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Springers Einwürfe: Patentierte Intelligenz

Maschinelles Lernen braucht gewaltige Rechenleistung und hohe Programmierkunst. Entscheidende Kompetenzen liegen heute in privater Hand.
Schon heute kann KI in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich ähnlich gut diagnostizieren wie Menschen.
Computermodelle durchdringen immer mehr Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens.

Die amerikanische Softwarefirma OpenAI, die das spektakulär mit künstlicher Intelligenz (KI) agierende Dialogsystem ChatGPT schuf, präsentierte sich anfangs als öffentlich zugänglich (open source) und nicht gewinnorientiert (non-profit). Man wolle, so hieß es 2015, »ungehindert von der Notwendigkeit, finanzielle Rendite zu erzeugen« das Ziel verfolgen, »der gesamten Menschheit zu nützen«.

Vier Jahre später definierte OpenAI seinen Unternehmenskern als »gedeckelt profitorientierte Organisation«. Der Zusatz »gedeckelt« besagte, dass der Shareholder-Gewinn das Hundertfache (!) des Aktieneinsatzes nicht überschreiten solle. Die Statusänderung würde es OpenAI ermöglichen, seine »Investitionen in Rechenleistung und Talent rapide zu mehren«.

Diese Anekdote zitiert ein Team um den Wirtschaftsforscher und Informatiker Nur Ahmed vom Massachusetts Institute of Technology als ein Symbol dafür, wie sehr die KI-Forschung in den vergangenen Jahren von privater Finanzierung abhängig geworden ist.

In den USA strömen angehende KI-Spezialisten massenhaft aus den Universitäten in Software-Start-ups. Blieben 2004 noch 80 Prozent der Hochschulabsolventen der akademischen KI-Forschung erhalten, so waren es 2020 nur noch 30 Prozent; die meisten suchten Jobs in kommerziellen Software­laboren.

Damit nicht genug: Der Privatsektor wirbt den Universitäten obendrein etablierte Computerwissenschaftler in rauen Mengen ab. Alles in allem droht dieser Braindrain die öffentlich finanzierte KI-Forschung der besten Talente zu berauben.

In der Folge sind industrielle Computermodelle an Umfang und Rechenpower denjenigen von akademischer Herkunft im Schnitt 30-fach überlegen. Praktisch sämtliche großen KI-Modelle befinden sich heute in privater Hand.

Der Grund? Mit den Worten von Fausts Gretchen: »Zum Golde drängt, am Golde hängt doch alles.« Akademische KI-Forschung ist auf staatliche Finanzierung angewiesen, und die betrug 2021 im Fall der USA sowie der EU jeweils etwas mehr als eine Milliarde Euro. Dem stehen weltweite Ausgaben der privaten KI-Industrie von geschätzten 320 Milliarden Euro gegenüber. Allein was Googles Mutterfirma Alphabet pro Jahr für ihr Subunternehmen DeepMind aufwendet, übersteigt das KI-Jahresbudget der USA oder der EU.

Die enorme Dynamik der privaten Initiative in der Branche ist zwar eindrucksvoll, aber auch riskant. Damit droht die KI allmählich das öffentliche und private Leben, die sozialen Medien und die persönlichen Daten einem mehr oder weniger anonymen Regime zu unterwerfen. Die dringend angesagte Debatte über einen ethischen Rahmen für diesen historischen Vorgang geht ins Leere, wenn die Adressaten hinter dem Schutz ihrer Patente verschwinden.

Auf die Gefahr für den Wissenschaftsprozess selbst weist der Politologe und Datenwissenschaftler Arthur Spirling von der New York University hin. Die Privatisierung der KI zwingt die Forscher, an Stelle frei zugänglicher Software fast nur noch so genannte proprietäre Programme zu nutzen – das heißt solche, die durch Patente, Lizenzbestimmungen oder Copyright als Betriebsgeheimnis der entwickelnden Firma geschützt sind. Eine nicht öffentliche KI stellt aber die Verlässlichkeit und Reproduzierbarkeit sowie die ethische Zulässigkeit der damit gewonnenen Resultate in Frage.

Als leuchtendes Gegenbeispiel für gelungene öffentlich finanzierte Kooperation nennt Spirling die Großforschungseinrichtung CERN. Verdient die Entwicklung tendenziell autonomer Denkwerkzeuge am Ende weniger internationale Koordination als die Suche nach den Bausteinen der Materie?

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