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Freistetters Formelwelt: Systemrelevante Sonntagsbuchstaben

Welches ist der erste Wochentag eines beliebigen Jahres? Früher war dieses Wissen unverzichtbar. Heute kann man damit immerhin noch auf Partys beeindrucken. Wenn man sich nicht verrechnet.
Foto eines Kalenders, Ausschnitt auf den Januar.

Das Jahr 2021 hat an einem Freitag begonnen. Das fanden viele sicherlich recht praktisch, weil man sich nicht großartig stressen musste und gleich ein Wochenende lang Zeit hatte, um sich von etwaigen Silvesterfeierlichkeiten zu erholen und sich auf das neue Jahr vorzubereiten. Am 3. Januar 2021 zeigt der Jahreskalender das erste Mal einen Sonntag an. Das ist heutzutage keine sonderlich aufregende Erkenntnis. Früher war dieses Wissen aber von großer Bedeutung und im Lauf der Zeit auch das Thema intensiver mathematischer Betrachtungen.

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Der große Mathematiker Carl Friedrich Gauß etwa verfasste einen Aufsatz mit dem Titel »Den Wochentag des 1. Januar eines Jahres zu finden«, der mit folgenden schönen Worten beginnt: »Bezeichnet man den kleinsten positiven Rest einer Größe A nach dem Modulus m durch R:A(mod.m), so lassen sich alle Vorschriften des Gregorianischen Kalenders auf folgende geschmeidige Art darstellen.« Und das, was Gauß da so geschmeidig formuliert hatte, kann man in einer modernen Form – noch ein klein wenig geschmeidiger – so aufschreiben:

A ist in dieser Formel, die für den gregorianischen Kalender gilt, das Jahr, um das es geht, und mit »mod« wird der Rest einer Division bezeichnet. Setzt man A = 2021, dann muss man also 2020 durch 4, durch 100 und durch 400 dividieren, um das Ergebnis zu berechnen. Die jeweiligen Reste betragen 0, 20 und 20, und insgesamt ergibt sich ein Zwischenergebnis von 201, von dem nun noch der Rest einer Division durch 7 berechnet werden muss. Am Ende erhalten wir w = 5, und da in dieser mathematischen Notation die Wochentage beginnend mit Sonntag von 0 bis 6 durchnummeriert werden, steht das für einen Freitag.

Der erste Tag des Jahres 2021 fällt also auf einen Freitag und der erste Sonntag demnach auf den 3. Januar. Das können wir heute natürlich in jedem Kalender und ohne große Rechnerei einfach nachschlagen. Ebenso einfach können wir uns jedes Jahr einen neuen Kalender kaufen und den alten einfach wegwerfen. In der Antike und dem Mittelalter war das aber etwas komplizierter.

Rechnen für die Sonntagsbuchstaben

Vor allem die Kirche hatte ein großes Interesse daran, den Überblick über das Jahr zu behalten. Die Nonnen und Mönche mussten wissen, welche Tage eines Jahres auf einen Sonntag fallen, um die kirchlichen Feste entsprechend zu planen – sie bildeten die Grundstruktur, anhand deren sich sämtliche anderen relevanten Daten und Ereignisse orientierten. Ostern zum Beispiel wird immer am ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond im Frühling gefeiert.

Mittelalterliche Kalender enthielten daher stets die so genannten »Sonntagsbuchstaben«. Die ersten sieben Tage eines Jahres wurden mit den Buchstaben A bis G gekennzeichnet, und diese alphabetische Abfolge hat man dann für den Rest des Kalenderjahres wiederholt. Kannte man durch entsprechende Berechnungen das Datum des ersten Sonntags, wurde der jeweilige Buchstabe als Sonntagsbuchstabe dem Jahr zugeordnet.

Für 2021 wäre das ein C – und man konnte im zugehörigen Kalender sofort ablesen, dass alle anderen mit einem C markierten Tage des Jahres ebenfalls Sonntage sind. Für Schaltjahre, die einen Tag länger sind, gilt dabei eine Besonderheit: Sie bekommen zwei Sonntagsbuchstaben: einen vor dem 29. Februar und einen danach, den man dadurch ermittelt, dass der 1. März den Buchstaben D bekommt. 2020 hatte deswegen die Sonntagsbuchstaben E und D.

Rechnungen dieser Art mögen uns aus heutiger Sicht einigermaßen trivial erscheinen. Sie basieren jedoch auf einer intensiven Beschäftigung mit der Beobachtung des Himmels; mit der Bewegung von Sonne und Mond im Lauf der Zeit. In Kombination mit anderen kalendarisch relevanten Zyklen und Daten konnte der Überblick über das Verstreichen der Zeit ebenso bewahrt wie Vorhersagen über zukünftige Ereignisse gemacht werden.

Mit ein paar Modifikationen kann man die Formel von Gauß auch so ändern, dass man damit den Wochentag eines beliebigen Datums berechnen kann. Spezielle Algorithmen erlauben es, diese Berechnungen komplett im Kopf anzustellen. Das ist zwar im modernen Alltag keine besonders dringend benötigte Fähigkeit. Aber im richtigen Umfeld lässt sich mit ihr durchaus Eindruck schinden.

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