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Radioaktives Abwasser: Lasst ab von Fukushima!

In Fukushima sollen gereinigte, tritiumhaltige Abwässer in den Ozean abgelassen werden. Für den Schutz der Meere ist das nur ein Nebenschauplatz, kommentiert Mike Zeitz.
Luftbild des havarierten Kernkraftwerks Fukushima Daiichi mit Wassertanks im Hintergrund.
Im Luftbild erkennt man gut die enorme Anzahl riesiger Tanks, in denen das kontaminierte Wasser gespeichert wird. Die sind nun voll.

In der Diskussion um die Fukushima-Abwässer droht das eigentliche Ziel – der Schutz der Meere – in den Hintergrund zu geraten. Denn die Debatte ist völlig überzogen, angesichts der tatsächlichen Situation in Fukushima einerseits und den Weltmeeren andererseits. Die Realität ist: Das Wasser, das jetzt allmählich ins Meer geleitet werden soll, hat nach verschiedenen Prozeduren, die radioaktive Stoffe herausfiltern, fast Trinkwasserqualität. Doch an dem »fast« entzündet sich Streit.

Für die Einschränkung ist Tritium verantwortlich, eine radioaktive Variante des normalen Wasserstoffs, der in jedem Wassermolekül vorkommt. Die anderen strahlenden Elemente lassen sich technisch entfernen, doch tritiumhaltiges Wasser verhält sich nahezu identisch zu normalem Wasser. Es herauszufiltern, ist bei den immensen Mengen an Abwasser schlicht unrealistisch, und bei einer Halbwertszeit von zwölf Jahren müsste man lange auf ein Abklingen der Strahlung warten.

Und Japan weiß nicht wohin mit dem Wasser, das seit der Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011 kontaminiert wurde. Deswegen gibt es bereits seit mehreren Jahren Pläne, das tritiumhaltige Wasser verdünnt ins Meer zu leiten, wo es sich schnell verteilt. Das Prinzip ist durchaus erprobt, denn so geht man auch beim Routinebetrieb von Atomkraftwerken mit dem Kühlwasser um, das ebenfalls Tritium enthält. Nun sind die Tanks bei Fukushima also voll, und der Vorgang beginnt.

Natürlich ist es wichtig, zu hinterfragen, ob die Maßnahme dem Meer und den Menschen schadet. Auch lokale Sorgen, etwa von Fischereibetrieben, müssen ernst genommen werden, und internationale Beachtung hilft dabei. Doch ich frage mich, ob die Intensität, mit der man sich dem Problem zuwendet, noch dessen eigentlicher Tragweite entspricht – oder ob man sich weiter damit beschäftigt, weil es eigentlich um etwas anderes geht. Ich denke dabei an die Atomkraft-Grundsatzdiskussion, die seit 2011 untrennbar mit der Fukushima-Katastrophe und ihren Folgen verknüpft ist. Wer gegen Atomkraft ist, sieht die eigenen Befürchtungen durch Fukushima bestärkt.

Nur eine von vielen Belastungen

Doch man kann recht zuverlässig einschätzen, wie viel Tritium auf die Art ins Meer gelangt und wie schnell es sich verdünnt. Fragen über dessen Weg in der Nahrungskette sind nicht abschließend erforscht, was nicht verwundern darf – absolute Sicherheiten gibt es in der Wissenschaft nicht. Doch alle Untersuchungen legen nahe, dass etwaige Einflüsse sich in den vorhandenen Umweltbelastungen der Ozeane verlieren.

Und diese Last wird beinahe stündlich größer. Es ist traurige Realität, dass wer sich um Ökosysteme in Gewässern sorgt, nie weit gucken muss. Etwa 2000 Kilometer westlich von Fukushima spuckt die Mündung des Jangtse jedes Jahr hunderttausende Tonnen Plastikmüll mit allen möglichen chemischen Additiven in denselben Ozean. Auf der anderen Seite des Pazifiks, in den USA, hat der Oberste Gerichtshof Ende Mai 2023 den Schutz von Feuchtgebieten geschwächt.

Dort könnten manche Lebensräume an der Westküste längst zerstört sein, bevor das erste tritiumhaltige Molekül aus Fukushimas Wassertanks dort ankommt. Durch Europas Flüsse treiben massenhaft tote Fische, und das, was im Nordatlantik passiert, versetzt viele Fachleute in blanke Angst.

Bei diesen Beispielen sind die Verkettungen von Ursache und Wirkung weniger eindeutig als in Fukushima, und obendrein hängen sie auf vielfältige Weise mit unserem lieb gewonnenen Lebensstil zusammen. Es ist darum nachvollziehbar, mit dem Finger auf Japan zu zeigen. Rational ist es nicht.

Es geht mir hier nicht um Ökosystem-Whataboutism. Dass es anderswo auf der Welt schlecht um Flüsse, Seen und Meere steht, darf freilich kein Freibrief dafür sein, in Fukushima nicht genau hinzuschauen. Doch die Standards in Fukushima sind inzwischen – nach Jahrzehnten der Verschleppung – höher als auf vielen anderen Gebieten.

Das Problem der Atomkraft ist ein anderes

Die Diskussion um Nuklearsicherheit ist komplex; die Abwässer der havarierten Anlage sind dabei bloß ein Nebenschauplatz. Atomkraft schneidet im Hinblick auf Sicherheit üblicherweise weit besser ab als andere Energieträger. Die tödlichste Energie stammt aus Kohleverbrennung. Diese setzt neben dem bekannten CO2 und jeder Menge Schadstoffe wie Stickoxiden, Schwermetallen und Feinstaub ironischerweise mehr Radioaktivität frei als Atomkraft. Die Entscheidung, bestehende Atomreaktoren abzuschalten, um dafür Kohlemeiler länger am Netz zu lassen, ist deswegen rational nur schwer zu fassen.

Richtig ist aber auch: die Katastrophe von Fukushima wäre vermeidbar gewesen, wären nicht vom Baubeginn 1967 an immer wieder bekannte Defizite ignoriert worden. Die Aufarbeitung der Geschehnisse von 2011 wurde deswegen entsprechend misstrauisch beobachtet. Japan muss in einem schmerzhaften und kostspieligen Prozess die Folgen der Versäumnisse schultern. Die Atomenergie allgemein trägt schwer am Vertrauensverlust durch ihre lange Historie vertuschter Sicherheitsmängel.

Die Lehre aus Fukushima ist jedoch zu allererst: Wir brauchen konsequente Kontrollsysteme. Wo man Menschen vertraut, wird man enttäuscht. Das gezielte Ablassen der kontaminierten Abwässer wird an der grundsätzlichen Frage nach der Sicherheit der Atomenergie nichts ändern. Aus dieser Warte weiter auf Fukushima zu blicken, wird weder den Umständen noch den aktuellen Herausforderungen gerecht.

Ob die Atomkraft bei deren Bewältigung helfen könnte ist eine eigene Diskussion. Auch hier sind die Probleme komplex und haben nicht allein mit dem Klimawandel, sondern – siehe Plastikmüll und Gewässerverschmutzung – mit der Weise zu tun, wie wir wirtschaften und wünschenswerten Schutz staatlich sowie weltweit regulieren und durchsetzen.

Wer heute Angst vor Radioaktivität hat, sollte sich eher vor Konflikten sorgen, die von mit Atomwaffen ausgestatteten Staaten um schwindende Ressourcen ausgetragen werden. Ressourcen, die mit zerstörten Ökosystemen verloren gehen. Solche Szenarien sind keine abstrakten Risiken mehr, sondern reale Gefahr. Der Tritiumeintrag vor Fukushima wird für die Fische im Pazifik kein Problem. Ihr Problem wird der Zusammenbruch ihrer Ökosysteme, wenn sich die Diskussionen rund um deren Rettung auf letztlich wenig relevanten Nebenschauplätzen verlieren.

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