Die fabelhafte Welt der Mathematik: Das einfachste Theorem der Welt
Gibt es zwei Personen auf der Welt, die gleich behaart sind? Anders, als man vielleicht erwarten würde, lässt sich die Aussage auch ganz ohne statistische Analysen mit einem klaren Ja beantworten. Dafür braucht man nichts weiter als das »Schubfachprinzip«, auch »Dirichlet-Prinzip« genannt, das schon fast lächerlich einfach klingt: Wenn man n Objekte auf k Schubfächer aufteilen möchte und es mehr Objekte als Fächer gibt (n > k), dann landen mehrere Objekte im selben Schubfach. Diese simple Aussage, die mehr nach gesundem Menschenverstand als nach einem mathematischen Theorem klingt, hat der französische Gelehrte Jean Leurechon erstmals 1622 in einem Buch erwähnt. Auch in diesem Fall gilt wieder einmal Stiglers Gesetz, wonach keine wissenschaftliche Entdeckung nach ihrem wirklichen Entdecker benannt ist: Das Schubfachprinzip wird meist Peter Gustav Lejeune Dirichlet zugeschrieben, der etwa 200 Jahre nach Leurechon lebte. Trotz seiner Einfachheit ermöglicht das Schubfachprinzip es, durchaus komplexe Zusammenhänge zu beweisen. Zum Beispiel, dass sich von fünf willkürlich angeordneten Punkten auf einer Kugeloberfläche mindestens vier Stück auf der gleichen Halbkugel befinden.
Doch zurück zu den Haaren: Wie findet man heraus, ob zwei Personen auf der Welt genau die gleiche Anzahl an Haaren auf dem Kopf haben? Dafür muss man zunächst herausfinden, wie behaart Menschen maximal sein können: Je nach Haarfarbe hat der Mensch durchschnittlich zwischen 100 000 und 200 000 Haaren auf dem Kopf. Man kann mit Sicherheit behaupten, dass niemand mehr als eine Million Haare besitzt. Auf unserem Planeten leben aber insgesamt acht Milliarden Menschen. Das heißt, es gibt zwangsweise mehrere Personen, die exakt gleich viele Haare auf dem Kopf haben – zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich eine davon kämmt und dabei ein paar Haare verliert. Doch dann gibt es höchstwahrscheinlich eine andere Gruppe von Menschen, die gleich viele Haare besitzt wie sie. Tatsächlich hat auch Leurechon das Beispiel der Behaarung gewählt, um das Schubfachprinzip zu erwähnen.
Es lässt sich sogar noch mehr über die Haare der Menschheit aussagen – zum Beispiel, wie viele Personen auf der Welt mindestens gleich behaart sind. Um das zu berechnen, hilft es, zwei Extremfälle zu betrachten: einmal jenen, bei dem alle Personen exakt dieselbe Anzahl an Haaren haben (das wäre wohl der Fall, wenn sich alle eine Glatze rasierten), und die Situation, bei der sich die Behaarung der Menschen möglichst stark voneinander unterscheidet.
Man kann sich dazu eine Million Zimmer vorstellen, die aufsteigend nummeriert sind. Jeder Mensch betritt einen Raum mit der Nummer, die der Anzahl seiner Haare entspricht. Wenn nun alle Personen gleich behaart sind, landen alle im gleichen Zimmer: Man hat also acht Milliarden Menschen in einem Raum, während die übrigen 999 999 Zimmer leer sind. Im anderen Extremfall versuchen sich die Personen hingegen so aufzuteilen, dass möglichst wenige im gleichen Raum landen. Wie viele Menschen teilen sich dann maximal ein Zimmer? Um das zu berechnen, kann man die Räume nach und nach auffüllen: zunächst ein Mensch pro Zimmer, dann zwei, dann drei und so weiter. Wenn man acht Milliarden Menschen gleichmäßig auf eine Million Räume aufteilt, landen 8000 Personen in jedem Zimmer. Sobald man die Leute etwas umverteilt, gibt es zwangsläufig ein Zimmer, das mehr als 8000 Menschen beherbergt. Das bedeutet: Egal, wie sich die Personen aufteilen, in jedem Szenario enthält der vollste Raum mindestens 8000 Menschen. Also gibt es mindestens 8000 Personen auf dem Planeten, die gleich viele Haare haben.
Mindestens 438 Heidelberger haben am selben Tag Geburtstag
Damit haben wir sogar eine stärkere Version des Schubfachprinzips gezeigt: Wenn man n Objekte auf k Kategorien aufteilen möchte und n > k, dann gehören mindestens n⁄k Objekte zur selben Kategorie. Wenn man die Objekte gleichmäßig auf die Schubfächer verteilt, landen durchschnittlich n⁄k im gleichen Fach. Sobald man die Objekte auch nur leicht umverteilt, enthält eines der Schubfächer zwangsläufig mehr als n⁄k Objekte. Falls der Quotient n⁄k keine ganze Zahl ist, entspricht das gesuchte Minimum dem aufgerundeten Wert – denn eines der Fächer enthält dann zwangsläufig diese Anzahl an Objekten.
Wenn bei einem Fußballspiel beispielsweise sieben Tore gefallen sind, hat eine Mannschaft mindestens vier (7⁄2 aufgerundet) davon geschossen. Sie könnte aber fünf, sechs oder alle sieben gemacht haben. Oder etwas komplexer: In Heidelberg haben mindestens 438 Personen am selben Tag Geburtstag. Denn die Stadt hat etwa 160 000 Einwohner und es gibt 366 verschiedene Kalendertage, an denen man geboren werden kann – demnach haben mindestens 160 000⁄366 ≈ 438 Personen den gleichen Geburtstag (wenn man das Jahr nicht mitrechnet).
Aus dem Schubfachprinzip lassen sich aber nicht nur unterhaltsame – und zugegebenermaßen nicht allzu bedeutsame – Aussagen ableiten. Eine zumindest aus mathematischer Sicht relevante, wenn auch abstrakte Folgerung hat mit der Verteilung von Punkten auf einer Kugeloberfläche zu tun: Wenn man fünf willkürliche Orte auf einer Kugel herauspickt, dann befinden sich mindestens vier davon auf derselben Halbkugel. Um das zu zeigen, muss man die Halbkugel geschickt wählen: Zunächst sucht man sich zwei der fünf markierten Punkte heraus (egal welche) und markiert einen Äquator, auf dem die beiden Punkte liegen. Dadurch wird die Kugel in zwei Hälften geteilt, auf denen sich noch drei weitere Punkte befinden. Zwei davon müssen zwangsläufig auf der gleichen Halbkugel sein. Wenn man nun die Punkte auf dem Äquator mitzählt, liegen immer mindestens vier Punkte auf derselben Hälfte der Kugeloberfläche – unabhängig davon, wie sie verteilt sind.
Das Schubfachprinzip verdeutlicht, dass auch einfache Aussagen in der Mathematik großen Wert haben. Das sollte jedoch nicht allzu verwunderlich sein, schließlich fußt das Fach auf wenigen, möglichst simplen Grundannahmen (etwa, dass es eine leere Menge gibt), aus denen sich so komplizierte Ergebnisse wie Gödels Unvollständigkeitssätze folgern lassen. Auch einfache Systeme können komplexe Folgen haben.
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