Rohstoffe: Schiefergas im Realitätstest
Die "Schieferrevolution" – die Gewinnung von Gas und Öl aus zuvor unzugänglichen Lagerstätten – mischt die Karten im weltweiten Energiepoker völlig neu, so lauten zumindest die hochtrabenden Erwartungen. Sie kompensiere die zurückgehenden Fördermengen konventioneller Erdöl- und -gasgewinnung und läute als Übergangsenergieträger eine kohlenstoffarme Zukunft ein. Und außerdem soll Ölschiefer die USA wieder zum weltgrößten Ölproduzenten erheben, so dass das Land nicht mehr auf Importe angewiesen ist.
Regierungsanalysten haben diese berauschenden Behauptungen weit gehend akzeptiert – inklusive der Internationalen Energieagentur und der US Energy Information Administration (EIA). Die Ölfirma BP prognostiziert, dass sich die Schiefergasförderung verdreifachen wird, die Gewinnung von Schieferöl – auch bekannt als unkonventionelles Öl – soll sich bis 2030 verglichen mit 2011 sogar versechsfachen.
Diese Angaben halten einer kritischen Überprüfung jedoch nicht stand. Kürzlich veröffentlichte ich einen Bericht für das Post Carbon Institute in Santa Rosa, in dem ich 30 Schiefergas- und 21 Schieferölvorkommen analysierte: Die "Schieferrevolution" wird sich demnach nicht aufrechterhalten lassen. Die Studie basiert auf den Daten von 65 000 Schieferquellen aus einer Produktionsdatenbank, die vielfach von der Industrie und staatlichen Behörden genutzt wird. Sie zeigt, dass die Quellen- wie die Feldproduktivität regelmäßig steil abfällt. Die Produktionskosten in vielen Schiefergaslagerstätten übersteigen die momentanen Gaspreise, und die Produktion aufrechtzuerhalten, erfordert stetig mehr Bohrungen und zunehmend mehr Kapital, um dies zu gewährleisten.
Obwohl sich die Gewinnung dieser Rohstoffe noch lange Zeit auf einem bestimmten Niveau fortsetzt, wird die Förderung wohl sehr wahrscheinlich unter den überschwänglichen Vorhersagen von Industrie und Staat bleiben. Meiner Meinung nach gehen die förderfähigen Vorräte im nächsten Jahrzehnt beträchtlich zurück, sofern die Preise nicht stark ansteigen. Eine realistischere Debatte über Schiefergas und -öl ist daher dringend nötig – eine, die auch grundlegende Begleiterscheinungen der Produktion umfasst wie Nachhaltigkeit, die wahren Kosten und die Folgen für die Umwelt.
Der Gasscheinriese
Die Kombination zweier Techniken – horizontales Bohren und anschließendes großräumiges Aufbrechen des Gesteins mit Hilfe von Flüssigkeit, das so genannte Fracking – ermöglichten es, Kohlenwasserstoffe aus eigentlich undurchlässigem Gestein zu extrahieren. 2004 wurden nur zehn Prozent aller US-Bohrungen horizontal abgeteuft, heute sind es bereist 61 Prozent. Der größte Teil der globalen Schiefergasgewinnung konzentriert sich auf Nordamerika, obwohl in vielen Ländern Pilotprojekte durchgeführt werden. Seit Anfang 2012 hat die Förderung ein zumindest vorläufiges Plateau erreicht, nachdem sie zuvor steil angestiegen ist. Seit 2002 stieg der Anteil des Schiefergases an der gesamten US-Gasgewinnung von 2 auf fast 40 Prozent im Jahr 2012, während die gesamte Produktionsmenge im gleichen Zeitraum nur um ein Viertel zunahm. Das Überangebot trieb die Gaspreise in den Vereinigten Staaten drastisch nach unten. Mittlerweile haben sie sich zwar wieder etwas erholt, doch liegen sie für eine rentable Erzeugung, bei der nicht gleichzeitig auch Öle heraufgepumpt werden, immer noch zu niedrig.
Der Schiefergasboom begann vor etwa zehn Jahren mit der Ausbeutung der Barnettschieferformation in Texas und hat sich seitdem rasch verbreitet, wobei fünf Felder 80 Prozent des nationalen Rohstoffs liefern. Dabei hat sich ein typisches Muster entwickelt: Sobald ein Feld entdeckt wird, entfesselt sich ein Pachtrausch. Danach folgt ein Bohrwettlauf gegen die Zeit, denn die über drei bis fünf Jahre laufenden Pachtverträge können vorzeitig gekündigt werden, wenn kein Gas gefördert wird. Zuerst suchen die Prospektoren lukrative "Blasen" – so genannte "sweet spots" –, die prioritär angezapft werden; erst dann widmen sie sich marginalen Randbereichen. Die durchschnittliche Quellenqualität (festgelegt durch die anfängliche Produktivität) steigt anfänglich an und sinkt bald wieder. In vier der fünf wichtigsten Fördergebiete fällt die durchschnittliche Produktivität seit 2010. Im Haynesville-Feld zwischen Arkansas, Louisiana und Texas lieferte eine normale Förderanlage 2012 ein Drittel weniger Gas als 2010. Die einzige Ausnahme ist das Marcellus-Feld in den östlichen USA, das relativ frisch erschlossen wird und groß ist: Dort nehmen die gesicherten Vorräte zu, da weiterhin "sweet spots" gefunden und ausgeschöpft werden.
Die Quellen erschöpfen sich jedoch rasch innerhalb weniger Jahre. In den Top 5 der USA produzierten sie typischerweise nach drei Jahren 80 bis 95 Prozent weniger Gas als zu Beginn. Ich denke deshalb, dass die Hoffnungen der Industrie auf bis zu 40-jährige Laufzeiten zu optimistisch sind – zumal wir nur auf eine relativ kurze Fördergeschichte zurückblicken können. Sie ist folglich nicht ausreichend, um derartig lange Lebensdauern für die Quellen substanziell zu begründen. Die reale Produktion fällt meist steiler ab, als die Modellrechnungen der Industrie normalerweise voraussagen, weshalb diese Methode die gesamte erreichbare Fördermenge und ihre Wirtschaftlichkeit überschätzt. Die Prognosen des US Geological Survey sind auch nur halb so groß wie einige der Industrie.
Beständig müssen neue Bohrungen angesetzt werden, um die Produktion konstant zu halten. In Haynesville müssen jedes Jahr 800 neue Bohrungen abgeteuft werden, um die Pumpmenge konstant auf dem Niveau des Jahres 2012 zu halten – das entspricht etwa einem Drittel der dort im letzten Jahr insgesamt vorhandenen Stationen. Jede Bohrung kostet ungefähr neun Millionen Dollar, allein die neu zu errichtenden Bohrplätze verschlingen also pro Jahr sieben Milliarden Dollar – die Gesamtkosten einschließlich der Lizenzen, weiterer Infrastruktur und sonstiger Maßnahmen liegen sogar noch höher. Quer durch die Vereinigten Staaten summiert sich dies für 7200 Bohrungen auf 42 Milliarden Dollar jährlich, nur um die produktiven Rückgänge auszugleichen. Diese Investitionen durch die Öl- und Gasfirmen werden durch die Verkaufszahlen nicht aufgewogen: 2012 erlösten die Unternehmen mit Schiefergas nur 33 Milliarden Dollar (mancherorts tragen zusätzliche geförderte flüssige Kohlenwasserstoffe allerdings in erheblichem Umfang zur Rentabilität bei). Um zumindest ausgeglichene Bilanzen bei reiner Schiefergasgewinnung zu erzielen, müssten die Preise also eigentlich steigen.
Momentan benötigt die Rohstoffextraktion riesige Kapitalzuflüsse aus der verarbeitenden Industrie, um die Produktivität zumindest zu stabilisieren. Im Lauf der Zeit werden die besten Felder mit ihren "sweet spots" ohnehin ausgebeutet sein, weshalb die Kosten weiter steigen. Der größte Teil der Schiefergasförderung ist momentan also unwirtschaftlich und benötigt höhere Gaspreise, um allein die Fördermengen stabil zu halten, geschweige denn sie zu steigern.
Anderer Rohstoff, gleiches Lied
Das gleiche Problem trifft auch für Schieferöl zu: Zwei Felder erbringen 81 Prozent des US-Schieferöls (Eagle Ford im südlichen Texas, Bakken in North Dakota und Montana). Die Produktivität neuer Pumpanlagen in beiden Gebieten fällt nach einem Jahr um 60 Prozent, im dritten Jahr liefert sie nur noch ein Drittel der ursprünglichen Menge und so weiter. Jedes Jahr verlieren die Felder folglich 40 Prozent ihrer Kapazität, wenn man alte und neue Quellen zusammenfasst.
Der Gesamtausstoß dieser Felder hängt natürlich von der maximalen Zahl der potenziell möglichen Bohrungen ab. Diese dürfen nicht zu eng zusammenliegen, da sie sonst dasselbe Reservoir anzapfen, was die Kosten, nicht aber die Produktivität erhöht. Die EIA schätzt, dass Bakken und Eagle Ford dreimal so viele Stationen beherbergen könnten, wie gegenwärtig dort stehen: insgesamt jeweils 12 000 Stück. Geht man davon aus, dass die Zahl der Bohrungen auf dem Bakken-Feld von momentan 1500 pro Jahr erhalten bleiben kann, könnte dessen Leistung auf fast eine Million Barrel Öl pro Tag steigen. Berücksichtigt man die Annahmen der EIA, erreicht das Gebiet sein Fördermaximum im Jahr 2017, wenn sich die verfügbaren Bohrstellen erschöpfen – danach fällt die Ausbeutung um jährlich 40 Prozent. Ich stimme nicht mit jenen überein, die Bakkens Produktivität für viele Jahre auf hohem Niveau sehen – dazu wären tausende Quellen mehr erforderlich, als man dort einrichten kann.
Die Zukunftsaussichten
Regierungen und Industrie müssen zur Kenntnis nehmen, dass Schiefergas und -öl weder billig noch unerschöpflich sind: 70 Prozent des US-Schiefergases kommen aus Feldern, die keine weitere Produktionssteigerung mehr zeigen oder bereits an Volumen verlieren. Und die langfristige Nachhaltigkeit von produziertem Öl aus unkonventionellen Quellen ist fragwürdig. Hochproduktive Schieferfelder sind nicht allgegenwärtig, wie uns manche glauben machen wollen. 6 von 30 Lagerstätten sorgen für 88 Prozent der Schiefergasproduktion, 2 von 21 Feldern erbringen 81 Prozent des Schieferölnachschubs. Und das meiste davon stammt aus relativ kleinen "sweet spots" innerhalb der Formationen. Die allgemeine Quellenqualität wird sinken, sobald die Zahl der Pumpstationen an den "sweet spots" Sättigungswerte erreicht; anschließend müssen immer mehr Förderanlagen installiert werden, um die Produktion aufrechtzuerhalten.
Ihre absolute Obergrenze wird durch die maximal mögliche Zahl an Bohrlöchern vorgegeben. Können keine neuen mehr eingerichtet werden, fällt die Fördermenge jährlich um 30 bis 50 Prozent. In den nächsten fünf Jahren soll dies im Bakken- beziehungsweise Eagle-Ford-Feld bereits passieren. Die Projektionen der EIA implizieren, dass die USA bis 2040 die gesamten gegenwärtig bekannten Schiefergasreserven gefördert haben werden, dazu 58 Prozent der noch unbestätigten Gas- und 78 Prozent der unbestätigten Ölvorräte. Diese Vorhersagen sind extrem optimistisch, vergegenwärtigt man sich die Umstände, unter denen die Kohlenwasserstoffe produziert werden. Auch die Prognose der EIA zu den Gaspreisen belastet ihre Glaubwürdigkeit, denn sie liegt unter vielen anderen Schätzungen der Förderkosten bei stetig steigenden Vorräten in den nächsten 20 Jahren. Es ist also nicht weise, bereits die Energieunabhängigkeit der Vereinigten Staaten zu erklären und Pläne für den Export der Schieferschätze aufzulegen.
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