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Die fabelhafte Welt der Mathematik: Kann man die Form einer Trommel hören?

Die Antwort auf diese spektralgeometrische Frage hat etliche spannende Anwendungen – von Spionage bis Quantengravitation. Doch bis heute birgt das mathematische Gebiet etliche Rätsel.
Bunte Linien, die an ein Frequenzmuster erinnern
Stößt man ein Objekt an, lässt sich viel aus dem Klangmuster erfahren. Aber wie viel Information enthalten die Schallwellen wirklich?

»Can one hear the shape of a drum?« – dieser so gar nicht mathematisch klingende Titel eines im Jahr 1966 erschienenen Artikels sollte die nächsten Jahrzehnte der Mathematik entscheidend prägen. Er eröffnete schließlich sogar einen völlig neuen Bereich des Fachs, der sich mit der Geometrie von Klängen beschäftigt. Die so genannte Spektralgeometrie besitzt erstaunliche Anwendungen von interessanten Spionagetechniken bis hin zu einer möglichen Theorie der Quantengravitation. Doch bis heute birgt der Bereich etliche Rätsel.

Das zu Grunde liegende Problem ist durchaus nachvollziehbar: Stößt man mit einem Löffel ein Sektglas an, unterscheidet sich der Klang deutlich von dem Ergebnis, das man erhält, wenn man den Löffel gegen einen Bierkrug haut. Dabei spielt nicht nur die Dicke des Glases eine Rolle, sondern ebenso die Form und Größe des Gefäßes. Das dachte sich wohl auch der polnische Mathematiker Mark Kac (1914–1984). Anstatt zum 65. Geburtstag seines Kollegen George Eugene Uhlenbeck mit einem Löffel und einem Glas eine Rede anzukündigen, befasste er sich lieber mit dem damit verbundenen mathematischen Problem – und widmete Uhlenbeck die Arbeit »Can one hear the shape of a drum?«.

Viele Menschen denken, Mathematik sei kompliziert und öde. In dieser Serie möchten wir das widerlegen – und stellen unsere liebsten Gegenbeispiele vor: von schlechtem Wetter über magische Verdopplungen hin zu Steuertricks. Die Artikel können Sie hier lesen oder als Buch kaufen.

Kacs Veröffentlichung gibt eine unterhaltsame Schilderung der Situation wieder; eine Lösung konnte der Mathematiker allerdings nicht angeben. Bis dahin hatten sich Fachleute bloß dem umgekehrten Problem gewidmet: den Klang einer vorgegebenen Form zu berechnen. Das ist zwar theoretisch immer möglich, erweist sich allerdings oft als sehr kompliziert.

Eine schwingende Saite

Doch Kac interessierte sich für die umgekehrte Situation. Enthält der Klang eines Objekts genügend Informationen, um seine Geometrie preiszugeben? In einer Dimension ist das sehr wohl der Fall. Dafür kann man sich eine einzelne Saite vorstellen, die an beiden Enden fixiert ist und gezupft wird. Die Saite beginnt zu schwingen, bringt die umgebende Luft zum Vibrieren und erzeugt dadurch einen Klang.

Fourier-Theorem | Eine Funktion oder ein Signal lässt sich als Summe zahlreicher Sinus- und Kosinusfunktionen schreiben.

Die Schwingungen einer Saite können auf den ersten Blick recht kompliziert wirken. Doch wie sich herausstellt, handelt es sich dabei um Überlagerungen sinusförmiger Wellen. Das Fourier-Theorem besagt, dass sich jedes Signal – also jede Schwingung – in einfache Sinuskurven zerlegen lässt. Indem man diese einzeln untersucht, lässt sich alles über das gesamte Signal herausfinden.

Grundton und Obertöne | Eine Saite kann mit verschiedenen Frequenzen schwingen. Die niedrigste Frequenz (oben) markiert den Grundton, die anderen Beiträge entsprechen den Obertönen.

Die Sinuswelle mit der niedrigsten Frequenz (und damit der größten Wellenlänge), entspricht dabei dem so genannten Grundton. Alle höheren Töne entsprechen den Obertönen. Zusammengenommen ergeben diese Facetten zum Beispiel den charakteristischen Klang eines Instruments. Kennt man die Länge der Saite, lassen sich problemlos die Frequenzen der Grund- und Obertöne berechnen.

Das Problem ist aber auch andersherum lösbar. Nimmt man den Ton einer schwingenden Saite auf, muss man nur die unterschiedlichen Frequenzen aufschlüsseln und kann daraus auf die Geometrie (in diesem Fall die Länge) der Saite schließen. Die halbe Wellenlänge des Grundtons entspricht dann der Länge der Saite. Je länger sie ist, desto tiefer ihr Grundton und umgekehrt.

Analysis für den Ton einer Trommel

In seiner 1966 erschienenen Arbeit interessierte sich Kac für den Klang einer Trommel, also einer abgeschlossenen, zweidimensionalen Fläche. Er wollte wissen, inwiefern sich der Klang einer kreisrunden Trommel zum Beispiel von einer eckigen unterscheidet. Er erwartete, dass das Ergebnis je nach Form der Fläche, über die man eine Membran spannt, unterschiedlich ausfällt. Und tatsächlich variiert der Klang mit der Größe der Fläche – und auch eckige und runde Trommeln scheinen unterschiedliche Töne zu hervorzubringen.

Die Frage ist aber, ob jede Form einen einzigartigen Klang erzeugt – oder ob es unterschiedliche Flächen gibt, auf denen dieselben Schwingungsmuster entstehen. In einer Dimension ist das ausgeschlossen: Mit elementarer Trigonometrie lässt sich beweisen, dass jede Saitenlänge einen einzigartigen Ton hervorbringt. In zwei Dimensionen genügt die Trigonometrie nicht mehr, man muss härtere mathematische Geschütze auffahren: Es sind Methoden aus der höheren Analysis nötig.

Zweidimensionale Welle
Zweidimensionale Welle | Die Schwingungen einer zweidimensionalen Membran lassen sich ebenfalls in Grundschwingungen zerlegen.

Der Klang eines Objekts ergibt sich aus den Lösungen der so genannten Wellengleichung: Sie beschreibt, wie sich die Schwingungen auf einer Oberfläche ausbreiten. Ganz allgemein handelt es sich dabei um eine Differenzialgleichung, die sowohl zweite Ableitungen in der Zeit als auch im Ort enthält.

Um die Aufgabe etwas zu vereinfachen, helfen sich Fachleute oft mit einem Trick: Ähnlich wie im eindimensionalen Fall zerlegen sie eine Schwingung in ihre Obertöne. Man wendet quasi das Fourier-Theorem in zwei Dimensionen an. Denn dadurch kann man die doppelte zeitliche Ableitung durch eine Konstante ersetzen, so dass nur noch die Differenzialgleichung in den Ortskoordinaten übrig bleibt. Diese Konstante enthält die Grundfrequenzen des Klangs, das so genannte Spektrum.

Kennt man die Form eines Objekts, kann man die entstehenden Schwingungen – und damit das Spektrum – mit Hilfe der Wellengleichung berechnen. Das ist zwar kompliziert, aber prinzipiell möglich. Umgekehrt ist die Situation allerdings wesentlich komplexer. Das verdeutlichen die Worte des Physikers Arthur Schuster, der 1882 schrieb: »Die verschiedenen Töne herauszufinden, die ein schwingendes System aussendet, mag in bestimmten Sonderfällen lösbar sein oder auch nicht. Aber es würde den geschicktesten Mathematiker vor ein Rätsel stellen, das umgekehrte Problem zu lösen und die Form einer Glocke anhand der Töne herauszufinden, die sie aussenden kann.«

Der Klang gibt die Geometrie nicht eindeutig vor

1992, mehr als 25 Jahre nach Kacs Veröffentlichung und 100 Jahre nach Schusters Äußerung, fanden Carolyn Gordon, David L. Webb und Scott Wolpert eine Antwort auf Kacs Frage: Nein, man kann die Form einer Trommel nicht hören. Das Spektrum allein genügt nicht, um die Geometrie eines Objekts zu bestimmen. Die drei Mathematiker präsentieren in ihrer Arbeit ein Beispiel für unterschiedliche geometrische Formen, die dasselbe Spektrum und damit auch das gleiche Klangmuster erzeugen.

Spektrum zweier Trommeln | Obwohl beide Formen (rechts und links) unterschiedlich sind, besitzen sie dasselbe Spektrum: Ihr Klang ist daher gleich.

Auch wenn es nun eine allgemeine Antwort auf Kacs Frage gibt, sind die genauen Details des Problems noch immer unklar. Zum Beispiel, in welchen Situationen der Klang doch genügt, um die Geometrie eines Objekts zu bestimmen. Fachleute mussten extrem lange suchen, um ein Beispiel für unterschiedliche Formen zu finden, die das gleiche Spektrum haben. In vielen Fällen scheint der Klang hingegen einzigartig.

Denn es gibt Formen, die sich eindeutig über ihren Klang definieren: etwa Dreiecke, Trapeze oder Parallelogramme. Generell scheint es für symmetrische Formen möglich zu sein, aus dem Spektrum des Klangs auf die Geometrie zu schließen. Damit stellt sich die Frage, ob die Art von Gegenbeispiel, wie sie Gordon, Webb und Wolpert gefunden haben »die Regel oder die Ausnahme sind. Bisher scheint alles auf Letzteres zu deuten«, schrieben Forschende um den Mathematiker Michael M. Bronstein im Jahr 2018.

Im Sommer 2023 gelang es Forschenden, einen bedeutenden Fortschritt in diesem Bereich zu machen. Sie widmeten sich dabei nicht direkt dem von Kac genannten Problem, sondern einer Vermutung, die der ungarische Mathematiker George Pólya bereits 1954 aufgestellt hatte. Dieser hatte die Anzahl aller Obertöne zu einer Form abgeschätzt, die unterhalb einer bestimmten Frequenz liegen. Doch ihm fehlte ein Beweis, dass die von ihm aufgestellte Gleichung korrekt ist. 1961 konnte Pólya beweisen, dass seine Formel für alle Flächen gilt, die eine Ebene lückenlos bedecken können: also zum Beispiel für Quadrate, Rechtecke, Dreiecke oder Sechsecke.

Lösung erfordert viel abstrakte Mathematik

Ob auch andere geometrische Formen Pólyas Vermutung erfüllten, blieb fast 70 Jahre lang ein Geheimnis. Dem Mathematiker Iosif Polterovich von der Université de Montréal und seinem Team ist es im Juni 2023 jedoch gelungen, die Vermutung für Kreise zu bestätigen: Bringt man kreisförmige Trommeln zum Schwingen, so lassen sich die Anzahl der Obertöne unterhalb einer bestimmten Frequenz mit Polyás Formel abschätzen.

Auch wenn die Lösung solcher Probleme viel abstrakte Mathematik erfordert, sind die dazugehörigen Anwendungen durchaus praktischer Natur. 2013 haben Forschende beispielsweise gezeigt, dass sie anhand des Widerhalls eines einzelnen Tons die Form eines Raums bestimmen können – sofern dieser einem konvexen Vieleck entspricht. Solche Methoden könnten sich also als Spionagetechnik nutzen lassen. Tatsächlich ist dabei aber das umgekehrte Problem noch hilfreicher: Inzwischen können Fachleute Töne aus den Videoaufnahmen einer vibrierenden Chipstüte wiederherstellen – und auf diese Weise optisch ein Gespräch belauschen, ohne die Personen selbst sehen zu müssen.

Ein völlig anderes Anwendungsgebiet untersucht der Physiker Achim Kempf von der University of Waterloo: Er möchte mit Hilfe der Spektralgeometrie eine Theorie der Quantengravitation entwickeln, die alle vier Grundkräfte miteinander vereinigen soll. Die Idee ist dabei, die quantenphysikalischen Schwingungen innerhalb der Raumzeit zu nutzen, um daraus auf die Geometrie unseres Universums zu schließen. Doch das ist eine ganz andere Herausforderung.

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