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Star-Bugs - die kleine-Tiere-Kolumne: Aasfresser mit Hang zum Diebstahl

Skorpionsfliegen sehen Furcht einflößend aus, sind aber völlig harmlos. Ihre Ernährung und Brautgeschenke sind allerdings gewöhnungsbedürftig.
Nahaufnahme einer Skorpionsfliege auf einem grünen Blatt. Das Insekt hat einen roten, gekrümmten Hinterleib, der aussieht wie der Schwanz eines Skorpions. Die Flügel sind transparent, am Kopf sitzen zwei lange, schwarze Fühler, der Körper ist gelbschwarz, unscharf angedeutet ist der lange Schnabel der Tiere
Skorpionsfliegen sehen sehr eigentümlich ist, sind aber unverwechselbar.
Insekten und andere Wirbellose finden sich überall um uns herum, doch bis auf Schmetterlinge, Bienen und wenige andere Gruppen genießen sie geringe bis keine Achtung oder gar Sympathien. Dabei ist die Welt der Sechsbeiner und Co mehr als faszinierend. Ein genauerer Blick auf diese Welt der kleinen Tiere in unserer Natur lohnt also. Wir stellen regelmäßig besondere Stars aus diesem Universum vor.

Anfang Juni ist die Insektensaison in vollem Gang. Wer jetzt an blühenden Wiesen und Staudenbeeten entlangschlendert, hört es brummen und summen. Schmetterlinge und Wildbienen hasten von Blüte zu Blüte, Schwebfliegen rangeln sich um die besten Reviere.

Die Mittagssonne knallt – sofern sie scheint –, so mancher Mensch sucht deshalb lieber ein schattigeres Plätzchen, etwa unter Bäumen im Park oder am Waldrand. Hier sind die Sträucher noch feucht vom Regenschauer am Morgen. Im Halbschatten fällt der Blick auf ein eigentümliches Geschöpf: die Mundwerkzeuge lang gezogen wie der Schnabel eines Löfflers, mückenartige, mit dunklen Borsten übersäte Beine. Zwischen den transparenten, schwarz gezeichneten Flügeln ragt ein orangeroter, kugeliger Hinterleib hervor. Keine Frage, auf den Blättern der Hainbuche sitzt eine Skorpionsfliege.

Ihr langer »Schnabel« hilft den Skorpionsfliegen möglicherweise, besser an ihre Nahrung zu gelangen. Die liegt selten als Nektar oder Pollen in Blütenkelchen vor, sondern häufiger im Körper anderer Insekten. Skorpionsfliegen sind Aasfresser. Tote und geschwächte Insekten finden sie in der Streuschicht unter Sträuchern und Bäumen.

Viel bequemer ist aber eine Alternative, die Skorpionsfliegen den Ruf als Kleptoparasiten einbrachte: Sie jagen Spinnen die Beute ab. Dafür hangeln sich Skorpionsfliegen an den seidenen Fäden der Spinnennetze entlang, ohne haften zu bleiben – und vor allem, ohne dass die Spinne sie daran hindert. Beide Beobachtungen sind bis heute ein wissenschaftliches Rätsel. Am im Netz gefangenen Insekt angelangt, nagen die Skorpionsfliegen mit ihren kräftigen Mundwerkzeugen ein Loch in die Beute und fressen ihr Inneres.

Auch Aas von Säugetieren nehmen manche Skorpionsfliegen gern an. Darüber berichtete ein Team um Natalie Lindgren, damals an der Sam Houston State University, 2015 im Fachmagazin »Journal of Medical Entomology«. Sie legten zu Forschungszwecken eine Leiche aus, denn sie wollten wissen, welche Insekten sich wann einfinden. Eine der ersten war Panorpa nuptialis, eine in Nordamerika heimische Skorpionsfliegenart: Sie tauchte bereits innerhalb von 20 Minuten auf – noch vor den Schmeißfliegen.

Daraus schloss die Arbeitsgruppe, dass diese Skorpionsfliegen sich als Indikatorart für die forensische Entomologie eignen. Bei diesem Zweig der Forensik betrachten Insektenkundler etwa das Entwicklungsstadium von Fliegenlarven, um zu schätzen, wie lange eine Leiche bereits an einem Ort liegt. Relevant sind unter anderem die Larven von Schmeiß- und Fleischfliegen. Und nun auch Panorpa-Arten? »Ich kenne keinen Kriminalfall, in dem sie von Bedeutung waren«, schreibt der forensische Entomologe Mark Benecke auf Anfrage. Zumindest in Europa spielen Skorpionsfliegen in der Praxis bislang also keine Rolle.

Schnabelfliegen mit Skorpionsstachel

In Deutschland und Österreich sind die Gemeine Skorpionsfliege (Panorpa communis), die Deutsche Skorpionsfliege (Panorpa germanica) sowie Panorpa cognata, der ein deutscher Name fehlt, am häufigsten. Die drei Arten ähneln sich, unterscheiden sich aber in der Flügelzeichnung und ihrer Körperlänge: P. cognata ist rund 15 Millimeter groß, P. communis bis zu 30 Millimeter, P. germanica liegt mit 20 Millimetern dazwischen.

Gut unterscheiden hingegen lassen sich die Geschlechter, denn nur die Männchen haben den wulstig gebogenen Hinterleib, der an den Stachel eines Skorpions erinnert. Statt eines Stachels finden sich dort jedoch zangenähnliche Gebilde. Damit umklammert das Männchen das Weibchen, um es zu begatten. Dessen roter Hinterleib läuft schmal aus und ist vergleichsweise kurz.

Skorpionsfliegen (Panorpidae) gehören zu den Schnabelfliegen (Mecoptera); und beide Namen sind Programm, wenn es darum geht, die Insekten zu beschreiben. Dennoch: Sie sind weder echte Fliegen noch können sie stechen wie ein Skorpion. Und beim »Schnabel« handelt es sich in Wahrheit um die stark verlängerte Mundpartie des Insekts.

Skorpionsfliegen fliegen in zwei Generationen

Ausgewachsene Skorpionsfliegen konzentrieren sich auf die Fortpflanzung. Bei der Balz präsentieren Männchen ihren auffälligen Hinterleib und »winken« mit den Flügeln, um Weibchen zu beeindrucken. Einige Panorpa-Arten dünsten außerdem einen Lockstoff aus. Zeigt das Weibchen Interesse, überreicht ihm das Männchen als »Brautgeschenk« einige Tropfen seines Speichels. Dabei gilt: Je mehr Speichel, umso länger dauert die Begattung.

Im Juni sind die letzten Tiere der Frühjahrsgeneration unterwegs. Die Weibchen haben bereits Eier im Boden abgelegt, aus denen nach zwei Wochen Larven schlüpfen, die wie Schmetterlingsraupen aussehen. Diese fressen abgestorbene Pflanzen oder tote Insekten. Die Larven häuten sich dreimal, bevor im Juli aus der Puppenhülle neue Skorpionsfliegen krabbeln – die Sommergeneration. »Bivoltin« nennen es Fachleute, wenn in einem Jahr zwei Insektengenerationen unterwegs sind.

Die zweite Generation fliegt bis in den September, bei guter Witterung sogar bis in den Oktober hinein. Dann sterben die erwachsenen Tiere. Aber es liegen bereits neue Larven im Boden und überwintern als so genannte Vorpuppe – bis sich die Erde im April dauerhaft erwärmt und den Skorpionsfliegen das Startsignal gibt, sich zu verpuppen und zu schlüpfen.

Nahaufnahme einer Skorpionsfliege | Skorpionsfliegen gehören zu den Schnabelfliegen. Ihre Mundpartie ist schnabelartig verlängert und die Mundwerkzeuge sitzen am Ende dieses »Schnabels«.

Genomdaten für den Artenschutz

Skorpionsfliegen sind auch interessant für die Forschung. »Sie sind so etwas wie ein Verbindungsglied zwischen den großen Gruppen der Zweiflügler und der Schmetterlinge«, sagt Clémentine Lasne. Sie forscht am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg zur Biologie und Evolution der Geschlechtschromosomen: Im Stammbaum der Insekten säßen die Schnabelfliegen (Mecoptera) quasi zwischen den Stühlen. Sie seien weder Fliege noch Schmetterling. Letztere zum Beispiel haben vier Flügel, wie die Schnabelfliegen. Diptera, also Zweiflügler wie Fliegen und Mücken, tragen die Anzahl ihrer Flügel sogar im Namen. Die Mundwerkzeuge der Schnabelfliegen wiederum ähneln eher den Saugapparaten einfacher Fliegen, während Schmetterlinge einen langen Rüssel haben.

Und noch etwas unterscheidet Schmetterlinge von Zweiflüglern: die Geschlechtschromosomen. Viele Fliegenmännchen haben ein X- und ein Y-Chromosom, die Weibchen zwei X-Chromosomen – wie der Mensch. Bei den Schmetterlingen ist es genau andersherum; und um Verwirrung zu vermeiden, tragen die Geschlechtschromosomen andere Kürzel: Schmetterlingsweibchen haben ein Z- und ein W-Chromosom, die Männchen zwei Z-Chromosomen.

Was ist nun aber mit den Schnabelfliegen? Clémentine Lasne und ihr Team sequenzierten das gesamte Genom von P. cognata und fanden heraus: Männliche Skorpionsfliegen kommen nur mit einem X-Chromosom aus, während die Weibchen zwei X-Chromosomen haben. Lasne erklärt: »Wir nennen einen solchen Genotyp X0.« Bekannt ist dieses System beispielsweise von Libellen und Heuschrecken.

Die Evolutionsbiologin ist davon überzeugt, dass Grundlagenforschung wie ihre dem Artenschutz nutzt: »Die Daten helfen uns, die Evolution und damit auch die genetische Vielfalt der Insekten besser zu verstehen«, sagt sie. Nur was man kenne, könne man schützen. »Wir haben ein weiteres Puzzlestück zum großen Ganzen hinzugefügt.«

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