Grams' Sprechstunde: Gesundheit oder Bildung? Gesundheit und Bildung!
Wie wohl alle Eltern treibt mich die Frage um, wie gut Schulen und Kindergärten die Gesundheit der Kleinen und Großen schützen. Klar, von »oben« verordnet ist dort viel, und das wechselt dann auch immer mal wieder. Und am Ende entsteht kein Konzept, sondern der Eindruck von heillosem Durcheinander. Von einem Flickenteppich der mal landes-, mal bundesweiten Regelungen und Verfügungen. Es folgen Konflikte von Schulen und Kitas mit den Behörden, Unsicherheit und zusätzliche Belastungen von uns Eltern, der Verlust von wenigstens einmal mittelfristiger Planungssicherheit etc. pp. – ganz ehrlich, was soll das?
Obendrauf kommt ein schlechtes Gefühl: Setze ich meine Kinder sehenden Auges einer Gefahr aus, wenn ich sie in Schule und Kita schicke, und damit womöglich sogar die ganze Familie? Oder richte ich mehr Schaden an, wenn ich sie zu Hause isolieren muss und ihnen wichtige soziale Entwicklungsmöglichkeiten vorenthalte? Vielleicht weiß die Politik am Ende gar nicht, was sie Eltern damit aufbürdet. Jedenfalls sorgt sie nach Lage der Dinge nun weder für den Schutz von Gesundheit noch für die Gewährleistung von Bildung.
Immerhin: Mein Bundesland, Baden-Württemberg, gibt Eltern die Option, ihre Kinder vorerst selbst dann nicht in Kita oder Schule zu schicken, wenn diese grundsätzlich geöffnet sind. Eine verlässliche Dauerlösung ist das natürlich nicht. Und hier wird ebenfalls die Verantwortung für den Infektionsschutz ganz gemein auf die Eltern abgeschoben. Dennoch ist das ja geradezu Gold im Vergleich zu Nordrhein-Westfalen, wo Anträge von Schulen auf Schließung auch bei hohen Inzidenzzahlen zum Teil einfach abgelehnt wurden – was die Entscheider offenbar auch noch für so etwas wie eine »klare Linie« halten.
Bei mir nebenan in Mannheim sind vor Kurzem mal wieder alle Kitas geschlossen worden, weil sich in regionalen Clustern mehr und mehr unter 15-Jährige infiziert haben. Generell scheinen die Zahlen in dieser Altersgruppe rasant anzusteigen, und mutierte, ansteckendere Virusvarianten wie B.1.1.7. kursieren. Und was passiert? Das grobe Muster, der »Plan«, geht so: mal rein in Kita und Schule, mal raus aus Kita und Schule. Und wer positiv getestet ist, muss halt in Quarantäne.
Nun halten es die meisten Eltern für unverantwortlich, sich zwischen Gesundheit und Bildung zu entscheiden, ohne dabei einem von beidem gerecht zu werden. Bei einer kleinen – natürlich nicht repräsentativen – Umfrage von mir auf Twitter haben fast 80 Prozent angegeben, sie würden ihre Kinder mit einem ausgesprochen schlechten Gefühl in die Schule schicken oder sich gleich ganz gegen den »normalen« Schulbesuch entscheiden (wenn diese Option besteht, wie in Baden-Württemberg). Manche behalten ihre Kinder sogar trotz einer Präsenzpflicht zu Hause, womit sie quasi aus Vernunft gegen das Gesetz verstoßen. Das ist doch grotesk.
Und trotzdem steckt der Schulbetrieb nach einem Jahr Pandemie immer noch in den Kinderschuhen, wenn es um Konzepte geht, die eine echte Alternative zum normalen Präsenzunterricht anbieten. Es gibt solche Konzepte durchaus, einige Schulen haben sie selbst entwickelt. Und es liegen – finde ich als Mutter mit drei Kindern – sinnvolle Ansätze auf der Hand, wie man Gesundheits- und Bildungsaspekte abdecken kann und gleichzeitig Eltern mehr Planungssicherheit geben könnte. In Stichpunkten notiert bräuchte es:
- endlich ein vernünftiges Testkonzept (und ausreichende (Schnell-)Testkapazitäten)
- die rasche Durchimpfung der Lehrer, Lehrerinnen und Erziehenden, so dass wenigstens sie geschützt sind
- einen organisierten Wechselunterricht in halben Gruppen oder Klassen
- den Einbau von Luftfiltern, gerade jetzt, wo das Lüften wegen der niedrigen Temperaturen nicht wirklich gut möglich ist
- bessere Möglichkeiten der Hygiene in Sanitärräumen und Klassenzimmern (allein die Raumgröße ist in vielen Einrichtungen nicht angemessen).
Damit ließe sich das Infektionsrisiko halbieren, mindestens. Das können doch keine unrealistischen Fantastereien sein? Damit müsste sich doch mehr erreichen lassen als mit dem jetzigen Prinzip des von Woche zu Woche gedachten Ja-Nein-Doch-Vielleicht?
Es ist seit Monaten widerlegt, dass bei Kindern und Jugendlichen ein vernachlässigbares Infektionsrisiko besteht. Wir wissen, dass Kinder und Jugendliche Viren in die Familien tragen können und die Pandemie weiter befördern: Symptomatische Kinder können das Virus genauso effektiv übertragen wie Erwachsene, und auch bei infizierten Kindern ohne Symptome ist eine Übertragung keineswegs ausgeschlossen. Bei Jüngeren sind ebenfalls schon »Long-Covid«-Verläufe beobachtet worden. Gleichzeitig ist der Impfschutz als Rettung der Situation zumindest für unter 15-Jährige derzeit nicht absehbar, weil die Studien hier noch laufen.
Aber es geht voran: Die Firma Moderna wird im »KidCove«-Programm ihren mRNA-Impfstoff in einer eigenen Phase-II/III-Studie mit Kindern ab dem sechsten Lebensmonat testen. Die entsprechende »TeenCOVE«-Studie für die Gruppe der 12- bis 15-Jährigen läuft bereits. In absehbarer Zeit könnten also auch Impfungen für unsere Kinder zur Verfügung stehen und helfen. Noch ist vielen nicht klar geworden, dass Corona nicht übermorgen verschwunden ist, sondern uns auf Dauer begleiten wird. Und dass weitere solcher Pandemien folgen können, mit ähnlichen oder ganz anderen Viren. Ein Konzept, damit umzugehen, dass wir Gesundheit und Bildung zusammen bekommen, brauchen wir also so oder so. Es sollte ein Konzept sein, das unabhängig vom Impfen funktioniert – und auch unabhängig von der schwankenden Interessenlage regionaler Politik.
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