Star-Bugs – die kleine-Tiere-Kolumne: Der Tiger im Chitinmantel
An einem warmen Septembernachmittag huscht ein Dutzend dunkler Insekten über den lehmigen Weg am Waldrand. Einige von ihnen bleiben stehen, beobachten, flitzen weiter; andere fliegen auf, als eine Spaziergängerin näher kommt – nur um gleich wieder zu landen. Dieses Spektakel wiederholt sich einige Male, bis die Person im Wald verschwindet und die Sechsbeiner hinter sich lässt.
Auf den ersten Blick mag man sie für Schmeißfliegen oder Bremsen halten. Es sind aber Käfer, die hier Katz und Maus mit der Wanderin spielen, genauer: Feld-Sandlaufkäfer (Cicindela campestris). Sie wärmen sich am Waldrand in den letzten Sonnenstrahlen des Tages. Stört sie jemand, flüchten sie. Allerdings eher halbherzig, selten fliegen sie weiter als zwei, drei Meter, bevor sie sich wieder niederlassen.
Sandlaufkäfer (Cicindelinae) gehören zur artenreichen Familie der Laufkäfer (Carabidae). Sie sind weltweit verbreitet, mehr als 2900 Sandlaufkäferarten sind bekannt. In Deutschland leben neun Vertreter dieser ein bis zwei Zentimeter großen Käfer.
Heimische Sandlaufkäfer leuchten in fantastischen Farben. Der Feld-Sandlaufkäfer etwa schimmert smaragdgrün mit kupferroten Beinen und Fühlern. Sein Verwandter, der Dünen-Sandlaufkäfer (Cicindela hybrida), erscheint nur auf den ersten Blick dezenter: Das bräunliche Insekt glänzt rot-metallisch und schillert im Licht der Sonne sogar in allen Farben des Regenbogens.
Die dicken Deckflügel aus stabilem Chitin zieren cremefarbene Punkte und Flecken, je nach Art mal mehr, mal weniger. Der schlanke, flache Käferkörper ruht auf sechs gestreckten Beinen, die mit hellen Borsten gespickt sein können. Am Kopf stehen seitlich zwei vergleichsweise große Facettenaugen ab, zwei ausladende Fühler wölben sich über das auffälligste Merkmal der Sandlaufkäfer: die zu gewaltigen Beißwerkzeugen umgeformten Oberkiefer mit nadelspitzen Zähnen.
Zum Jagen gebaut
Im Englischen heißen Sandlaufkäfer »tiger beetles«, also Tigerkäfer. Der Name passt perfekt, denn ihr gesamter Körper – die kräftigen Beine, die ausgezeichneten Augen und die Furcht einflößenden Zangen – erfüllt nur einen Zweck: die Jagd. Sobald die Sonne lichte Waldwege und Steinbrüche, offene Heiden, Brachen und Dünen aufwärmt, kommen Sandlaufkäfer aus ihrem Versteck. Dann jagen sie Insekten, aber auch Spinnen und andere Gliederfüßer, und greifen sie mit den kräftigen Zangen. Die scharfen Zähne durchdringen selbst massive Chitinpanzer mühelos. Einmal gepackt, injizieren die Jäger ihrer Beute Verdauungsenzyme und saugen sie aus.
Bei der Jagd zeigen die Insekten ein typisches Laufmuster: sprinten, verharren, weitersprinten. Stakkatolaufen nennen Fachleute diese Art der Fortbewegung. Der US-amerikanische Entomologe Cole Gilbert fand bereits 1997 heraus: Sandlaufkäfer sind verdammt schnell, so schnell sogar, dass sie beim Rennen kurz blind sind. Deshalb müssen sie zwischendurch immer wieder anhalten, die Beute erneut anpeilen und weiterrennen.
Pfeilschnelle Jäger
Diese kurzen Stopps können sich Sandlaufkäfer locker leisten. Größere Arten erreichen Geschwindigkeiten von bis zu 2,5 Metern pro Sekunde. In einer Sekunde legt so ein Käfer also mehr als das 100-Fache seiner Körperlänge zurück. Zum Vergleich: Ein Gepard, der als das schnellste Landsäugetier gilt, bringt es pro Sekunde auf etwa 30 Meter und damit gerade mal rund 20 Körperlängen. Ihr Tempo macht Sandlaufkäfer zu erfolgreichen Hetzjägern, sogar die geschickten Fliegen können sie erbeuten.
Beim Spurten verlieren Sandlaufkäfer jedoch nicht nur ihre Beute vorübergehend aus dem Blick, Gleiches gilt für kleine Hindernisse. Damit sie beim Jagen nicht ständig mit Steinchen oder Zweigen kollidieren, verzichten die Insekten auf ihren Sehsinn und nutzen stattdessen ihre empfindlichen Fühler. Deren nach unten gebogene Enden tasten den Weg vor dem sprintenden Käfer ab.
Stoßen sie auf einen kleinen Stein, können die Käfer kaum abbremsen, dafür sind sie schlicht zu schnell. Im Bruchteil einer Sekunde hebt sich ihr Kopf leicht an, der Hinterkörper neigt sich etwas und die Tiere überrennen das Hindernis regelrecht. Das fand ein Team der Cornell University in den USA im Jahr 2014 heraus. Es beobachtete die dort heimische Sandlaufkäferart Cicindela hirticollis. Mit verdeckten Augen fanden sich die Käfer gut zurecht. Entfernten die Forschenden jedoch die Fühler, kollidierten die Tiere beim Sprinten mit Dingen, die ihren Weg versperrten.
Kosmopoliten in Bedrängnis
Die Tiger unter den Käfern scheinen ihre Jagdstrategie also perfektioniert zu haben. Dennoch gibt es ein Hindernis, das sie ausbremst: schrumpfender Lebensraum. Zwar finden sich Feld- und Dünen-Sandlaufkäfer an den Küsten von Nord- und Ostsee bis in die Berge Süddeutschlands, sie gelten in ihrem Bestand als ungefährdet. Der Küsten-Sandlaufkäfer Cicindela maritima hingegen lebt nur noch an wenigen Küstenabschnitten, die Rote Liste führt ihn als »vom Aussterben bedroht«. Ob es den Gallischen Sandlaufkäfer (Cicindela gallica) in Deutschland überhaupt noch gibt, ist unklar.
»Es ist schon auffällig, dass nur zwei der heimischen Sandlaufkäferarten nicht auf der Roten Liste bedrohter Käferarten stehen«, sagt Thorsten Aßmann, Professor für Tierökologie an der Universität Lüneburg. Seit 1994 beobachten und kartieren seine Arbeitsgruppe und er kontinuierlich die Insekten der Lüneburger Heide, vor allem in und an den Wäldern. »Wir beobachten einen signifikanten Rückgang bei der Diversität«, sagt der Entomologe. Das gelte zum Beispiel auch für den Wald-Sandlaufkäfer (Cicindela sylvatica).
Dessen Larven benötigen einerseits dichte Heidevegetation als Lebensraum für potenzielle Beute und zugleich rund um ihre Wohnröhren Fläche ohne Bewuchs, um die Beute erfolgreich zu jagen. Diese Kombination jedoch werde immer seltener und mit ihr der Wald-Sandlaufkäfer. »Früher galt diese Käfer als Charakterart der Heide«, sagt Aßmann. »Heute zählen wir im gesamten niedersächsischen Tieflandbereich vielleicht noch vier, fünf Populationen.«
Überdüngte Lebensräume, dezimierte Artenvielfalt
Ein Grund für das Verschwinden vieler Insektenarten, sagt Aßmann, sei der hohe Stickstoffeintrag in ursprünglich nährstoffarme Gebiete. »Hier in der Heide kommen durch menschliche Einflüsse allein mit dem Regen rund 30 Kilogramm pflanzenverfügbarer Stickstoff pro Hektar und Jahr herunter«, sagt er. Und damit ungefähr halb so viel, wie Landwirte heute durchschnittlich als Dünger auf ihren Äckern verteilen. Von den zusätzlichen Nährstoffen profitieren bestimmte Pflanzen, die umso stärker wachsen. Brombeeren zum Beispiel überwuchern freie Sandflächen und karge Trockenrasen, und mit denen verschwinden die Lebensräume für zahlreiche Insektenarten.
Deshalb bringe es nichts, Naturschutzgebiete einfach in Ruhe zu lassen, betont Aßmann. Es brauche ein mittleres Störungsregime. Das heißt etwa abschnittweises Beweiden bis hin zu drastischeren Schritten, etwa dem Plaggen. Dabei tragen Landschaftsschützer mit schwerem Gerät die oberste Vegetationsschicht samt Nährstoffen und Pflanzensamen ab. Dieser nackte Erd- oder Sandboden wächst nur langsam wieder zu und bietet Tieren, die offene Lebensräume benötigen, eine Heimat. Plaggen ist allerdings teuer, Städte und Gemeinden scheuen die Kosten. In der Lüneburger Heide würden schon etliche Maßnahmen greifen und die Artenvielfalt fördern, sagt Aßmann. »Um Insekten wie den Sandlaufkäfer zu erhalten, braucht es aber eine noch striktere Umsetzung.« Das helfe nicht nur seltenen Arten wie Cicindela sylvatica. »Feld- und Dünen-Sandlaufkäfer gelten heute zwar noch als häufig«, konkretisiert der Entomologe, »ihre Bestände schwinden aber trotzdem.« Fehlen geeignete Lebensräume, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die letzten zwei Arten auf der Roten Liste landen.
Mit Frostschutzmittel durch den Winter
Noch kann man diese Sandlaufkäfer regelmäßig bei der Fortpflanzung beobachten. Nach der Paarung im Sommer legen die Weibchen wenige Dutzend Eier, jedes einzeln in kleine Sand- oder Erdmulden. Daraus schlüpfen raupenähnliche Larven, die sofort beginnen, sich eine tiefe Wohnröhre zu graben. Bis zu 40 Zentimeter kann diese senkrecht in den Boden ragen. Bei Gefahr ziehen sich die Larven weit ins Innere zurück, Krallen an den Beinen und eine Art Höcker am Hinterleib erleichtern ihnen das Klettern.
Wie die Imagines, die ausgewachsenen Käfer, jagen die Larven tagsüber. Schon sie haben kräftige Greifzangen. In der Röhre lauern sie auf kleine Insekten. Nähert sich eine arglose Ameise, schnellen die Larven aus der Röhre und packen die Beute. Bis zu zwei Jahre verbringen heimische Sandlaufkäfer als Larven. Zwischendurch vergrößern sie ihre Röhren, denn mit jeder Häutung wachsen sie. Nach der dritten Häutung verpuppen sich die Insekten, meist im Juni oder Juli. Wenige Wochen später schlüpfen fertige Sandlaufkäfer.
Naht die kalte Jahreszeit, ziehen sich Larven wie Imagines in Winterquartiere unter Laub und Streu oder in die Erde zurück. Frost überstehen die Insekten, denn Sandlaufkäfer können ihre Körperflüssigkeiten mit Glyzerin (einer Art Frostschutzmittel) anreichern. So senken sie den Gefrierpunkt und verhindern, dass Eiskristalle in der Hämolymphe entstehen und sie töten – bis die ersten wärmenden Sonnenstrahlen des Frühjahrs die Tiger im Chitinmantel wieder auf die Jagd locken.
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