Bildungschancen: Schulwissen hat nie ausgereicht, um als gebildet zu gelten
Was macht gute Bildung aus? Kinder aus wirtschaftlich und sozial besser gestellten Elternhäusern erbringen im Schnitt bessere schulische Leistungen. Diesen Befund erhärtete einmal mehr die in der vorletzten Woche vorgestellte neueste Pisa-Studie, welche weltweit den Wissensstand von 15-Jährigen in den naturwissenschaftlichen Fächern erhoben hatte. Viele Kommentatoren schlussfolgern aus Studien wie dieser, dass die "Bildungschancen" von sozioökonomischen Bedingungen abhängen. Doch diese Redeweise verengt unseren Blick darauf, was "Bildung" wirklich ausmacht.
Nimmt man als Maßstab das schiere Wissen – etwa aus populären Büchern wie "Bildung. Alles, was man wissen muss" von Dietrich Schwanitz oder "Naturwissenschaft. Alles, was man wissen muss" von Detlev Ganten, Thomas Deichmann und Thilo Spahl – und misst daran, was etwa der durchschnittliche Abiturient weiß, so liegen zwischen Anspruch und gemessener Wirklichkeit Welten. Ganz gleich, ob Literatur, Kunst, Musik oder Biologie, Chemie, Physik, Mathematik: Etliche Namen von Autoren, Malern, Komponisten oder Naturwissenschaftlern haben unsere Schulabgänger noch nie gehört.
Dabei ist Bildung nicht mit Wissen, das man abfragen kann, gleichzusetzen. In den Schulen werden geisteswissenschaftliche Fächer, die für das kulturelle Verständnis entscheidend sind, immer mehr zurückgedrängt.
Warum Milieuunterschiede bleiben
Gern wird davon gesprochen, dass Bildung dazu dienen soll, durch Elternhaus und Milieu gegebene Unterschiede zu beseitigen. Aber ist das realistisch? Viele Familien aus so genannten bildungsfernen Schichten werden das durch die Schule offenbar kaum behebbare Defizit entweder nicht erkennen oder nicht in der Lage sein, es durch private Anstrengung auszugleichen. Die Angehörigen "bildungsnaher" Schichten hingegen werden alles tun, um ihren Sprösslingen das zu vermitteln, "was man wissen sollte".
Was man unter Allgemeinbildung versteht, unterliegt einem steten Wandel. Wenn es aber um die abendländische Kultur, um ein Mindestmaß an Wissen geht, das man von der Geschichte des eigenen Landes und von den geistigen Strömungen kennen muss, um auch aktuelles Weltgeschehen verstehen und einordnen zu können, tut sich eine Kluft auf. Zwar konnte noch nie als gebildet gelten, wer allein den Schulstoff beherrschte. Aber dieser war und bleibt die Basis, auf der sich Bildung entwickeln kann. Die Anregungen dafür kamen und kommen vor allem aus dem Elternhaus und von engagierten Lehrern. Wo das ausbleibt, werden Kinder und Jugendliche benachteiligt bleiben. Und diese Benachteiligung kann keine auch noch so engagierte Bildungspolitik überwinden.
Was also ist zu tun? Um Unterschiede zumindest zu verringern, brauchen wir zunächst einmal Standards. Im Fach Deutsch etwa müsste länderübergreifend vorgegeben werden, welche Texte Abiturienten gelesen haben sollten. Dasselbe gilt für Geschichte, Kunst, Musik, aber auch für die Naturwissenschaften. Und wir brauchen Lehrinhalte, die verschiedene Wissensdomänen miteinander vernetzen. Hier hat auch das Fach Religion seinen Wert: Es ist wichtig für die Orientierung in anderen Bereichen, Literatur und Geschichte etwa. Der Einwand, die Lehrpläne seien bereits überfrachtet, geht ins Leere. Beim Trend zur Ganztagsschule und den dadurch verfügbaren Kapazitäten muss es möglich sein, entsprechende Angebote zu machen.
Es geht auch gar nicht um die Vermehrung des Stoffs, sondern um Aufgeschlossenheit für eine Kultur, die sowohl Geistes- als auch Naturwissenschaften umfasst. Andernfalls werden die kulturelle Verarmung eines Teils der Schülerinnen und Schüler sowie die Kluft zwischen Jugendlichen auf Grund ihrer sozialen Herkunft noch größer. Pisa macht nur deutlich, wo es am nötigen Handwerkszeug mangelt, misst bestenfalls Elemente von Ausbildung. Wer tatsächlich die Kluft zwischen Kindern aus privilegierten und den so genannten bildungsfernen Schichten verringern will, der muss dafür sorgen, dass die dafür relevanten Fächer in der Schule eine größere Bedeutung erhalten.
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