Schlichting!: Winzige Tröpfchen ganz groß
Wer am brandenden Meeressaum oder am Gradierwerk eines Kurorts die Brise genießt, atmet salzhaltige Wassertröpfchen ein. Auch sprudelnder Sekt entsendet winzige Perlen in den Raum und gelangt so als prickelndes Aroma in unsere Nasen. Diese und viele weitere Flüssigkeiten werden als Schwebeteilchen zum Spielball der Luftströmungen. Das klappt nur, wenn sie sehr langsam zu Boden gehen, und dazu müssen sie ziemlich unscheinbar sein.
Jeder sich selbst überlassene Tropfen wird auf Grund seiner Gewichtskraft zur Erde hin beschleunigt. Dagegen übt die Luft eine Widerstandskraft aus. Diese wird mit zunehmender Fallgeschwindigkeit größer, bis schließlich beide Kräfte denselben Betrag haben. Sofern die Masse des Tropfens gleich bleibt, sinkt er fortan mit konstanter Geschwindigkeit.
Die Luftwiderstandskraft bei einem bewegten Gegenstand hängt nicht nur von seiner Geschwindigkeit ab, sondern auch von der Querschnittsfläche: Kleinere Tropfen erfahren einen geringeren Widerstand. Mit der Größe ändern sich die Kräfteverhältnisse insgesamt. Denn mit ihr nimmt zwar ebenfalls die Masse und damit die Gewichtskraft ab, jedoch nicht in gleichem Maß. Darum ist die Sinkgeschwindigkeit für kleine Tröpfchen eine andere.
Reduziert sich der Radius eines fallenden Tropfens um den Faktor 10, verringert sich seine Fläche um den Faktor 100. Das Volumen und die dazu proportionale Masse nehmen allerdings mit dem Radius hoch drei, also um das 1000-Fache ab. Das Gewicht reduziert sich daher viel schneller als der Luftwiderstand. Deswegen halten sich beide Kräfte bei kleineren Tröpfchen bereits bei viel niedrigeren Geschwindigkeiten die Waage – das Objekt sinkt deutlich langsamer. Will man also Flüssigkeiten beziehungsweise die mit ihnen transportierten Stoffe lange in der Luft halten, muss man die Tropfen möglichst klein machen.
Das ist leichter gesagt als getan. Denn um aus einer Kugel zwei zu machen, braucht es etwa ein Fünftel mehr an Oberfläche. Und das kostet Energie. Wie viel davon nötig ist, um eine gewisse Wassermenge in Tröpfchen zu versprühen, berechnet man, indem man die entstehende Gesamtfläche mit der charakteristischen Oberflächenspannung des Wassers multipliziert. Winzige Tropfen sind annähernd rund. Ihre individuelle Oberfläche multipliziert mit ihrer Anzahl, die aus dem Wasservolumen insgesamt entstehen kann, ergibt die totale Fläche. Eine kurze Rechnung zeigt, dass aus einem Liter Wasser hergestellte Tröpfchen mit einem Radius von zehn Mikrometern eine Gesamtfläche von 300 Quadratmetern einnehmen würden. Dafür wäre eine Energie von etwa 22 Joule aufzubringen. Das ist durchaus beachtlich: Man könnte damit immerhin die gleiche Flüssigkeitsmenge um 2,2 Meter anheben.
Der Sturm fängt das aufsprühende Wasser auf und treibt es in breiten Nebelgardinen an der Flutlinie entlang
Harry Mulisch, 1927–2010
Eine einfache Zerstäubungstechnik verschafft einen Eindruck von der bei der Tröpfchenproduktion benötigten Leistung. Dazu wird ein Röhrchen in einen Behälter beispielsweise mit Wasser gesenkt, und mit einem zweiten bläst man gegen die obere Öffnung des ersten. Ein durchsichtiger Strohhalm etwa lässt erkennen, wie währenddessen der Wasserspiegel darin steigt. Selbst wenn man es nicht sieht, hört man es an dem immer höheren Zischlaut – Ausdruck der sich ändernden Schwingungsfrequenz der schwindenden Luftsäule.
Was geschieht hier? Das erste Röhrchen behindert den dagegengeblasenen Atem. Dieser muss einen Umweg darüber hinweg und seitlich vorbei nehmen. Die Teilchen werden schneller, da sie eine längere Strecke zurücklegen müssen, damit in gleicher Zeit weiterhin das gleiche Volumen befördert wird. Die derart gewissermaßen auseinandergezogene Strömung hat infolgedessen weniger Druck. Um den Unterschied aufzuheben, zieht sie aus allen Richtungen Luft an, insbesondere aus dem senkrechten Röhrchen. Schließlich gerät die steigende Flüssigkeitssäule in den Strom und wird in viele kleine Tröpfchen zerfetzt.
Die Zerstäubung erzeugt einen spürbar größeren Widerstand beim Blasen. Die zusätzliche Energie ist vor allem nötig, um die Oberfläche der unzähligen Tröpfchen zu schaffen. Die Wassersäule wird zunächst ähnlich wie bei Seifenblasen zu einer dünnen Lamelle aufgepustet. Das zwingt das Wasser in eine Form mit sehr großer Oberfläche. Bei Seifenlauge würden sich jetzt Blasen abschnüren (siehe »Himmlische Sphären«, Spektrum Juni 2016, S. 44). Eine Wasserlamelle hingegen ist wegen der beträchtlichen Oberflächenspannung des Wassers sehr instabil und zerreißt ziemlich schnell. Getrieben durch die Tendenz der Natur, bei allen von selbst ablaufenden Vorgängen so viel Energie wie möglich an die Umgebung abzugeben, schnurren die Wasserfetzen sofort zu winzigen Kügelchen zusammen. Denn in dieser Form haben sie die geringste Oberfläche und benötigen am wenigsten Oberflächenenergie.
Seit Menschen erkannt haben, dass Substanzen mit kleinsten Flüssigkeitstropfen weiträumig und sehr fein dosiert verteilt werden können, entwickeln sie dem jeweiligen Verwendungszweck angemessene Verfahren, um solche Aerosole gezielt zu erzeugen. Für Zerstäuber gibt es zahlreiche wissenschaftliche und industrielle Anwendungen bis hin zum alltäglichen Auftragen von Parfüm oder Haarspray. Verbrennungsmotoren und Ölheizungen erreichen mit Einspritzung vor allem dank des großen Verhältnisses von Fläche zu Volumen eine optimale chemische Reaktion mit dem Sauerstoff. Die konkreten Techniken sind entsprechend sehr unterschiedlich. In jedem Fall ist die hineingesteckte Oberflächenenergie eine lohnende Investition.
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