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Meere: Rettet die Ostsee

Sauerstoffinfusionen sollen das Meer zwischen Dänemark und Russland retten. Doch das ist der falsche Ansatz, kommentiert der Geowissenschaftler Daniel Conley von der Universität Lund in Schweden. Derartige Pläne sollten aufgegeben werden.
Algenblüte in der Ostsee

In der Ostsee erstreckt sich die größte menschengemachte Todeszone eines Meeres: ein Gebiet, das alle Anzeichen von Überdüngung und Sauerstoffmangel aufweist. Abwässer aus Kläranlagen, Landwirtschaft und Industrie haben während der letzten 50 Jahre rund 20 Millionen Tonnen Stickstoffverbindungen und zwei Millionen Tonnen Phosphate in die Ostsee gespült und dadurch Algenblüten angeheizt.

Im Sommer überziehen Cyanobakterien manche Strände mit grünem Schleim. Wenn diese Algenmassen absterben, sinken sie auf den Meeresgrund und zersetzen sich, wobei sie den vorhandenen Sauerstoff im Wasser nahezu völlig aufzehren. Im sauerstofffreien Tiefenwasser kann kein höheres Lebewesen mehr existieren, und der Lebensraum für Fische wie den Dorsch schrumpft beträchtlich. Während des letzten Jahrzehnts wiesen durchschnittlich 60 000 Quadratkilometer der Ostsee so wenig Sauerstoff auf, dass die Ökosysteme vor Ort zugrunde gingen.

Um Abhilfe zu schaffen, wurden in der Vergangenheit groß angelegte geotechnische Eingriffe vorgeschlagen. Derartige Radikalkuren versprechen, die Wasserqualität in kurzer Zeit eindrucksvoll zu verbessern. Das macht sie beliebt bei Medien wie bei Politikern. Aber sie sind auch mit Risiken für die Ökosysteme behaftet. Vor allem aber laufen wir Gefahr, uns durch sie von einem bereits in Kraft getretenen Aktionsplan abbringen zu lassen, mit dem wir die Nährstoffzuflüsse in die Ostsee reduzieren wollen. Computermodelle prognostizieren, dass allein dieser Ansatz ausreicht, um die Sauerstoffarmut großflächig zu beheben.

Erstickte See

Das Problem dieser sauerstofffreien Zonen wird weltweit größer, und die Erderwärmung verschärft aller Voraussicht nach die Angelegenheit: Höhere Temperaturen beschleunigen die Zersetzung der Algen und verringern die Rate, mit der sich Luftsauerstoff im Meerwasser löst. Niedrige Sauerstoffwerte töten Meeresorganismen am Boden und beeinflussen Nährstoffkreisläufe im Ökosystem: Unter hypoxischen Bedingungen lösen sich phosphorhaltige Eisenhydroxide aus dem Sediment und gehen ins Meerwasser über, so dass sich der Gehalt an Phosphaten weiter erhöht. Gleichzeitig hemmt dieser Zustand denitrifizierende Bakterien im Grund, was die Stickstoffkonzentrationen hochtreibt. Am Ende steht ein Überschuss an Phosphaten, der Stickstoff fixierende Cyanobakterien und Algenblüten antreibt. Diese sterben ab, zerfallen und führen zu einer sich verstärkenden Sauerstoffarmut – ein Teufelskreis.

Eine der vorgeschlagenen Gegenmaßnahme besteht darin, mit Pumpen das Wasser umzuwälzen. Doch das stellt eine große Herausforderung dar: Mindestens 100 Pumpen müssten rund um die Ostsee aufgebaut werden, um sauerstoffreiches Wasser aus etwa 50 Meter Tiefe auf 125 Meter hinabzubefördern. Und sie müssten mehrere Jahrzehnte lang laufen – bei Gesamtkosten des Projekts von mindestens 200 Millionen Euro.

Dabei geht es um riesige Volumina: Schätzungsweise zwei bis sechs Millionen Tonnen Sauerstoff würden wohl benötigt, um den Sauerstoffgehalt des Tiefenwassers der Ostsee bei rund zwei Milligramm pro Liter zu halten – die Untergrenze, um Hypoxie zu vermeiden. Theoretisch könnten erneuerbare Energiequellen wie Windkraftanlagen die Pumpen auf See antreiben. Aber gleichzeitig würde auch salzärmeres Oberflächenwasser in die Tiefe befördert, was den natürlichen Wasserkreislauf beeinträchtigen könnte und damit den Fortpflanzungserfolg einiger Fischarten.

Warme Wasser

2009 nahm die schwedische Regierung rund drei Millionen Euro in die Hand, um diese Pumpenoption untersuchen zu lassen. Jüngst veröffentlichte Berichte dieser Pilotstudie zeigen, dass bei den Experimenten tatsächlich der Sauerstoffgehalt erhöht wurde. Der positive Effekt wurde jedoch durch eine Erhöhung der Wassertemperaturen teilweise wieder ausgeglichen. Die zugeführte Wärme kurbelte den Stoffwechsel und damit die Atmung bodenlebender Organismen an. In einem Testgebiet vor Finnland erwärmte sich das Tiefenwasser stellenweise um bis zu acht Grad Celsius. Dadurch stieg auch der Ammoniumgehalt, was ebenfalls das Wachstum schädlicher Algenarten anregen kann.

Bei einem weiteren Versuch in einem westlich von Schweden gelegenen tiefen Fjord störte das Pumpen die Schichtabfolge von Bereichen unterschiedlichen Salzgehalts. Dadurch änderten sich die Umwälzung des Wassers und die Strömungsmuster. Darüber hinaus wurden diese Projekte bisher vor allem von Befürwortern des Geoengineering ausgewertet; sie müssen deshalb dringend noch einer unabhängigen Prüfung unterzogen werden.

Ein anderer technischer Eingriff wird momentan in kleinem Maßstab ebenfalls vor der schwedischen Küste, in den Schären vor Stockholm, ausprobiert: Chemikalien sollen Phosphate in den Sedimenten binden. Zum Einsatz kommen Polyaluminiumchloride, die bereits in Kläranlagen und zur Trinkwasseraufbereitung verwendet werden. Ein erstes Pilotprojekt wurde dazu 2011 mehrere Monate lang erfolgreich durchgeführt. Jetzt hat die Forschergruppe die Erlaubnis zur Ausweitung der Tests bekommen.

Bislang wurde diese Technik vor allem in kleinen Binnenseen ausprobiert, da die Chemikalien recht teuer sind. So ist immer noch wenig darüber bekannt, ob sie in Salzwasser ebenfalls wirken, wie lange das an das Aluminium gebundene Phosphat in den Sedimenten verbleibt und wie sich der Einsatz auf den Säuregehalt des Wassers auswirkt. Ein großflächiger Einsatz müsste die 1972 verabschiedete "Konvention zur Vermeidung von Meeresverschmutzungen durch Abfallentsorgung und andere Ursachen" (London Convention) berücksichtigen. Dieses Gesetzeswerk unterbindet zum Beispiel auch den Versuch, mit Hilfe von Eisen Kohlendioxid in den Ozeanen zu binden.

Algenblüte in der Ostsee | Alle Jahre wieder im Sommer blüht die Ostsee auf: Zyanobakterien vermehren sich massenhaft und durchziehen das Meer mit grünem Schleim. Sterben sie massenweise ab, entstehen oft sauerstoffarme Todeszonen.

Eine schnelle Beatmung des Ostseetiefenwassers gleich welcher Art vergrößert außerdem die Gefahr, dass das Meer mit einem anderen giftigen Problem konfrontiert wird. Sauerstoffreiches Wasser zieht Tierarten wie bestimmte Würmer an, die intensiv den Untergrund durchwühlen und dabei toxische Verbindungen freisetzen können – etwa PCB oder DDT aus früheren Zeiten, die momentan noch relativ "sicher" in den Sedimenten der Ostsee ruhen. Gründliche Risikoanalysen zu diesem Problem wurden noch nicht fertiggestellt.

Dennoch werden geotechnische Vorhaben vorangetrieben. Das in Oslo sitzende Unternehmen Inocean kündigte zum Beispiel an, zu Demonstrationszwecken eine durch Windräder angetriebene Pumpstation in der südlichen Ostsee zu errichten. Unterstützt wird dieses vom schwedischen Ozeanforscher Anders Stigebrandt von der Universität Göteborg geleitete Projekt mit 288 000 Euro von der schwedischen Behörde für Meeres- und Wassermanagement. Stigebrandt betont, dass umfassende Umweltstudien durchgeführt werden, bevor das Projekt beginnt.

Die bessere Lösung

Kostengünstiger und besser wäre es hingegen, wenn die Wurzel des Übels direkt angegangen würde: der exzessive Eintrag von Nährstoffen. Die neun Anrainerstaaten der Ostsee haben in den letzten Jahren hart daran gearbeitet, den Düngereintrag zu reduzieren. Im Ergebnis ist sowohl der Zufluss von Stickstoff als auch von Phosphaten seit dem Höhepunkt in 1980er Jahren gesunken – vor allem weil kommunale und industrielle Abwässer nun effektiver geklärt werden und die Industrie generell weniger Abwasser produziert.

Der Phosphatzustrom hat sich deshalb um 30 000 Tonnen verringert (ein Rückgang um 40 Prozent), der von Stickstoff um 400 000 Tonnen (minus 30 Prozent). Der ambitionierte Ostsee-Aktionsplan (BSAP), 2007 von den Anrainern unterzeichnet, sieht vor, dass beide Schadstoffe bis 2016 um weitere 42 Prozent (Phosphat) beziehungsweise 18 Prozent (Stickstoff) zurückgehen sollen. Das große Ziel lautet, bis 2021 einen "guten ökologischen Zustand" des Ökosystems zu erreichen.

Genau das muss getan werden, um die Wasserqualität und die Gesundheit des Ökosystems zu verbessern! Trotz der gegenwärtigen Anstrengungen lassen sich laut bisheriger Messungen nur geringe Veränderungen zum Guten festmachen, auch die Todeszonen weiten sich stetig aus. Im Lauf der Zeit sollte der BSAP jedoch fruchten, wie Modelle zeigen: Sofern der Nährstoffeintrag weiterhin wie geplant zurückgeht, könnten auch hypoxische Flächen schrumpfen. Es ist für die Ostsee überlebensnotwendig, dass dies geschieht.

Die Ostsee befindet sich auf dem Wege der Genesung, wenn auch langsam. Es wäre aber eine Schande, sollten öffentlichkeitswirksame Großprojekte die nötige Aufmerksamkeit oder gar finanzielle Mittel vom BSAP abziehen – was durchaus passieren kann. Die schwedische Meeresbehörde hat bereits angekündigt, dass ihre Unterstützung des Pumpenvorhabens in der südlichen Ostsee dem Land helfen könnte, seine im BSAP vorgegebenen Ziele zu erreichen. Kreativität und Technologie sind wichtig für die richtige Mischung an Maßnahmen. Doch sollten sie darauf abzielen, den Düngereintrag vom Land ins Meer zu verringern – und keine teuren und potenziell schädlichen Ingenieurslösungen unterstützen.

Der Artikel erschien unter dem Titel "Save the Baltic Sea" in Nature 486, S. 463-464, 2012.

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