Schlichting!: Wachsstruktur färbt Blaubeeren blau
Wenn ich Blaubeeren, Zwetschgen oder Schlehen direkt vom Strauch oder Baum esse, wische ich meist automatisch den blauen Belag ab, so als würde die Frucht dadurch in irgendeiner Weise gesäubert. Sie erscheint dann meist in einem sehr dunklen Rot. Offenbar enthält das Obst selbst keine blauen Pigmente, sondern der Farbton muss auf Anlagerungen auf der Schale zurückzuführen sein. Dabei handelt es sich um eine dünne Wachsschicht. Mir ist aufgefallen, dass sie meist in einem guten Zustand ist, so als wäre sie selbstheilend oder als würde sie sich immer wieder erneuern.
Für Pflanzen ist es vorteilhaft, wenn ihre Früchte für Tiere leicht erkennbar und attraktiv sind, damit die Samen rege verbreitet werden. Das ist nach einschlägigen physiologischen Untersuchungen bei Wirbeltieren insbesondere für die Farbe Blau der Fall. Dem steht allerdings der Befund entgegen, dass solche Früchte eher selten sind. Blau reflektierende Moleküle absorbieren langwelligeres Licht. Dazu müssen sie selbst groß sein, und das macht es energetisch aufwändig, sie zu produzieren.
Viele Gewächse statten ihre Früchte mit einer dünnen Wachsschicht aus. Sie ist Wasser abweisend, selbstreinigend und schützt vor Parasiten und Krankheitserregern. Heidelbeeren und Co nutzen eine solche Umhüllung außerdem, um sich ohne großen Energieaufwand blau einzukleiden.
Denn Farben müssen nicht zwangsläufig durch Pigmente entstehen. In vielen Fällen haben sie ihren Ursprung vielmehr in der mikroskopischen Struktur des Materials, mit dem das einfallende Licht wechselwirkt. Zahlreiche Tiere erscheinen bunt, weil die Sonnenstrahlen in ihren Panzern oder Federn gebeugt werden und interferieren. Sogar das blaue Himmelslicht ist letztlich eine Strukturfarbe, da es durch Streuung der Sonnenstrahlung an den Luftmolekülen zu Stande kommt (so genannte Rayleigh-Streuung). Hier nimmt die Intensität des zu den Seiten abgelenkten Lichts mit kleinerer Wellenlänge stark zu – das heißt, man sieht vor allem das kurzwellige Blau.
Die besondere Wachsschicht auf vielen Früchten wurde bisher vorrangig hinsichtlich ihrer Schutzeigenschaften erforscht. Inzwischen hat sich die Wissenschaft allerdings auch des optischen Effekts angenommen, den das Wachs ausübt, auf Heidelbeeren wie auf anderen blauen Früchten. Im Februar 2024 hat ein Team um die Physikerin Rox Middleton von der University of Bristol eine eingehende Untersuchung dazu veröffentlicht.
Schillernde Schicht auf dunklem Grund
Die Arbeitsgruppe stellte in der Wachsschicht von einigen blauen Früchten mit speziellen optischen Methoden besonders starke Lichtflexionen im blauen und ultravioletten Wellenlängenbereich fest. Strukturfarben beruhen im Unterschied zu Pigmentfarben nicht auf Absorption. Entsprechend lässt die dünne Wachsschicht viel Licht hindurch. Das Problem: Träfe es dann auf tiefer liegende Pigmente, würden sich die Farben mischen und so den Gesamteindruck verändern. Damit das Hellblau der semitransparenten Schicht ungestört zur Geltung kommt, muss daher der Untergrund das einfallende Licht weitgehend absorbieren. Das ist bei den blauen Früchten tatsächlich der Fall – reibt man die Wachsschicht ab, so erscheint ihre Haut sehr dunkel. Erst unter dieser stark absorbierenden Schicht, aus der tiefroter Saft gepresst werden kann, steckt in der Regel ein helleres Fleisch.
Die Bedeutung jener Absorption wird bei unreifen Früchten klar. Hier fehlt der dunkle, Licht schluckende Hintergrund noch, und die grüne oder hellrote Pigmentfarbe übertönt das Blau des Wachsüberzugs.
Als das Forschungsteam die Morphologie der Wachsschicht der blauen Früchte verschiedener Pflanzenarten untersuchte, fand es deutliche Unterschiede. Je nach Spezies identifizierte es ungeordnete nanoskopische Ring-, Stäbchen-, Platten- und Rohrstrukturen. All diese verschiedenartigen Partikel erzeugen eine übereinstimmende Farbe – ihre genaue Form hat keinen Einfluss auf die Art der Streuung. Entscheidend ist vielmehr, dass die jeweilige Nanostruktur ungeordnet ist. Wie bei der Rayleigh-Streuung des Himmelslichts nimmt hier die Streuintensität mit kleineren Wellenlängen zu. In jedem Fall ähnelten sich die optischen Spektren mit dem typischen Blau sehr.
Aus der Malerei weiß man, dass die Wirkung einer Farbe von ihrer direkten Nachbarschaft abhängt. Das ist bei der Wahrnehmung der Früchte genauso. Dabei spielt insbesondere das grüne Blätterwerk eine wichtige Rolle. Dementsprechend untersuchte die Gruppe um Middleton außerdem die Leuchtkraft der Früchte mit und ohne Wachsschicht im Vergleich zu ihrer typischen Umgebung. Zwar sind hinsichtlich der Intensität des Lichts, das eine beschichtete blaue Frucht ausstrahlt, die Unterschiede zu den Blättern geringer (beide leuchten ähnlich stark) als bei den vom Wachs befreiten Früchten. Allerdings ist der Farbkontrast tatsächlich wesentlich größer.
»Blau? Das ist für mich die Farbe meiner Träume«Joan Miró
Bei den Untersuchungen der blauen Wachsschichten der diversen Früchte ging es nicht nur um bloßes physikalisches Verständnis. Es zeichnen sich auch zahlreiche technische Einsatzzwecke ab. So gelang es dem Team, im Labor das Wachs der Beeren von Mahonien (das sind wegen ihrer dekorativen gezähnten und glänzenden Blätter, gelben Blüten und blauen Früchte beliebte Ziersträucher) mit Hilfe von Chloroform zu extrahieren und auf einem schwarzen Untergrund aufzutragen. Nach der Trocknung und Kristallisation des Wachses erstrahlte die Fläche in demselben hellen Blau wie die Beeren. Anwendungen dafür liegen auf der Hand – im ganz wörtlichen Sinn. Gerade im Bereich der Kosmetik sind künstliche Farbstoffe umstritten und nur wenige als unbedenklich zugelassen. Entsprechend viel versprechend ist die Aussicht, die breite Palette der beeindruckenden Lichteffekte der Natur nutzbar zu machen, um auch unseren Alltag etwas aufzuhübschen.
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