Hatts dufte Welt: Riechen mit Haut und Haaren
Die Nase bleibt unser liebstes und einziges Riechorgan. Riechrezeptoren existieren zwar im ganzen Körper, haben aber mit »Riechen« nichts zu tun, sondern übernehmen viele andere wichtige Aufgaben. Sie reagieren auf Duftstoffe, die über die Atmung, das Einreiben auf die Haut oder mit dem Essen in hohen Konzentrationen ins Blut gelangen und von dort im ganzen Körper bis ins Gehirn verteilt werden. Hinzu kommen die vielen Duftstoffe, die von Mikroorganismen auf und in unserem Körper produziert werden, wie auf der Haut oder im Darm. Schweiß- und »Pups«-Gerüche geben uns einen Eindruck davon.
Vor 15 Jahren konnten wir in unserem Labor an der Ruhr-Universität Bochum erstmals beweisen, dass Riechrezeptoren auch außerhalb der Nase vorkommen und tatsächlich sogar noch funktionsfähig sind. Dies war keine einfache Aufgabe, da ihre Entdecker − immerhin zwei Nobelpreisträger − vorher das Gegenteil behauptet hatten. Wir waren erfolgreich, als wir das Wunder menschlicher Fortpflanzung untersuchten und uns fragten: Wie orientieren sich Millionen winziger Spermien in der völligen Finsternis des weiblichen Körpers? Und finden so sicher ihr Ziel?
Dabei entdeckten wir 15 verschiedene Riechrezeptoren, die wir von der Nase kannten, auch in den Spermien. Der erste davon reagierte auf synthetischen Maiglöckchenduft. Roch es nach »Maiglöckchen«, kannten die Spermien nur eine Richtung: hin zur Duftquelle, und zwar schnell. Dass wir dann die entsprechenden Duftstoffe tatsächlich im Vaginalsekret nachweisen konnten, war eine ziemlich aufregende Beobachtung, die viele Wissenschaftler weltweit zu weiteren Forschungen inspirierte. Vor allem, als es gelang, für einzelne dieser Riechrezeptoren einen blockierenden Duft zu finden und damit den Spermien sozusagen die Nase zuzuhalten. Empfängnisverhütung mit Antiduft.
Sandelholz für die Wundheilung
Danach konzentrierten wir uns zunächst auf die Haut, weil unsere Hautzellen natürlicherweise oft in Kontakt mit Duftstoffen kommen. Beim Schälen einer Orange und beim Eincremen oder durch Düfte im Schweiß und solche, die vom Mikrobiom erzeugt werden. Dort entdeckten wir auf Anhieb mehr als 20 verschiedene Riechrezeptoren. »Smell turns up in unexpected places«, schrieb die »New York Times« in ihrem Bericht über unsere Forschungsergebnisse.
Einer der Riechrezeptoren, den wir inzwischen genauer untersucht haben, reagiert auf synthetischen Sandelholzduft: Hautzellen (Keratinozyten) vermehren und bewegen sich schneller, wenn sie mit Sandelholzduft in Kontakt kommen. Wunden heilen 40 Prozent schneller, und die Haut regeneriert besser – auch im Alter. Diese Erkenntnisse werden inzwischen therapeutisch angewendet, zum Beispiel wenn nach Brandverletzungen größere Wundflächen versorgt werden müssen.
In den Haarwurzelzellen konnten wir diesen Riechrezeptor ebenfalls finden. Unser Sandelholzduft verlängert die Lebensdauer der Haare um etwa 20 Prozent, wie klinische Studien zeigten. Endlich mehr volles Haar also. Über die anderen Riechrezeptoren in der Haut wissen wir noch wenig, vor allem nicht, ob sie nicht sogar negative Wirkungen haben. Solange dies nicht erforscht ist, sollte man keine Parfüms auf die Haut sprühen, lieber auf Haare und Kleidung.
Kein Parfüm auf die Haut
Auch über die Atmung und das Essen nehmen wir ständig Duftstoffe auf, die ebenfalls mit dem Blut im ganzen Körper verteilt werden. Schon lange wissen Pflanzenkundler ebenso wie Kräuterlikörliebhaber, dass Gewürze Magen und Darm sowohl anregen wie beruhigen können. Wir waren daher nicht überrascht, Riechrezeptoren für verschiedene Gewürzdüfte wie Kümmel oder Nelke in den Darmzellen zu finden. Ihre Aktivierung löst dort die Freisetzung von Botenstoffen aus, die die Darmperistaltik beschleunigen oder verlangsamen und damit unsere Verdauung steuern können.
Ein Digestiv nach dem Essen – aus »medizinischen Gründen« zu empfehlen, wenn auch nicht auf Rezept. Die Darmflora stellt sogar viele eigene Duftstoffe her, wie an »Winden« und Exkrementen unschwer zu bemerken ist, deren Duft je nach Essen verschieden ausfällt. Die Verdauung von Fetten ist ebenfalls Aufgabe des Darms. Fettsäuren werden dann mit dem Blut zum Herzen transportiert. Für Fettsäuren haben wir in der Nase verschiedene Riechrezeptoren, womit wir Oliven-, Kokos- oder Sonnenblumenöl am Geruch unterscheiden können.
Diese »Fettrezeptoren« haben wir auch im Herzen gefunden. An aus Hautzellen oder embryonalen Stammzellen gezüchteten menschlichen »Miniherzen« sowie an Herzgewebe aus der Chirurgie konnten wir Riechrezeptoren nachweisen und belegen, dass bestimmte Fettsäuren sie aktivieren und dadurch der Herzschlag (Puls) verlangsamt und die Herzkraft reduziert wird. Sie haben also negative Wirkungen. Gerade bei Diabetikern fanden wir diese Sorte von Fettsäuren deutlich erhöht. Hier könnte der Einsatz eines Antidufts gegen diesen Riechrezeptor hilfreich sein, wie wir experimentell zeigen konnten.
Der Duft gegen Asthma
Mit jedem Atemzug gelangen Duftstoffe in Kontakt mit Bronchien und Lungengewebe, zusätzlich ist die feuchte, warme Umgebung ein Eldorado für unterschiedliche Duft produzierende Bakterien. Kein Wunder, dass wir hier ebenfalls viele verschiedene Riechrezeptoren gefunden haben.
Einer davon in den Muskelzellen, die wie ein Ring um die Bronchien liegen, war besonders interessant, da seine Aktivierung durch Amylbutyrat (riecht wie Birne und Aprikose) zu einer Erschlaffung der Bronchienmuskeln führt und damit mehr Luft in die Lunge gelangen kann. Bei Krankheiten wie Asthma, Allergien oder COPD ist die Bronchialmuskulatur zusammengeschnürt, etwa durch Histamin, und damit der Luftweg stark reduziert. Selbst diese Verengung kann der Duft aufheben.
Unsere Beispiele zeigen die Bedeutung der Riechrezeptoren außerhalb der Nase auch im physiologischen Bereich. Sie sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Leider kennen wir erst für 20 Prozent der menschlichen Riechrezeptoren den aktivierenden Duft. Wir wissen zwar durch neue gentechnologische Fortschritte ganz genau, welche Riechrezeptoren in welchen Körperzellen vorkommen. Doch solange wir den Riechrezeptor nicht aktivieren können, können wir seine Wirkung nicht studieren. Dabei gibt es Gewebe im Körper, wie beispielsweise am Eingang des Muttermunds oder im Harnleiter, in denen Riechrezeptoren sogar in noch viel größerer Menge vorkommen als in den Riechzellen der Nase. Warum und wozu? Hier werden die nächsten Jahre noch viele aufregende neue Erkenntnisse bringen.
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