Sex matters: Auch die Prostata braucht Vorsorge
»Ich bin gesund und noch nicht mal 40, deswegen bin ich der Meinung, dass ich nicht zum Urologen gehen muss. Krebsvorsorge muss man doch erst ab Mitte 40 machen. Aber neulich hat mir ein Freund erzählt, er selbst würde schon seit Jahren regelmäßig zum Urologen gehen. Ich habe mich gefragt: Wozu soll ich da hin, wenn ich doch gar keine Probleme habe? Meine Freundin geht zwar einmal im Jahr zum Frauenarzt – aber bei Männern ist das doch was anderes, oder?« (Markus, 37*)
Ist Krebsvorsorge bei Männern wirklich etwas anderes als bei Frauen? Eine wichtige Frage, über die ich oft mit Klienten spreche. Es geht nämlich vielen Männern wie Markus: Sie halten den Besuch beim Urologen für überflüssig. Sie denken, dass sie zu jung dafür sind, oder finden die Vorstellung, dass ihnen ein Arzt den Finger in den Po steckt, total abschreckend. Sie meiden den Urologen wie die Katze den Rasensprenger. Dabei sollten Männer regelmäßig zum Urologen gehen – so wie Frauen eine Gynäkologin aufsuchen. Denn regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen sind für Menschen mit Penis genauso wichtig wie für Menschen mit Vagina.
Lassen Sie uns den Besuch beim Urologen einmal mit anderen Vorsorgeuntersuchungen vergleichen. Alle Kinder lernen spätestens im Grundschulalter, dass sie einmal im Jahr zum Zahnarzt müssen. Auch die U- und J-Untersuchungen beim Kinderarzt gehören zum Standard. Und dann? Mädchen gehen in der Regel in der Pubertät zum ersten Mal zum Frauenarzt. Ab diesem Moment tun sie das ihr Leben lang, und zwar mindestens einmal im Jahr. Und die Jungs? Zum Zahnarzt: ja, viele sogar jährlich. Aber zum Urologen? Lieber nicht.
Das Robert Koch-Institut berichtet: Während mehr als 70 Prozent der Frauen im Alter zwischen 40 und 49 Jahren einmal im Jahr in einer gynäkologischen Praxis ihre Brust auf Knoten untersuchen lassen, gehen nur knapp 25 Prozent der Männer in diesem Alter zur Krebsvorsorge zum Urologen und lassen die Prostata abtasten. Hier klafft eine riesengroße Lücke.
- Die Kolumne »Sex matters«
Was ist guter Sex? Was hält mich davon ab? Und wie schaffe ich es, meine Vorstellungen umzusetzen? Diesen und weiteren Fragen widmet sich der Sexual- und Paartherapeut Carsten Müller in dieser Kolumne (hier in Bild und Ton). Seit 2013 berät er in seiner Duisburger Praxis zu Fragen rund um Sexualität und Partnerschaft. Auch Sie möchten ein Thema für die Kolumne vorschlagen? Dann schreiben Sie eine E-Mail an: Liebe@spektrum.de
- Wer kann weiterhelfen?
Die Kolumne soll dazu anregen, über eigene Bedürfnisse und Grenzen nachzudenken. Sie ersetzt weder eine ärztliche Beratung noch das persönliche Gespräch mit einem Therapeuten. Wenn man allein nicht weiterweiß, kann es helfen, mit jemandem zu sprechen, der sich auskennt. Im deutschsprachigen Raum gibt es zahlreiche Therapie- und Beratungsangebote – hier eine Auswahl:
Eine Übersicht über Beratungsstellen geben die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und die Organisation pro familia. Mit Sextra bieten Teams von pro familia Beratung per Onlineformular und Mail. Therapeutenlisten – geordnet nach Name oder Postleitzahl – führen etwa die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung, die Deutsche Gesellschaft für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft sowie das Institut für Sexualtherapie. Jugendliche finden Hilfe auf sexundso.de.
Dabei ist der Besuch beim Urologen nicht nur wegen der Krebsvorsorge sinnvoll. Urologen sind gute Ansprechpartner für alle Fragen rund um die Sexualität. Ob es um Erektionsstörungen, einen vorzeitigen Samenerguss oder um sexuell übertragbare Krankheiten geht: Der Besuch beim Facharzt ist der erste Schritt zur Besserung. Urologen diagnostizieren und behandeln zum Beispiel auch Vorhautverengungen, die bei der Selbstbefriedigung oder dem Geschlechtsverkehr ziemlich unangenehme Schmerzen verursachen können.
Nach meinem Eindruck hat es etwas mit den Erfahrungen in der Jugend zu tun, dass der Besuch beim Urologen für Männer trotz aller guten Argumente keine Selbstverständlichkeit ist. Ein Mädchen in der Pubertät kann ab dem Alter von 14 Jahren allein zum Gynäkologen gehen, um sich über Empfängnisverhütung zu informieren, sich die Pille verschreiben oder sich anderweitig beraten zu lassen. Fast alle jungen Frauen tun das. 96 Prozent der 18- bis 25-jährigen hatten laut einer Befragung im Jahr 2019 bereits eine gynäkologische Praxis besucht. Später setzt sich das fort, der jährliche Gynäkologen-Termin wird zu einer Selbstverständlichkeit.
Vorsorgen ist wie Zähneputzen: Durch simple Regelmäßigkeit wird es normal
Mein Plädoyer zur Vorsorge lautet: früh anfangen und am besten gar nicht erst wieder aufhören. Wenn ein Jugendlicher bereits in der Pubertät den Urologen als Ansprechpartner für alle Fragen rund um die Sexualität kennen lernt, wird er auch als junger Mann eher hingehen. Das ergibt auch deswegen Sinn, weil es gut ist, sich regelmäßig auf Geschlechtskrankheiten testen zu lassen. Manche verlaufen bei Männern nahezu symptomlos, und der Mann muss sich nicht unbedingt durch sexuelle Aktivitäten angesteckt haben – wird aber ziemlich sicher seine Partnerin oder seinen Partner infizieren, wenn er ungeschützten Geschlechtsverkehr hat.
Vorsorge ist eine Frage der Gewohnheit. Genauso wie tägliches Zähneputzen oder der jährliche Zahnarztbesuch, der durch die simple Regelmäßigkeit normal wird. Bei Menschen mit Penis ist der Besuch beim Urologen leider noch keine Normalität – sollte er aber werden. Wenn junge Männer beim Urologen lernen, dass sie selbst ihre Hoden abtasten können, würden viele Hodentumoren früher diagnostiziert und wären besser behandelbar.
Doch was genau tut ein Urologe eigentlich bei der Prostata-Vorsorgeuntersuchung? Dazu kursieren die verrücktesten Horrorvorstellungen. Ein Klient erzählte mir neulich, er scheue die Untersuchung, weil der Urologe ihm die ganze Hand in den Po schieben würde. Ich konnte ihn beruhigen: Um die Prostata abzutasten, reicht ein Finger. Das ist auszuhalten – genau wie eine professionelle Zahnreinigung: Es ist keine Wellness-Massage, aber sinnvoll und nicht allzu unangenehm.
Weil dies hier vermutlich mehr Eltern als Jugendliche lesen, zum Schluss eine ganz konkrete Anregung: Sprechen Sie mit Ihren Kindern über Vorsorgeuntersuchungen. Lassen Sie sich vom Kinderarzt eine Überweisung geben. Schicken Sie Ihr Kind dorthin. Fragen Sie es, ob es allein oder mit Ihnen hingehen möchte. Die Pubertät ist ein guter Zeitpunkt, um mit den lebenslangen Besuchen beim Gynäkologen oder Urologen zu beginnen. Es ist nur eine Frage der Gewohnheit – und keine Frage des Geschlechts.
Und nun sind Sie dran: Besser vorsorgen
Wie ritualisieren Sie Ihre Arztbesuche? Schreiben Sie eine Liste der Vorsorgeuntersuchungen, die Sie angehen möchten. Erledigen Sie die Terminvereinbarung beim Zahnarzt, bei weiteren Ärzten und beim Urologen oder Gynäkologen in einem Rutsch. Behandeln Sie alle Ihre Vorsorgetermine gleichwertig und machen Sie direkt den nächsten Termin aus, wenn Sie einmal in der Praxis sind.
* Der Name im Fallbeispiel ist von der Redaktion geändert.
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