Direkt zum Inhalt

Springers Einwürfe: Klimaschutz kann kein Argument gegen Armutsbekämpfung sein

Der Weg aus finanziellem Elend braucht Wirtschaftswachstum, und das belastet die Umwelt. Doch wie sehr? Es stellt sich heraus: Wirksame Entwicklungs- und Klimapolitik lassen sich durchaus miteinander vereinbaren.
Blick auf die Skyline von Mumbai über Slums im Vorort Bandra
Finanzielle Not lässt sich mildern. Wer behauptet, das dafür erforderliche Wirtschaftswachstum würde die globale Umwelt über Gebühr belasten, missachtet die Fakten.

Nach Schätzung der Weltbank leben auf unserem Planeten mehr als 700 Millionen Menschen in absoluter Armut, das heißt, sie müssen Tag für Tag mit weniger als 2,15 US-Dollar auskommen. Jede denkbare Initiative, die diesen Skandal wenigstens mildern könnte, ist mit zusätzlicher wirtschaftlicher Aktivität verbunden – und Wirtschaftswachstum beschleunigt über den Ausstoß weiterer Treibhausgase den Klimawandel. Sind die Menschheitsziele Armutsbekämpfung und Umweltschonung somit unvereinbar?

Nicht unbedingt. Zumindest lässt sich zeigen, dass die ökologischen Kosten, die durch Beseitigen des globalen Elends anfallen würden, in der künftigen Gesamtbilanz keine große Rolle spielen müssen. Also zieht weder die Ausrede, man müsse Armut der Umwelt zuliebe tolerieren, noch gilt umgekehrt das Argument, Entwicklungspolitik dürfe ökologisch rücksichtslos vorgehen.

Die Weltbankökonomen Philip Wollburg, Stephane Hallegatte und Daniel Gerszon Mahler haben sich bei einer im November 2023 publizierten Untersuchung auf die Einkommensverteilung in 168 Ländern gestützt, um aus den Daten Zukunftsszenarien herzuleiten. Sie wollten wissen: Wie viel zusätzliches Wirtschaftswachstum wäre nötig, um die extreme Armut in all diesen Ländern auf unter drei Prozent zu drücken – das heißt nach Weltbankkriterien zu beseitigen?

Selbst wenn die Forscher unterstellten, es werde künftig keine nennenswerten Innovationen hinsichtlich Energiegewinnung und -effizienz geben, kamen sie für das Jahr 2050 auf bloß um knapp fünf Prozent erhöhte jährliche Treibhausgasemissionen gegenüber 2019 – und die Menschheitsgeißel der absoluten Armut wäre besiegt!

Daraus folgt: Klimapolitik und Armutsbekämpfung lassen sich im Prinzip gut unter einen Hut bringen. Manches klappt sogar fast von selbst. Je wohlhabender ein Land wird, desto langsamer wachsen auf Grund modernerer Produktion die Emissionen relativ zum Energieumsatz. Für Indien schätzen die Weltbankforscher, es würde, wenn sein Wirtschaftswachstum weiter steigt wie bisher, das Dreiprozentziel der De-facto-Armutsbeseitigung bereits 2027 erreichen. Nigeria hingegen müsste seine Wirtschaft kräftig ankurbeln, um wenigstens 2050 so weit zu sein.

Der ökologische Preis für das zusätzlich erforderliche Wachstum wäre wie gezeigt erstaunlich moderat – allerdings nur, solange man sich auf absolutes Elend mit 2,15 US-Dollar täglich konzentriert. Steckt man sich ehrgeizigere Ziele, gehen die Emissionen gleich durch die Decke. Für etwas wohlhabendere Länder liegt die Armutsgrenze gemäß Weltbank bei 6,85 Dollar pro Tag. Sollen nach diesem Kriterium weniger als drei Prozent der Menschen arm bleiben, melden die Szenarien für das Jahr 2050 gleich mehr als 45 Prozent Emissionssteigerung pro Jahr.

Wo bleibt bei diesem horrenden Zuwachs das Positive? Die Autoren der Studie haben durchgerechnet, ob sich die CO2-Zunahme drücken lässt, wenn man nicht bloß gegenwärtige Trends fortschreibt, sondern weitere Maßnahmen ins Spiel bringt. Ein hemmender Faktor bei der Armutsbekämpfung ist das Ausmaß der vorhandenen Einkommensungleichheit. Wird sie in den Szenarien geringer veranschlagt, wirkt sich das ebenso günstig aus wie bessere Energieeffizienz und verstärkte Nutzung von Wind und Sonne.

Bereits moderate Verbesserungen dieser drei Faktoren führten zu spektakulären Effekten. Statt der oben erwähnten 5 Prozent Emissionszuwachs für die Tilgung absoluter Armut reichten nun 0,54 Prozent aus, und bei der höheren Armutsgrenze von 6,85 Dollar sank der monströse Wert von 45 Prozent zusätzlicher Umweltbelastung auf immerhin 8 Prozent.

Alles in allem lässt sich das krasseste Elend durchaus aus der Welt schaffen, ohne die globale Umwelt damit über Gebühr zu belasten. Dabei ist die Tatsache, dass allein der schonende Umgang mit der Natur bereits Armutsursachen mindert, noch gar nicht einkalkuliert.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.