Direkt zum Inhalt

Springers Einwürfe: Der Preis digitaler Intelligenz

Informationstechnologien verarbeiten elektronische statt materielle Güter. Doch die neuen Datenfabriken schaffen nicht weniger soziale und ökologische Probleme – nur andere.
Computerchip
Auch die modernsten Chips brauchen Ressourcen, und von beidem benötigen KI-Modelle enorm viel.
Ist die Energiewende sauber durchgerechnet? Kann die Forschung wirklich die Zukunft voraussagen? Und widerspricht die Quantenphysik sich selbst? In seinen Kommentaren geht der Physiker und Schriftsteller Michael Springer diesen und anderen Fragen am Rande des aktuellen Wissenschaftsgeschehens nach. Seit 2005 erscheint seine Kolumne »Springers Einwürfe«.

Werden sich durch die umfassende Digitalisierung von Produktion und Konsum nicht viele Probleme ganz von selbst erledigen? Die Verheißungen sind zahlreich: Die voll automatisierte Fabrik schafft körperliche Arbeit ab, das Büro wird papierlos, elektronische Meetings entlasten den Verkehrssektor von Geschäftsreisen und an die Stelle des Massentourismus treten Touren durch virtuelle Welten.

Während die Zukunft erst noch zeigen muss, ob solche Versprechen tatsächlich je eingelöst werden, spitzt sich ein bestimmter Aspekt der Digitalisierung bereits rapide zu. Das Tempo bei der künstlichen Intelligenz (KI) beschleunigt sich so sehr, dass dafür das Modewort Disruption kursiert. Schon zeichnen sich massive Auswirkungen auf Wissenschaft und Wirtschaft ab.

Vorderhand herrscht Goldgräberstimmung. Große Softwareschmieden und Digitalkonzerne investieren Unsummen in konkurrierende KI-Systeme. Die Aktienwerte, die das Zukunftsversprechen der neuen Technik ausdrücken, gehen durch die Decke – oder wenn die hohen Erwartungen kurzzeitig enttäuscht werden, in den Keller.

Die disruptive Entwicklung passiert keineswegs in einer abgehobenen Datensphäre. Die unzähligen Bits und Bytes schwirren nicht durch eine körperlose Geisterwelt; sie tummeln sich in gewaltigen Rechenanlagen, die so viel Strom verbrauchen wie eine mittlere Stadt. Die neuen KI-Fabriken schaffen nicht weniger soziale und ökologische Probleme als die Maschinenhallen aus der ersten industriellen Revolution – nur andere.

Um die erforderlichen Rechenzentren zu speisen und zu kühlen, wird der europäische Strombedarf bis 2030 um mehrere Prozent steigen müssen. Für die besonderen KI-Chips sind seltene Metalle wie Tantal und Kobalt nötig, die oft unter inhumanen Bedingungen im Globalen Süden gefördert werden. Obendrein braucht man für die üblichen Mikroprozessoren, Peripheriegeräte und Datenleitungen enorme Mengen von Silizium, Gold, Kupfer und Aluminium, deren Gewinnung andernorts die Umwelt schädigt.

Eine Gruppe um den Sozialmediziner Mohammad Hosseini von der Northwestern University in Chicago betont die ökologischen Belastungen, die das Training eines Large Language Model (LLM) wie GPT-3 nach sich zieht. Ein Standort in Memphis (US-Bundesstaat Tennessee) verbrauchte dafür allein im Juli 2022 so viel Strom wie 80 000 Haushalte.

Zu den sozialen Begleiterscheinungen des KI-Booms gehört die Rekrutierung von Millionen schlecht bezahlter und sozial unzureichend abgesicherter Arbeitskräfte. Sie trainieren die lernfähigen Systeme und müssen dazu monotone Tätigkeiten ausführen wie Daten sammeln und Ausgaben kontrollieren. Erst wenn sich die aktuelle Goldgräberstimmung ein wenig gelegt hat, werden Interessenvertretungen der Beschäftigten, wie sie einst in den ersten Industrien entstanden sind, eine Chance bekommen.

Das Team um Hosseini plädiert für interdisziplinäre Kontrollgremien. Sie sollen die sozialen und ökologischen Nebenwirkungen der neuen Entwicklung beobachten. Das setzt allerdings eine gewisse Öffnung der betrieblichen Informationspolitik voraus, etwa in Form jährlicher Tätigkeitsberichte. Das Problem ist nur, dass die meisten großen KI-Firmen ihre LLMs als Betriebsgeheimnis behandeln.

Selbst als »offen« deklarierte KI-Systeme sind praktisch unzugänglich und bleiben de facto privater Firmenbesitz. Darauf verweist der Computerwissenschaftler David Widder von der Cornell University in New York gemeinsam mit Meredith Whittaker, der Präsidentin der Signal Foundation, und Sarah West, Kodirektorin des AI Now Institute in New York. Vielmehr trage das Gerede rund um vermeintliche Offenheit eher noch dazu bei, Macht auf wenige Akteure zu konzentrieren. Es könnte die Öffentlichkeit über die wahren Absichten hinwegtäuschen – bis es zu spät ist.

Hinter alldem lauert das Grundproblem der künstlichen Intelligenz: Je besser sie autonom lernt, desto intransparenter wird ihr Innenleben. Solange wir nicht wissen, was sie wirklich leisten kann, sollten wir uns aber wenigstens im Klaren sein, was wir von ihr erwarten. Und welchen Preis uns das wert ist.

  • Quellen

Hosseini, M. et al.: A social-environmental impact perspective of generative artificial intelligence. Environmental Science and Ecotechnology 23, 2025

Widder, D. G. et al.: Why ›open‹ AI systems are actually closed, and why this matters. Nature 635, 2024

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.