Gute Nacht - die Kolumne für besseren Schlaf: So verursacht ein TikTok-Mythos Schlafstörungen
Frauen brauchen neun bis zehn Stunden Schlaf. Dieser Mythos hält sich seit einigen Monaten im Internet. Er geht aus von einer TikTokerin, welche diese Botschaft in einem Make-up-Video verkündete. Sie spricht von einer Studie, nennt jedoch keine Quelle. Denn: Es gibt keine.
Ihre Botschaft ist dennoch verführerisch: Wer behauptet, weniger Schlaf sei genug, der habe nur mit Männern geforscht. Das klingt glaubwürdig, weil es an einem bekannten Ärgernis ansetzt. Viele frühere Studien der Humanwissenschaften haben weibliche Testpersonen ausgeschlossen. Nur stimmt dies eben nicht für die Schlafforschung. Hier wird seit Jahrzehnten mit Männern und Frauen gearbeitet. Wer sagt, Frauen bräuchten im Schnitt neun bis zehn Stunden Schlaf und sollten deshalb früh ins Bett gehen, der verbreitet eine Falschbehauptung. Und diese Falschbehauptung begünstigt Schlafstörungen.
Die durchschnittliche Schlafzeit des Menschen wird in der Regel pauschal auf acht Stunden beziffert. Schon diese Zahl ist wissenschaftlich umstritten. Eine optimale Schlafdauer existiert möglicherweise gar nicht. Für jeden von uns ist guter Schlaf jeden Tag ein wenig anders.
Wie lange schlafen wir tatsächlich im Schnitt?
Die Unterschiede gehen zurück auf ein komplexes Zusammenspiel von Genen, Verhalten, Gesundheit und Umwelteinflüssen, hielt eine Forschungsgruppe um den Schlafmediziner Nathaniel Watson im »Journal of Clinical Sleep Medicine« fest. Watson und sein Team beobachteten, dass weniger als sieben Stunden Schlaf für viele Menschen ungesund sind.
Eine Datenanalyse aus den 1980er Jahren ergab, dass Menschen am längsten leben, die ungefähr sieben Stunden schlafen. Der Schlafforscher Daniel Kripke von der University of California in San Diego assoziierte 2002 acht Stunden Schlaf und mehr mit einem höheren Sterblichkeitsrisiko. Auch eine Schlafstudie aus dem Jahr 2022, die sich auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen fokussiert, nennt sieben Stunden als gesündeste Schlafdauer. Allerdings handelte es sich dabei um Korrelationsstudien: Es wurden Zusammenhänge ermittelt, keine Ursachen erforscht.
Wie kommen dann Nachrichten zu Stande wie jene, dass Deutsche deutlich mehr als acht Stunden am Tag schlafen – bei steigender Tendenz? Alleinerziehende mehr als Paare mit Kindern? Ältere Menschen mehr als jüngere?
Quelle war eine Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes Destatis im Juni 2024. Und das schrieb zu seiner Methodik: »Zum Schlafen zählt neben dem nächtlichen Schlaf auch das Schlafen tagsüber (zum Beispiel Mittagsschlaf) sowie die Zeit, die man vor und nach dem Schlafen im Bett verbringt, sofern keine andere Tätigkeit (etwa Lesen) ausgeübt wird.« Solche Sätze sind entscheidend, um Schlaf und Schlafdauer einzuordnen. Wer wach liegt, der schläft nicht.
Es gibt Menschen, die überdurchschnittlich viel Schlaf brauchen und denen es ganz wunderbar damit geht. Schlafen Sie 6,5 Stunden und fühlen sich wohl, dann liegen Sie nahe genug an der Empfehlung, um sich mit Ihrem Schlaf nicht weiter beschäftigen zu müssen. Entscheidend ist das Wohlbefinden. Wer tatsächlich jede Nacht zehn Stunden schläft, den schicke ich zuerst in die Hausarztpraxis, denn das sollte untersucht werden.
Frauen brauchen mehr Liegezeit als Männer – ungefähr elf Minuten
Das Schlafbedürfnis hängt von vielen Faktoren ab. Das Alter gehört dazu: Kinder schlafen mehr als Erwachsene, Erwachsene schlafen mehr als Menschen im Rentenalter. Und doch kenne ich eine Familie, in der der Fünfjährige weniger Schlaf braucht als seine Mutter. Das ist äußerst selten, aber auch diese Fälle gibt es.
Die Dauer des Tageslichts gehört zu den regulierenden Faktoren, die Art der Arbeit, die körperliche Aktivität und die Frage, ob der Schlaf unterbrochen wird oder eben nicht. Wer häufiger aufwacht, dessen Schlafqualität verschlechtert sich. Das kann in einem größeren Schlafbedürfnis resultieren. Für Frauen liegt dieses tatsächlich höher als bei Männern – um durchschnittlich ungefähr elf Minuten. Dabei muss aber beachtet werden, dass diese Studie schlaflose Zeiten im Bett einschloss. Auch von diesen Daten können wir nicht auf die Schlafdauer schließen.
Früher ins Bett gehen, ist selten sinnvoll
Früher ins Bett gehen wird in sozialen Netzwerken immer wieder als Antwort auf Müdigkeit genannt. Machen Sie das nicht, sofern sie danach länger als eine halbe Stunde wach liegen! Dann waren Sie zu früh dran. Auch eine längere Wachphase in der Nacht ist ein Warnsignal dafür, dass der Einschlafzeitpunkt zu früh liegen könnte.
Ein guter Teil der Schlafstörungen ist daher gelernt. Darauf zielen auch die Schlafforscherin Brigitte Holzinger und ihr Kollege Gerhard Klösch in ihrem Buch »Schlafstörungen« ab. Dieser Lernprozess beginnt im Kindesalter. Wer zu einer Zeit ins Bett geht, zu der er noch nicht einschlafen kann, der lernt: Ich lege mich hin und dann liege ich wach. So wird das Bett mit einem quälenden Gefühl verbunden.
Dem Wachliegen kann mit Entspannungstechniken entgegengewirkt werden, so viel stimmt. Aber zu früh ist zu früh. Und wer einen geringeren Schlafbedarf hat, sich aber um 21 Uhr in den Schlaf atmet, der kann sich um 3 Uhr in der Nacht sehr ausgeschlafen darüber Gedanken machen, ob das jetzt eine gute Idee war.
So finden Sie heraus, wie viel Schlaf Sie brauchen
Arbeit, Hausarbeit und Fernsehen am Abend lassen viele Menschen das Gefühl dafür verlieren, wie viel Schlaf sie brauchen. Wenn Sie wissen wollen, wie viel Schlaf Ihnen guttut, dann gönnen Sie sich ein Experiment:
- Minimieren Sie Reize. Lesen Sie ein gedrucktes Buch oder eine Zeitschrift. Lassen Sie Waschmaschine und Co am nächsten Tag laufen, die meisten Geräte haben einen Timer.
- Wenn Sie Müdigkeit spüren, überlegen Sie, ob es schon eine gute Zeit zum Hinlegen ist. Wenn nicht: Machen Sie etwas Ruhiges.
- Wenn Sie eine feste Aufstehzeit haben: Legen Sie sich ungefähr acht Stunden vorher hin. Reicht Ihnen der Schlaf nicht, dann verlängern Sie die Zeit im Bett in kleinen Schritten nach vorn. Liegen Sie wach, dann verkürzen Sie sie auf sieben Stunden.
- Wenn Sie keine feste Aufstehzeit haben: Gehen Sie testweise um 23 Uhr ins Bett. Liegen Sie erst einmal wach, dann probieren Sie es mit Mitternacht.
Unter diesen Bedingungen finden Sie heraus, wie viel Schlaf Sie im Alltag brauchen. Das Ergebnis ist übrigens eine Momentaufnahme: Menschen schlafen im Sommer oft kürzer als im Winter. Einige müssen für dieses Experiment mehr Alltag abwehren als andere. Eltern bekommen oft weniger Schlaf, als sie brauchen. Männer und Singles schlafen am besten. Das ist unfair, aber es ist auch ein Arbeitsauftrag. Gerechter Schlaf folgt auf einen gerechten Alltag. Daran müssen wir arbeiten.
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