Gute Nacht – die Kolumne für besseren Schlaf: Das Kind in Ihnen kann auch nicht schlafen
»Gefühlt schon immer.« So lange besteht bei einigen Menschen ihre Schlafstörung. Abends dauert es, bis sie einschlafen, sie quälen sich mit Sorgen um den Schlaf und die Folgen der Schlaflosigkeit. Wachen sie kurz auf, dann beunruhigt sie das so sehr, dass sie wach bleiben.
Die Betroffenen entsprechen dem Störungsbild, wie es im ICD-11 beschrieben wird: Mehrmals in der Woche schlafen sie schlecht und fühlen sich am nächsten Tag müde, reizbar und weniger leistungsfähig. Nach dem ICD reicht für eine chronische Insomnie ein Auftreten mehrmals die Woche über mindestens drei Monate. Aber für manche Menschen ist die Schlafstörung ein Teil ihres Lebens, sie tritt mehrmals im Jahr für einige Wochen auf. Die chronische Insomnie zeigt dann einen episodischen Verlauf.
Das haben Fachleute um Julio Fernandez-Mendoza analysiert, indem sie rund 500 Menschen über einen Zeitraum von 15 Jahren dreimal befragt und untersucht haben; ihre Ergebnisse wurden im Magazin »Pediatrics« veröffentlicht. Zu Beginn der Studie lag das Medianalter bei neun Jahren; die Ursachen wurden nicht differenziert. Die Studie ist dennoch relevant, weil sie einen Einblick in den Verlauf von gestörtem Schlaf gibt.
Insbesondere Frauen und Menschen aus Minderheiten sind von der in der Kindheit beginnenden Schlafstörung betroffen
Unter den Kindern mit Schlafstörungen bestanden diese bei 43 Prozent bis ins Erwachsenenalter hinein. Bei weiteren 18 Prozent besserten sich die Symptome in der Teenagerzeit, im jungen Erwachsenenalter schliefen sie jedoch erneut schlecht. Das bedeutet: Von fünf Menschen, die als Kind schlecht schlafen, schlafen drei als junge Erwachsene wieder oder immer noch schlecht. Insbesondere Frauen und Menschen aus Minderheiten sind von der in der Kindheit beginnenden Schlafstörung betroffen, berichtete Fernandez-Mendozas Team kürzlich im Fachmagazin »SLEEP«. Es geht also vielen Menschen so. Ungünstige Schlafmuster sind kein Versagen, auch wenn sie erlernt sind.
Ein Blick auf die Kindheit
Wer sein Leben lang schlecht schläft, dem sei zu einem Blick in die eigene Kindheit geraten. War Schlafengehen eine Strafe? Wurde mit der Schule am nächsten Tag gedroht? Wurde Druck aufgebaut, wenn es mit dem Schlaf nicht klappen wollte? Oder entstanden diese Gefühle aus eigener Angst heraus? In einer Erhebung der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) berichteten die Kinder von schulbezogenem Stress, Ängsten und Leistungsdruck. Auch das kann am Beginn einer erlernten Schlafstörung stehen.
Der Grund dafür ist, dass Menschen lernfähig sind. Und wir können auch Schlafstörungen lernen. Im Gehirn schleift sich die Verbindung ein: Im Bett wälze ich mich herum, einschlafen dauert ewig, die Nacht ist eine Qual; ich kann mich nicht sicher fühlen und ich habe keine Kontrolle über meine Leistungsfähigkeit. Es ist ähnlich wie beim Fahrradfahren: Das Erlernte lässt sich kaum wieder verlernen.
Betroffene Erwachsene müssen sich daher zunächst der Wahrheit stellen. Vielleicht ist die Schlafstörung gelernt. Wer stark unter der Schlafstörung leidet, findet in der kognitiven Verhaltenstherapie Hilfe. Der Weg zur Therapie erscheint weit, doch er lohnt sich insbesondere dann, wenn weitere Belastungen bestehen. Organische Ursachen oder einen Nährstoffmangel prüft der Hausarzt, alternative psychische Ursachen können in einer psychologischen Diagnostik festgestellt werden. Auch wenn Therapieplätze knapp sind: Diagnostik gibt es vielerorts auch kurzfristig.
Die Erkenntnis, an einer gelernten Schlafstörung zu leiden, fühlt sich vielleicht nicht gut an. Rein praktisch betrachtet ist sie aber eine Erleichterung. Denn was gelernt ist, kann auch umgelernt werden. Wichtig ist: Sie trifft dabei keine Schuld. Denken Sie stattdessen an etwas Positives. Das ist eine Chance auf Besserung.
Gehen Sie später ins Bett
Sie möchten es zunächst eigenverantwortlich probieren? Zuallererst sollten Sie folgende Regel unbedingt befolgen: Führen Sie kein Fahrzeug, wenn Sie nicht ausgeschlafen sind, Sie gefährden sonst Menschen. Um den Schlafstörungen entgegenzuwirken, können Sie drei Schritte versuchen:
- Machen Sie Ihr Schlafzimmer zu einem schönen Ort. Räumen Sie alles raus, was Sie rausräumen können, vor allem wenn es Sie an Arbeit oder Aufgaben erinnert. Seien Sie streng und behalten Sie nur Bettwäsche, Kissen und Decken, die Sie wirklich mögen.
- Gehen Sie später ins Bett und stehen Sie jeden Tag zur gleichen Zeit auf. Einen guten Richtwert haben Sie, wenn zwischen dem Zähneputzen sechs Stunden liegen.
- Tagsüber lassen Sie das Bett unberührt. Verzichten Sie auf Mittagsschlaf. Bei Müdigkeit hilft Bewegung.
Die Idee dahinter: Sie werden abends so richtig müde sein, was Ihre Chancen erhöht, gut einzuschlafen. Mit diesen Schritten bauen Sie sich ein neues Verhältnis zu Ihrem Bett auf. Und dies kann folgende Erkenntnis bringen: Ich kann schlafen. Ich bin jetzt erwachsen und die Ängste meiner Jugend gelten nicht mehr. Ich kümmere mich um mich. Mein Bett ist mein Ort zum Schlafen. Sie lernen neu.
Erzählen Sie die Geschichte des Einschlafens neu, damit Sie Ruhe finden
Darüber hinaus hilft es, wenn Sie sich mit einer Entspannungs- oder Meditationstechnik beschäftigen. Autogenes Training ist zum Beispiel gut erforscht. Für die neueren Meditationsapps gibt es natürlich keine vergleichbare Studienlage, Sie können aber einen wissenschaftlich fundierten Ansatz wie »Headspace« (für Erwachsene) oder »Aumio« (für Kinder) wählen.
Eltern, die sich um den Schlaf ihrer Kinder sorgen, möchte ich einen Rat geben: Machen Sie den Abend zu einer schönen Zeit. Zubettgehen sollte keine Strafe sein. Und um Schlafmangel sollten sich keine Schul- und Leistungsbedrohungen ranken. Machen Sie sich keine Sorgen, falls es bislang nicht so gut gelaufen ist – es ist nie zu spät, weder für Erwachsene noch für Kinder. Erzählen Sie die Geschichte des Einschlafens neu, damit Sie alle Ruhe finden.
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