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Schlichting!: Farben durch Bewegung

Wenn Licht in den drei Grundfarben Rot, Grün und Blau schnell genug hintereinander aufflackert, nehmen wir die Mischung als weiß wahr. Trifft die Strahlung dabei allerdings auf bewegte Gegenstände, wird der zusammengesetzte Eindruck teilweise wieder aufgehoben – bunte Randbereiche entstehen.
Im gemischten Weiß zeigen sich bei schnellen Bewegungen einzelne Farben
Bunt umrahmtes Händeschütteln: Im gemischten Weiß präsentieren sich bei schnellen Bewegungen einzelne Farben. In den Randbereichen treffen nicht alle Lichtbestandteile auf, bevor sich das Objekt wieder herausbewegt hat. Deswegen werden hier nur manche Farben reflektiert. Im Schatten zeigt sich, dass immer genau die Komplementärfarbe hindurchgeht: Gelb bei Blau und Grün bei Rot.
Hinter zahlreichen alltäglichen Dingen versteckt sich verblüffende Physik. Seit vielen Jahren spürt H. Joachim Schlichting diesen Phänomenen nach und erklärt sie in seiner Kolumne. Schlichting ist Professor für Physik-Didaktik und arbeitete bis zur Emeritierung an der Universität Münster. Alle seine Beiträge finden sich auf dieser Seite.

Als ich vor einiger Zeit ein Glas Weißwein vor einen hellen Computermonitor stellte, war ich zunächst sehr erstaunt über ein farbenprächtiges Streifenmuster im Glas. Der Wein entzauberte das vermeintliche Weiß auf dem Bildschirm und führte es auf seinen technischen Ursprung zurück. Auf einem weißen Monitor sind nämlich die LEDs in den drei Grundfarben Rot, Grün und Blau so klein und sie liegen so dicht beieinander, dass wir sie nicht mehr getrennt wahrnehmen. Mischen sie sich zu gleichen Anteilen, empfinden wir das als Weiß. Im Weinglas wurden die Komponenten durch unterschiedliche Brechung an den gekrümmten Grenzflächen wieder voneinander separiert und individuell erkennbar.

Aber nicht nur räumliche, auch zeitliche Nähe vermag einzelne Beiträge zu einem ganz neuen Eindruck zu verschmelzen. Lässt man nämlich Licht unterschiedlicher Farben genügend schnell aufeinander folgen, so verschwindet ebenfalls unser Vermögen, zwischen ihnen zu differenzieren. Wir sehen stattdessen eine Mischfarbe.

Davon bekam ich vor vielen Jahren im Science Center Technorama in Winterthur in der Schweiz einen sehr konkreten Eindruck, wobei mir das Prinzip erst später klar wurde. In einem Raum, der von einem weißen Strahler beleuchtet wurde, konnte man mysteriöse Erscheinungen erleben. Bewegte Gegenstände einschließlich der eigenen geschüttelten Hand wurden von farbigen Rändern gesäumt. Sogar das Augenblinzeln war von lebhaften Farberscheinungen begleitet. Da ich zunächst keine Erklärung für dieses merkwürdige Phänomen fand, nahm ich Kontakt zum Künstler Piero Fogliati auf, der die Installation geschaffen hatte. Trotz eines erfolgreichen Briefwechsels bekam ich keine für mich befriedigende Antwort über den physikalischen Ursprung dieses Lichtzaubers.

Weil bei diesen Phänomenen Farben durch Bewegung entstanden, erinnerte ich mich an das bekannte Beispiel des Farbkreisels. Hier wird die Oberfläche eines Kreisels segmentweise unterschiedlich koloriert. Bei genügend schneller Rotation zeigt das so modifizierte Spielzeug dann eine einheitliche Mischfarbe. Unter entsprechender Beleuchtung sollte sich auf die Weise aus drei Grundfarben, zum Beispiel Rot, Grün und Blau, der Eindruck von weißem Licht erzeugen lassen. In der Praxis ist das Ergebnis allerdings wenig eindrucksvoll, vor allem weil die Reflexionsbedingungen nicht besonders gut sind. Mehr als einen Grauton kriegt man meist nicht hin.

Folienrad | Aus roter, blauer und grüner Folie lässt sich mit einem Motor und einer Lichtquelle ein Farbrad basteln, das weißes Mischlicht projiziert.

Ein wesentlich besseres Ergebnis lässt sich erzielen, wenn man die Grundfarben mit Hilfe monochromer Folien produziert, die segmentweise zu einem Kreis kombiniert und dann in Drehung versetzt werden. Um ein überzeugendes Weiß zu erhalten, muss man ein wenig mit den Größenverhältnissen der drei Abschnitte experimentieren. Mit den von mir benutzten Folien ergibt sich das beste Weiß, wenn das grüne Segment etwa doppelt so groß ist wie das rote und das blaue. Das mag bei Folien anderer Firmen unterschiedlich sein. Wenn man das so hergestellte Farbrad auf die Achse eines Motors montiert, dessen Drehzahl regelbar ist, lässt es sich fast beliebig schnell oder langsam rotieren. Dann muss man nur noch mit dem Spot einer Halogenlampe durch das Folienrad hindurchstrahlen. Daraufhin wird das gebündelte weiße Licht zunächst durch die Folien nacheinander in die drei Grundfarben zerlegt und anschließend bei genügend schneller Drehung für unser Auge wieder zu einem weißem Farbeindruck gemischt.

Mit dieser Vorrichtung lassen sich nun die gleichen Phänomene hervorbringen, die mich seinerzeit im Technorama faszinierten. Solange das aus den RGB-Farben gemischte weiße Lichtbündel auf Gegenstände trifft, die stillstehen, ist ihnen nichts Besonderes anzumerken. Erst wenn Bewegung ins Spiel kommt, zeigt sich die Magie: Wackelnde Objekte erhalten farbige Ränder. Deren Größen variieren je nach den Geschwindigkeiten des rotierenden Folienrads und des Gegenstands. Augenblinzeln geht ebenso mit rätselhaften Farbeffekten einher.

Farbenprächtiger Propeller | Unter rascher Drehung zeigen sich am Rand eines weißen Propellers die Bestandteile des aus Rot, Grün und Blau zusammengesetzten Lichts.

Blickt man gleichzeitig sowohl auf die im weißen Mischlicht bewegten Gegenstände als auch auf die Schatten, die diese auf eine Leinwand werfen, so sieht man hier ebenfalls farbige Ränder. Dabei fällt sofort auf, dass sie sich deutlich unterscheiden – bei den Schatten zeigen sich gerade die Komplementärfarben.

Ruckartig entmischt

Wie kommt es zu den Erscheinungen? Während die Hand oder irgendein Gegenstand in den Lichtstrom gerät, wird für einen kurzen Moment eine Farbe zumindest teilweise ausgeblendet und damit das Mischungsverhältnis gestört, das zum Weiß führt. An den Kanten sieht man demnach einen Streifen der übrig gebliebenen Farbe: beim eigentlichen Objekt diejenige, die gerade noch reflektiert wurde, bevor der Gegenstand wieder weg war; für den Schatten dahinter bleiben nur die übrig, die anschließend oder kurz zuvor durchgelassen wurden. Im Schattenbereich sieht man also im selben Moment die zugehörigen Komplementärfarben. Etwas Ähnliches passiert, wenn das ins Auge fallende Lichtbündel durch die Bewegung des zwinkernden Lids beschnitten wird und dadurch die Restfarben zur Geltung kommen. Der bunte Rand ist umso schmaler, je schneller das Rad rotiert.

Mit dieser Bewegungsempfindlichkeit des Lichts lässt sich künstlerisch experimentieren. Es bietet sich beispielsweise an, auf Pappscheiben aufgebrachte schwarz-weiße Muster in wechselndem Licht rotieren zu lassen. Durch ausgewählte Motive und gezielte Variation der Geschwindigkeiten der Plättchen kann man ästhetisch ansprechende Strukturen hervorrufen – stationäre ebenso wie in der Farbe changierende.

Bunt aus Schwarz | Schwarz-weiße Muster erzeugen im weißen Mischlicht bei Drehung bunte Farben.

Wer durch die Beschreibung an den »Regenbogeneffekt« erinnert wird, der zuweilen bei Präsentationen mit einem so genannten DLP-Beamer zu beobachten ist, liegt ganz richtig. Denn das Herzstück dieses Projektortyps (die Abkürzung DLP steht für Digital Light Processing) nutzt ein kleines Farbrad. Es rotiert sehr schnell, während Millionen von winzigen Spiegeln in Sekundenbruchteilen mit dem hindurchgestrahlten Licht synchronisiert werden – so präzise, dass auf der Leinwand pixelgenau stets die gewünschte Farbe ankommt. Auch hier kann es während Bewegungen im Licht zu erratischen bunten Erscheinungen kommen.

»Dagegen lassen wir uns das Recht nicht nehmen, die Farbe zu bewundern, zu lieben und wo möglich zu erforschen«Johann Wolfgang von Goethe

Der Gedanke liegt auf der Hand, für diese skizzierten Untersuchungen des Phänomens statt einer eigenen Konstruktion das weiße Licht eines DLP-Beamers zu benutzen. Das hat allerdings einen entscheidenden praktischen Nachteil. Das Farbrad rotiert mehr als 100-mal in der Sekunde, weil die Hersteller versuchen, durch hohe Frequenzen den Regenbogeneffekt weitgehend zu unterdrücken. Deswegen müssen alle Bewegungen, die ihn gezielt und deutlich hervorrufen sollen, ebenfalls sehr rasch erfolgen. Das erhöht die mechanischen Anforderungen an die rotierenden Materialien oder wackelnden Körperteile, schränkt den Handlungsspielraum stark ein und senkt so die praktische Freude am Experimentieren. Hier stehen die Bestrebungen, die eine Art von Lichtspiel störungsfrei zu genießen, klar der Möglichkeit entgegen, eine andere zu betreiben.

Bleibt die Frage, ob auch Piero Fogliati sein weißes Licht im Prinzip auf diese Weise gestaltet hat. Auch wenn der 2016 verstorbene Künstler es mir nicht verraten wollte, weiß ich inzwischen aus genaueren Beobachtungen seiner Installation in einem Science Center, dass er ebenfalls ein rotierendes Farbrad benutzte.

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