Springers Einwürfe: Sind Bankangestellte ehrlich?
Die Finanzkrise von 2008 und eine Reihe von Betrugsskandalen haben das Image des internationalen Bankensektors merklich getrübt. Sind Aktienhändler aber tatsächlich tendenziell unaufrichtiger als Angehörige anderer Berufe? Diese Frage warfen in einer viel beachteten experimentellen Untersuchung 2014 drei Verhaltensökonomen der Universität Zürich auf, zu denen der prominente Forscher Ernst Fehr gehörte. Sie fanden heraus: Gut 100 Angestellte einer Großbank mogelten bei einem Münzwurfspiel signifikant häufiger, wenn sie vorher durch einen suggestiven Fragenkatalog auf ihre berufliche Identität hingewiesen worden waren (Nature 516, S. 86–89, 2014).
Die methodisch aufwändige Untersuchung erregte bei ihrem Erscheinen öffentliches Aufsehen, schien sie das Stereotyp des skrupellosen Finanzjongleurs, der um seines Erfolgs willen gern fünf gerade sein lässt, wissenschaftlich zu untermauern. Doch neuerdings übt ein internationales Team um die Verhaltensforscherin Zoe Rahwan vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung scharfe Kritik an der Methode der drei Züricher und zieht deren Resultat grundsätzlich in Zweifel (Nature 575, S. 345–349, 2019).
Eingangs beklagt das Forschertrio die generelle »Reproduzierbarkeitskrise« in den Sozialwissenschaften und betont, wie extrem schwierig es sei, Resultate zu überprüfen, die anhand schwer zugänglicher Testpopulationen – wozu die Banker-Szene gehört – gewonnen wurden. Dennoch gelang es den Berliner Kritikern, mehr als 1000 Personen von drei Kontinenten zu rekrutieren. Die damit gewonnenen Resultate gehen zwar tendenziell in die Richtung der Züricher Studie – Banker sind eine Spur unehrlicher –, fallen allerdings viel diffuser und statistisch kaum signifikant aus. Zudem zeigen sich geografische Unterschiede, welche die Kritiker auf die regional variierende Rechtsprechung zurückführen. Zur Erklärung des schwachen Ergebnisses spekulieren die Berliner darüber, dass sich die aktuelle Moral im Bankensektor infolge früherer Skandale wohl deutlich gebessert habe. Diese Botschaft wurde von einigen Medien auch sofort dankbar und erleichtert aufgenommen.
Aber damit ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Das Züricher Team erhielt im selben Heft Gelegenheit zu einer Replik (Nature 575, E1–E2, 2019). Die Kritik der Kritik ist einigermaßen vernichtend. Wie die Gruppe um Fehr genüsslich aus der Berliner Studie zitiert, wusste ein Drittel von deren Testteilnehmern über die ältere, breit publizierte Studie aus Zürich Bescheid, war also besonders auf der Hut. Von 27 Bankinstituten, welche die Berliner Gruppe anfragte, erklärten sich nur zwei überhaupt zur Teilnahme bereit; alle übrigen äußerten Sorge um ihr Image. Somit fand ungewollt eine scharfe Auslese von Testpersonen in Richtung Wohlverhalten statt. Obendrein wurden diese von vornherein über das Ziel der Untersuchung, den Nachweis beruflicher Unmoral, ins Bild gesetzt, was sie wohl kaum besonders anregte, beim Münzwurf zu mogeln.
Das ganze Hin und Her demonstriert, wie viele Fallstricke sich aufspannen, wenn Sozialpsychologen Menschengruppen testen und damit öffentliche Aufmerksamkeit erregen – und wenn später andere Wissenschaftler versuchen, die Resultate zu überprüfen. Anders als Elementarteilchen oder Tiere können menschliche Versuchsobjekte mitdenken und -lesen. Die dadurch erzeugten Rückkopplungsschleifen erschweren es ungemein, die Grundforderung jeder Wissenschaft einzulösen: dass sich einmal im Experiment gewonnene Erkenntnisse beliebig oft wiederholen lassen.
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