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Sex matters: Warum sexuelle Fantasien einfach fantastisch sind (und bleiben)

Aber was, wenn mich das Kopfkino meines Partners stört? Unser Sex-Kolumnist Carsten Müller über Gedanken, die antörnen und trotzdem im eigenen Kopf am besten aufgehoben sind.
Eine lachende Frau im Bett
Die Gedanken sind frei: Sexuelle Fantasien sind nicht automatisch mit dem Wunsch verknüpft, sie auch auszuleben (Symbolbild).

»Wir haben neulich ein Kommunikationsspiel für Paare gespielt, was erst mal wirklich Spaß gemacht hat. Bis zu dem Moment, in dem ich eine Karte aufgedeckt habe, in der es um sexuelle Fantasien ging. Ich habe meinem Mann spontan erzählt, dass ich mir manchmal einen Dreier vorstelle. Mit ihm und einem anderen Typen. In dem Moment ist die Stimmung gekippt und er hat mich gefragt, ob ich mit ihm allein nicht zufrieden bin. Wir haben uns dann wirklich in die Haare gekriegt. Er meinte, ihn setze das unter Druck, wenn ich mir so was vorstelle. Jetzt wissen wir gar nicht mehr, wie wir mit dem Thema umgehen sollen, und ich habe das Gefühl, irgendwas falsch gemacht zu haben.«

Sanjoghta*, 35, und Michael*, 34

Sexuelle Fantasien sind erst einmal Fantasien. Nicht mehr und nicht weniger. Als »mentale Bilder und Gedanken, die für die Person im Wachzustand sexuell erregend oder erotisch sind«, definiert sie der US-Psychologe Justin J. Lehmiller. Sie können beim Sex auftauchen, aber auch, wenn ein Mensch gerade keinen Sex hat. Viele Menschen können sie aktiv herbeirufen, um ihre sexuelle Erregung zu steigern. Manchmal ist es auch umgekehrt, und sie entstehen einfach, wenn jemand sexuell erregt ist.

Lehmiller hat für sein Buch zahlreiche Studien zum Thema ausgewertet. Dabei kommt er zu dem Schluss: Sexuelle Fantasien sind gar nichts Seltenes. Bis zu 97 Prozent der Allgemeinbevölkerung gaben an, sexuelle Fantasien zu haben und diese zu nutzen, um ihr Verlangen zu stimulieren und ihre Erregung zu verstärken.

Oft beeinflussen Impulse von außen, woran Menschen dabei denken. Als der Roman »Shades of Grey« zu einem weltweiten Bestseller wurde, stellten sich mit einem Mal Millionen Menschen vor, wie sie selbst sadomasochistischen Sex praktizierten. Doch das heißt noch lange nicht, dass sie im echten Leben zu Handschellen griffen – geschweige denn, dass sie ihrem Partner oder ihrer Partnerin haarklein erzählt hätten, welche Vorstellungen in ihren Köpfen entstanden waren.

Sexuelle Fantasien sind also völlig normal und nichts, wofür wir uns schämen müssten. Im Gegenteil, sie tun der Lust häufig gut. Für Paare lohnt es sich dennoch zu überlegen: Wie gehen wir mit unseren Fantasien um? Möchten wir sie teilen und mitteilen? Und möchten wir sie überhaupt in die Tat umsetzen?

Die Szene aus meiner Praxis zeigt das ganz gut, finde ich: Als die beiden zu mir kamen, waren sie ziemlich durchgerüttelt. Michael trieb die Sorge um, seiner Frau im Bett nicht zu genügen. Dabei nahm er ganz selbstverständlich an, dass Sanjoghta ihre Dreier-Fantasie auch in die Tat umsetzen wolle. Eine emotionale Gemengelage, aus der wir erst einmal herausfinden mussten.

Der Dreier ist eine sehr geläufige Fantasie, bei Männern wie bei Frauen. Aber die Umsetzung in der Wirklichkeit kann es ganz schön in sich haben. Ich habe die beiden gefragt: Ist der Sex zu dritt überhaupt etwas, was sie tatsächlich erleben will? Michaels Frau hat spontan geantwortet, dass sie darüber eigentlich noch gar nicht konkret nachgedacht habe. Das haben wir dann gemeinsam getan: Wer wäre der Dritte, wo würde das Treffen stattfinden? Im Hotel? Daheim? Beim unbekannten Dritten? Und wie wäre die Choreografie des sexuellen Miteinanders? Über diese konkreten Fragen kam Michaels Frau schnell zu dem Schluss, dass der Dreier kein Wunsch war, der Wirklichkeit werden sollte. Sondern einfach nur Kopfkino, das sie erregte.

Wir haben grundsätzlich über die Frage gesprochen, wie andere Menschen mit sexuellen Fantasien umgehen. Setzen die alles in die Tat um? Michaels Einschätzung: vermutlich nicht. Ich kann das bestätigen. Natürlich kann man Fantasien in die Realität holen, man muss es jedoch nicht. Die meisten Menschen tun es übrigens nicht. Allein durch diese Erkenntnis fühlte sich die Dreier-Fantasie seiner Frau für Michael nicht mehr bedrohlich an.

Ob beide am Ende damit glücklich sind, wenn Fantasien offengelegt werden, sollten sich Paare am besten vor der eigentlichen Kommunikation überlegen

Über Fantasien zu sprechen, kann helfen, Bedürfnisse zu artikulieren, die einer der beiden tatsächlich in die Tat umsetzen möchte. Und das Reden selbst kann schon anregend sein. Nehmen wir mal die Vorstellung, vom Partner oder von der Partnerin in Unterwäsche begrüßt zu werden. Und vorher heiße Nachrichten zu bekommen. Sich dominant oder devot zu verhalten. Viele Menschen erleben es als aufregend, sich solche Szenarien vorzustellen und darüber zu sprechen. Aber ob sie das wollen und ob beide am Ende damit glücklich sind, wenn Fantasien offengelegt werden, sollten sich Paare am besten vor der eigentlichen Kommunikation überlegen. Siehe das Beispiel von Sanjoghta und Michael.

Häufig haben Paare den Reflex, sich alles zu erzählen, vielleicht weil sie glauben, dass es ein Zeichen eines gesunden Sexlebens ist. Doch in jeder Beziehung dürfen Fantasien ungesagt bleiben. In meiner Praxis bitte ich oft Klienten, ihre Fantasie aufzuschreiben. Das Blatt stecken wir in einen Umschlag, der zugeklebt wird. Dann frage ich den Partner oder die Partnerin, was für eine Fantasie wohl im Umschlag des anderen stecken könnte. Ich frage auch nach dem Worst Case: Welche Vorstellungen möchten sie von ihrem Partner oder ihrer Partnerin auf keinen Fall zu hören bekommen? Häufig nennen die Menschen dann so etwas wie Gewaltfantasien oder einen Schuhfetisch.

Die Worst-Case-Frage ist eine Chance für Paare. Denn sie gibt dem Gegenüber, das sich das alles anhört, die Möglichkeit, Fantasien für sich zu behalten. Wenn ich bereits weiß, dass mein Partner etwas gar nicht hören möchte, halte ich einfach den Mund. Und das ist völlig in Ordnung. Falls Ihnen der Partner oder die Partnerin doch einmal mehr erzählt hat, als Ihnen lieb gewesen wäre, hilft es vielleicht, an das alte Lied zu denken: Die Gedanken sind frei – und oft fliehen sie vorbei, ohne je in die Tat umgesetzt zu werden.

Und nun sind Sie dran: Machen Sie ein Gedankenspiel

Wie könnte ein sexuelles Szenario aussehen, das Ihnen Lust bereitet? Überlegen Sie sich Bilder und stellen Sie sich Szenen vor. Sie dürfen gern Ihre sexuelle Lieblingsfantasie nehmen und dazu ein Szenario wie für ein Kino-Drehbuch entwerfen. Wenn Sie mögen, schreiben Sie es auf. Reflektieren Sie danach nur für sich selbst, ob Sie diesen Film drehen wollen oder nicht.

* Namen von der Redaktion geändert

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