≈ f(a) + f'(a)·(x−a) + ½·f''(a)·(x−a)2 + …+ 1⁄n!·f(n)(a)·(x−a)n. Die Formel mag vielleicht kompliziert aussehen, ist es aber im Grunde nicht. Sie besagt, dass eine Funktion f(x) in der Umgebung eines Punkts a durch ein Polynom in den Variablen (x−a) gegeben ist und sich die Vorfaktoren aus den Ableitungen der Funktion f(x) berechnen lassen. Dass dem wirklich so ist, lässt sich beweisen, indem man zeigt, dass die Differenz f(x) − Tfa(x) extrem klein wird, wenn x sich a nähert.
Die Taylorreihe kann man konkret auf die Sinusfunktion für kleine Werte von x, also um den Punkt a = 0 herum, anwenden. Dafür muss man wissen, dass die Ableitung des Sinus den Kosinus ergibt und die Ableitung des Kosinus den negativen Sinus liefert: sina(x) ≈ sin(0) + cos(0)·x − ½·sin(0)·x2 + … = x. Wenn man nur die ersten drei Terme der Taylorreihe berücksichtigt, bleibt lediglich x stehen (weil sin(0) = 0). Das erklärt, warum der Sinus in der Nähe des Ursprungs die Form einer Geraden hat.
Von den vielen Fünfen bleibt bloß Pi übrig
Damit sind wir nun fast am Ziel. Zur Erinnerung: Wir wollten herausfinden, warum im Ergebnis von sin(1⁄555…) im Winkelmaß die Kreiszahl Pi auftaucht. Indem wir einen Umweg über das Bogenmaß nehmen, können wir die Sinusfunktion näherungsweise durch ihr Argument ausdrücken, also: sin(1⁄555…·π⁄180) ≈ 1⁄555…·π⁄180. Um das weiter zu untersuchen, ist es sinnvoll, 1⁄555… als Dezimalzahl auszuschreiben. Es ergibt sich: 1⁄5 = 0,2; 1⁄55… = 0,01818…; 1⁄555… = 0,00180180…; 1⁄5555… = 0,00018001800… und so weiter. In allen Dezimalzahlen (bis auf die ersten beiden) taucht die Ziffernfolge 180 auf. Wenn man die periodische Zahl, die sich aus dem Kehrwert von n Fünfen ergibt, nach 18 beziehungsweise 180 abbricht, erhält man folgenden Zusammenhang: 1⁄555…·π⁄180 ≈ 180·π⁄180·10−n−2.
Das heißt: Die Zahl 180 kürzt sich weg! Übrig bleibt nur noch Pi, multipliziert mit einer Zehnerpotenz. Natürlich ist das Ergebnis nicht exakt, immerhin haben wir allerlei Näherungen getroffen: angefangen bei der Taylorreihe der Sinusfunktion bis hin zur Berechnung des Kehrwerts. Je mehr Fünfen man in die Kalkulation miteinbezieht, desto genauer reicht das Ergebnis jedoch an den tatsächlichen Wert von Pi heran. Viel nützliche Anwendung findet dieser Rechentrick zwar nicht – aber zumindest am Pi-Day kann man damit für Unterhaltung sorgen.
Was ist euer Lieblingsmathetheorem? Schreibt es gerne in die Kommentare – und vielleicht ist es schon bald das Thema dieser Kolumne!
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