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Hirschhausens Hirnschmalz: Sicher ist unsicher

Eckart von Hirschhausen

Neulich las ich eine schockierende Statistik über die Wahrscheinlichkeit, in den letzten Lebensjahren pflegebedürftig zu werden. Sie ist hoch. Sehr hoch. Jeden zweiten Mann trifft es, bei den Frauen sogar drei von vier. Sofort zog ich die Konsequenz: Ich hörte auf, die Studie zu lesen. Denn ich hatte schon eine Ahnung, warum Männer seltener zum Pflegefall werden als Frauen. Bei uns ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass wir direkt zum Todesfall werden.

So wie ich halten es die meisten Deutschen bei diesen Themen – sie wollen es lieber nicht so genau wissen. Zum Beispiel, dass die gesetzliche Pflegeversicherung, in die sie jeden Monat einzahlen, in vielen Fällen nicht die realen Kosten und Bedürfnisse decken wird. Auch ich denke: Mich trifft es nie, und wenn, dann wird es schon nicht so schlimm. Das ist ganz schön optimistisch, rein wahrscheinlichkeitstechnisch. Woher kommt diese Überzeugung?

Das untersuchte vor einigen Jahren die Sozialpsychologin Orit Tykocinski in ihrer Studie "Insurance, Risk, and Magical Thinking". Nehmen wir je nach persönlichem Schutz Risiken unterschiedlich wahr? Oder anders gefragt: Wenn man eine Versicherung abschließt, hat man dann auch mit dem Thema abgeschlossen? Offenbar ja! So hielten Teilnehmer, die man an ihre bestehende Krankenversicherung erinnert hatte, es anschließend für weniger wahrscheinlich, krank zu werden. Umgekehrt erschien es Probanden, denen man im Experiment eine Reiserücktrittsversicherung verweigert hatte, wahrscheinlicher, dass ihnen vor dem Trip noch etwas Schlimmes zustoßen würde.

Psychotest

Wogegen sind Sie versichert?

  1. A) Lebensrücktritt
  2. B) Einbruch der Dunkelheit
  3. C) Versicherungsbetrug
  4. D) alles

Die Idee privater Versicherungen wurde in Italien zur Zeit der Renaissance populär. Vorher hatte man, wenn die Seeleute mit ihren Schiffen zu unsicheren Missionen aufbrachen, für sie gebetet. Mit der Aufklärung kam der Gedanke dazu, man könnte auch eine Art Wette abschließen, bei der man einen sicheren kleinen Verlust (den Beitrag) gegen den möglichen Verlust einer großen Summe (den Schadensfall) abwägt. So rational das erscheint, ein bisschen Beten ist dabei offenbar noch immer im Spiel: Wir betrachten bis heute den regelmäßigen Obolus als eine Art Opfer­gabe – möge er die Rachegötter der Krankentage, der Blech- und Wasserschäden gnädig stimmen!

Wir belächeln abends vor dem Fernseher Naturvölker, die für Regen tanzen und trommeln. Am nächsten Morgen nehmen wir aber im Zweifelsfall lieber einen Schirm mit, denn "dann regnet es ja bestimmt nicht". Erkenntnistheoretisch sind wir nicht viel weiter als die Schamanen, wenn wir glauben, die Wolke schaut genau hin, ob wir einen Schirm dabei haben, bevor sie sich ergießt.

Ich habe seit Jahren schon eine so genannte Lebensversicherung bei einem Anbieter mit den Initialen AM. Auf den monatlichen Kontoaus­zügen steht dafür als Verwendungszweck: "AM LEBEN". Und jedes Mal denke ich, solange ich diese kleine Erinnerung noch lesen und darüber lachen kann, soll mir das ein paar Euro wert sein. Ach ja, und um die Pflegeversicherung kümmere ich mich auch bald. Also demnächst. Wenn es mir im Knie zieht und sich das durch den Wetterumschwung allein nicht mehr erklären lässt.

  • Quellen
Tykocinski, O. E.:Insurance, Risk, and Magical Thinking. In: Personality and Social Psychology Bulletin 34, S. 1346–1356, 2008

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