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Schlichting!: Wie die dünne Schicht auf dem Tee entsteht

Auf schwarzem oder grünem Tee bildet sich beim Abkühlen manchmal ein dünner, brüchiger, ölig glänzender Belag. Das liegt an einer komplexen Wechselwirkung zwischen den Inhaltsstoffen des Getränks, den Mineralien im Leitungswasser und der angrenzenden Luft.
In einer Tasse Schwarztee wird das Grau des bedeckten Himmels von einem feinen, glatten Belag reflektiert
Wer seinen Schwarztee mit kalkhaltigem Wasser aufbrüht, kennt diesen Anblick: In der Tasse schwimmt nach einiger Zeit ein feiner, glatter Belag.
Hinter zahlreichen alltäglichen Dingen versteckt sich verblüffende Physik. Seit vielen Jahren spürt H. Joachim Schlichting diesen Phänomenen nach und erklärt sie in seiner Kolumne. Schlichting ist Professor für Physik-Didaktik und arbeitete bis zur Emeritierung an der Universität Münster. Alle seine Beiträge finden sich auf dieser Seite.

Auf schwarzem oder grünem Tee, der in der Tasse erkaltet, erkennt man manchmal einen dünnen Belag, der auf der Flüssigkeit driftet und durch Bewegungen leicht in schollenartige Bruchstücke zerfällt. Die dünne Haut gilt oft als unansehnlich oder gar unappetitlich – wie ein Ölfilm aus unerwünschten Abscheidungen des Tees. Doch wer vorschnell so urteilt, übersieht leicht die subtile Ästhetik des Phänomens. Denn die feinen Faltungen, Rissstrukturen und unter Umständen irisierenden Farben sind nicht nur schön anzuschauen. Sie fordern zu genaueren Untersuchungen über deren Zustandekommen geradezu heraus.

Ich beobachte diese dünne Schicht seit Längerem und wunderte mich bei meinen Aufenthalten im Teeland Ostfriesland über die weitgehende Abwesenheit der Erscheinung dort. Da die Region für ihr weiches Wasser bekannt ist, liegt es nahe, die Entstehung mit der Wasserqualität in Verbindung zu bringen.

In der Tat zeigen entsprechende Untersuchungen, dass weiches, also kalkarmes Wasser (bis zu 50 Milligramm Kalziumkarbonat pro Liter) so gut wie gar nicht zur Filmbildung tendiert, während diese sich mit hartem Wasser (etwa 200 Milligramm Kalziumkarbonat pro Liter) kaum vermeiden lässt.

Bei meinen eigenen Zubereitungen stellte ich fest: Der Belag nimmt zunächst mit der Zeit zu und erreicht schließlich so etwas wie eine Sättigung. Das Filmwachstum beginnt schon sehr früh, auch wenn man zunächst noch nichts sieht. Streift man nämlich gleich nach dem Einschenken in die Tasse mit einem Löffel die Oberfläche ab, so bleibt daran zuweilen ein dünner, flexibler Schleier haften. Er zeigt, dass sich Stoffe aus dem Tee bereits abzulagern beginnen.

Bei Trinkgefäßen mit einer größeren Oberfläche wird das gleiche Teevolumen in etwa derselben Zeit vollständig bedeckt. Das heißt, es bildet sich insgesamt mehr Belag. Es sind also nicht nur der Tee und die Qualität des Wassers für das Phänomen verantwortlich; offenbar ist außerdem die Grenzfläche mit der Luft von Belang.

Teehaut im Sonnenlicht | In einer Tasse Tee schwimmt auf der Oberfläche eine ausgeprägte, ölig schillernde Schicht. Deutlich sind die charakteristischen Brüche, Faltungen und irisierenden Farben des Phänomens zu erkennen.

In der wissenschaftlichen Literatur fand ich meine Beobachtungen bestätigt. Es gibt verschiedene Veröffentlichungen zu den physikalischen und chemischen Prozessen, die hinter dem Effekt stehen. Dort wird der genaue Mechanismus enthüllt: Pflanzliche Stoffe aus der Teelösung, so genannte Polyphenole, reagieren mit dem Sauerstoff aus der Luft und verbinden sich mit dem Kalziumkarbonat des harten Wassers.

Kalzium ist einer der wesentlichen Bestandteile des dünnen Films – deswegen ist hartes Wasser nötig. An einer größeren Grenzfläche zur Luft (in einer breiteren Tasse) gelangt zum Tee mehr Sauerstoff. Dessen Bedeutung ließ sich auch dadurch nachweisen, dass man zum einen reinen Sauerstoff und zum anderen reinen Stickstoff über die Oberfläche des Tees streichen ließ. Im ersten Fall bildete sich die Schicht schneller und stärker, im zweiten zögerlicher als unter Normalbedingungen. Der Vorgang läuft selbst dann schneller ab, wenn man den Tee länger warmhält; er hat also nichts mit dem Abkühlen direkt zu tun, sondern geschieht lediglich parallel.

Darüber hinaus lassen sich einige interessante mechanische Eigenschaften entdecken. Einerseits scheint der auf dem Tee driftende Film in sich ziemlich starr zu sein; jedenfalls entstehen bei entsprechenden Störungen der Flüssigkeitsoberfläche Risse in der Schicht, oder sie zerfällt in einzelne Schollen. Das kennt man von zerbrochenem Eis auf einem Gewässer. Andererseits gibt es Situationen, in denen der Belag erstaunlich flexibel ist. Dann beobachtet man statt der Risse typische Faltungen wie auf der Haut von erwärmter Milch.

Dünner Belag unter vielfältigen Einflüssen

Viele Forschungsarbeiten zum Teefilm haben sich vorwiegend auf die chemischen Vorgänge konzentriert (die wegen der komplexen Inhaltsstoffe des Naturprodukts auch weiterhin Rätsel aufgeben). Hingegen hat sich eine Gruppe um Chemieingenieurin Caroline Giacomin und Lebensmittelwissenschaftler Peter Fischer von der ETH Zürich auch den physikalischen Eigenschaften gewidmet. Sie hat grenzflächenrheologische Messungen vorgenommen, bei denen, ganz grob gesagt, der Übergang zwischen Tee und Luft mit einer kleinen Metallscheibe berührt und mit einem Motor bewegt wird. Auf diese Weise erfasst ein Sensor die Kraft, die nötig ist, um die Ablagerungen zu bewegen. So lassen sich die Elastizität der Schicht, ihre Sprödigkeit, Reißfestigkeit und Dicke bestimmen.

Mit Hilfe dieser Technik ermittelte das Team aus Zürich die Eigenschaften für den Oberflächenfilm des Tees und wie sie sich verändern, wenn man typische weitere Zutaten wie Milch, Zitronensaft oder Zucker hinzugibt. Beispielsweise wird der Belag mit Zitrone deutlich dünner. Die Zitronensäure bildet mit dem Kalziumkarbonat einen Komplex und es steht dann nicht mehr für die Reaktion an der Oberfläche zur Verfügung. In verschiedenen Regionen Asiens gibt man traditionell Kochsalz in einige Teezubereitungen – als Geschmacksverstärker und möglicherweise zudem, um Proteine auszufällen und so die Lösung zu klären. Jedenfalls stellten Giacomin und Fischer außerdem einen Einfluss auf die Oberflächenfilme fest. Diese verhalten sich in gesalzenem hartem Wasser eher so wie in weicherem. Auch Zucker und Milchproteine haben einen dämpfenden Effekt. Allerdings lässt sich auf von Milch getrübtem Tee der Film, obwohl deutlich dünner, mitunter viel leichter erkennen.

»Wenn Heraklit das Fließen konstatiert, erstarrt es«Paul Valéry, französischer Dichter

Ohnehin sollte es letztlich vor allem eine Frage des Geschmacks und nur untergeordnet eine der Ästhetik sein, mit welchen Zusätzen man sein Getränk bevorzugt. Selbst absolut reines Wasser kann Nachteile haben: Damit zubereiteter Tee ist zwar völlig frei von filmartigen Ablagerungen, schmeckt aber vergleichsweise bitter, weil die gelösten Pflanzenstoffe durch nichts mehr gebunden oder abgemildert werden. Insofern ist der Verdienst der exakten rheologischen Untersuchungen insbesondere, dass sie die verschiedenen Variationen und verbreiteten Trinkgewohnheiten mit objektiven Daten untermauern.

Die Ergebnisse mögen also eher im Hinblick auf die industrielle Produktion von unterschiedlichen Teezubereitungen mit genau definierbaren Eigenschaften von Bedeutung sein. Für die meisten Teetrinkerinnen und Teetrinker bleibt die Erkenntnis, dass sich auf ihrem Getränk lediglich widerspiegelt, was sie in einem Haushalt mit hartem Wasser auch beim Duschen, Blumengießen und Abspülen feststellen: Überall, sogar in der Teepause dazwischen, bekommt man die Auswirkungen des Kalks vor Augen geführt.

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  • Quellen

Giacomin, C. E., Fischer, P.: Black tea interfacial rheology and calcium carbonate. Physics of Fluids 33, 2021

Giacomin, C. E. et al.: Tea film formation in artificial tap water. Soft Matter 31, 2023

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