Stammzellspende: Rette mich, wer kann!
Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.
Es gibt wenige Situationen in der Medizin, in denen ein Mensch einem anderen das Leben retten kann – und zwar ganz ohne medizinische Ausbildung. Ein Beispiel dafür ist eine so genannte Blutstammzellspende, denn bei manchen Arten von Blut- und Lymphdrüsenkrebs ist sie die einzige Chance für den Patienten oder die Patienten, geheilt zu werden.
Wenn Krebs die gesunde Blutbildung zerstört
Bei bestimmten Arten von Blut- und Lymphdrüsenkrebs, vor allem bei so genannten akuten Leukämien, werden nicht mehr genügend gesunde Blutzellen gebildet. Das liegt daran, dass bösartige Krebszellen sich am Ort der Blutbildung, dem Knochenmark, so stark vermehren, dass gesunden Blutzellen kein Platz mehr zum Wachsen bleibt. Bei den Krebszellen handelt es sich um veränderte Vorstufen von Blutzellen. Auch wenn sie sich multiplizieren und im Überschuss vorliegen, können die unreifen Zellen die eigentlichen Aufgaben des Bluts – nämlich Infekte abwehren, Sauerstoff transportieren und Blutungen stillen – nicht mehr übernehmen. Dann wird die Situation schnell lebensbedrohlich.
Wenn sich die Krebszellen nicht mit einer Chemotherapie zurückdrängen lassen, besteht in einigen Fällen die Möglichkeit, das kranke Blut bildende System mit einer starken Chemotherapie, die womöglich mit einer Strahlentherapie kombiniert wird, vollständig zu zerstören. In einem zweiten Schritt wird es dann durch das eines Spenders ausgetauscht. In der Medizin wird das als allogene Stammzelltransplantation bezeichnet.
Familienmitglieder und Fremde können Spender sein
Als Spender kommen Personen in Frage, die bestimmte Merkmale von weißen Blutkörperchen mit den Empfängern teilen. Das ist häufig bei Familienmitgliedern der Fall. Aber auch ein Mensch, die nicht mit der erkrankten Person verwandt sind, kann Blutstammzellen spenden.
Um Spender zu werden, können sich Interessierte bei Organisationen wie der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) registrieren. Diese bekommen dann einen Brief mit Wattestäbchen nach Hause geschickt, um eigenhändig Wangenschleimhautabstriche durchzuführen und diese an die DKMS zurückzusenden. Wenn alle Eignungskriterien zum Spender erfüllt sind, werden die Proben auf die besagten Oberflächenmerkmale der Blutzellen untersucht. Diese Informationen werden in einer Datei gespeichert und mit denen von erkrankten Personen abgeglichen.
Gibt es einen Erkrankten, der ähnliche Merkmale hat, werden potenzielle Spender oder Spenderinnen kontaktiert und weitere Untersuchungen durchgeführt. Die Gesundheit des Spenders steht dabei im Vordergrund: Falls er oder sie geeignet ist und spenden möchte, werden schließlich die Blutstammzellen gesammelt. Das ist in den meisten Fällen in einer ambulanten Sitzung möglich, die einer Blutspende ähnelt. Spender spritzen sich zuvor über mehrere Tage ein Medikament, das dazu führt, dass Blutstammzellen aus dem Knochenmark ins Blut wandern. Aus dem Blut können sie anschließend mit Hilfe einer Art Blutwäsche herausgefiltert werden. In seltenen Fällen müssen Blutstammzellen aus dem Knochenmark gewonnen werden. Um sie zu entnehmen, muss der Beckenknochen mehrfach mit einer Nadel angestochen werden. Der Eingriff verläuft dann in Narkose.
Erkrankte erhalten Spende unter besonderen Bedingungen
Die Empfänger erhalten die Spende in Form einer Infusion, nachdem ihr krankes, Blut bildendes System durch eine intensive Therapie zerstört wurde. Die neuen Zellen suchen sich ihren Weg ins Knochenmark und fangen dort an, sich zu vermehren. Das dauert ein paar Wochen. In dieser Zeit ist die Immunabwehr des Patienten oder der Patientin sehr geschwächt, weshalb sie mit besonderen Mitteln vor Keimen geschützt und intensiv überwacht werden. Patientinnen und Patienten befinden sich meist in speziell ausgestatteten Einzelzimmern, die beispielsweise mit Luftfiltern besonders keimfrei gehalten werden. Zudem müssen Mitarbeitende strenge Hygieneregeln beachten, um die Patientinnen und Patienten nicht mit Krankheitserregern in Kontakt zu bringen. Nahrungsmittel werden so zubereitet, dass sie möglichst keine Bakterien oder Viren enthalten. Ein Mangel an roten Blutkörperchen und Blutplättchen kann in dieser Zeit mit Bluttransfusionen ausgeglichen werden.
Trotz dieser Maßnahmen kann es im Rahmen einer Stammzelltransplantation zu schweren und tödlichen Komplikationen kommen. Auch kann sie nicht in allen Fällen die Krebserkrankung bekämpfen. Jedoch bietet die Therapie in bestimmten Fällen die einzige Chance, die zu Grunde liegende Erkrankung zu überleben.
Berührende Geschichte von Spender- und Empfängerpaaren
Spenderorganisationen veröffentlichen regelmäßig berührende Geschichten von Empfängern und Spendern. Wenn beide Seiten einverstanden sind, können sie sich nämlich zwei Jahre nach der Transplantation kennen lernen.
Lange bevor ich wusste, dass ich einmal Ärztin werden würde, hat mich der Gedanke, dass ich einem Menschen mit meinem Blut das Leben retten kann, so sehr bewegt, dass ich mich als Spenderin bei der DKMS registriert habe. In den mehr als 15 Jahren in der Kartei wurde ich noch nie als potenzielle Spenderin angefragt. Sollte der Tag irgendwann kommen, werde ich bereitstehen. Bei meiner Arbeit als Ärztin für Krebspatienten bin ich über jede Chance auf Überleben dankbar, die wir unseren Patienten und Patientinnen geben können.
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