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Star-Bugs – die Kleine-Tiere-Kolumne: Diese Mücken mögen es kalt

Diese Insekten werden erst aktiv, wenn die Kälte die meisten anderen Sechsbeiner vertreibt. Stiche fürchten muss man aber nicht.
Eine graue Wintermücke sitzt auf einem grünen Blatt. Sie hat lange Fühler, lange, filigrane Beine und einen kleinen Kopf. Der Hinterleib ist gestreift.
Lange Fühler, lange, filigrane Beine, kleiner Kopf – das sind typische Merkmale für Wintermücken. Wer genau hinschaut, erkennt, dass der Hinterleib gestreift ist.

Ein grauer Wintertag 2024 in Bonn. Es ist kalt. Björn Rulik hält einen Kescher aus weißer Gaze in der Hand. Einen halben Meter misst die Öffnung des Fangwerkzeugs. Aufmerksam sucht er die Zweige der Büsche im Garten des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig ab. Er hat es auf Mücken abgesehen, die feuchtes Wetter und Temperaturen um den Gefrierpunkt mögen. »Ein bisschen Frost können die Tierchen schon ab«, sagt der Biologe. Perfekte Bedingungen also.

Trotzdem machen sich die kleinen Sechsbeiner rar. Langsam streicht Björn Rulik den Kescher über eine Hecke. Er schaut hinein: »Da haben wir nur Laub gefangen.« Beim Gestrüpp nebenan hat er Erfolg. Eine der Mücken ist dem hochgewachsenen Mann ins Netz gegangen. Behutsam nimmt er sie zwischen Daumen und Zeigefinger: Eine schmale, feingliedrige, eher dunkle Mücke mit langem Hinterleib, langen, dünnen Beinen und kleinem Kopf. »Wir haben hier ein Männchen«, sagt der Experte für Fliegen und Mücken: »Es hat keine langen Hinterleibsanhänge wie die Weibchen, sondern einen kurzen Knubbel.«

Bei allen Trichoceriden – so heißt die Familie der Wintermücken im Fachjargon – ragen die Flügel über den Hinterleib hinaus. Wenn die Tiere herumsitzen, legen sie die Flügel so übereinander, dass die wie ein einziger Flügel aussehen. Auch die Antennen sind bei allen Wintermückenarten lang: Nach hinten geklappt erreichen die Fühler mindestens das hintere Ende des Rumpfs. Der ist massiv und gibt den sonst filigranen Tieren etwas von einem American-Football-Spieler mit einem Buckel. Ebenfalls auffällig: Die Adern in den Flügeln sind schwarz. Das hilft den Mücken, das Maximum an Energie aus dem spärlichen Wintersonnenlicht herauszuholen. Auch der Körper ist dunkel.

Wintermücke | Wintermücken haben lange Flügel, die über ihren Hinterleib hinausragen. Wenn sie herumsitzen, legen sie die Flügel übereinander. Die dunklen Adern darin helfen ihnen, die Wärme des spärlichen Sonnenlichts maximal aufzunehmen.

Wer genau hinschaut, erkennt die gelblich-braunen Binden zwischen den Ringen des Hinterleibs. Und wer eine Lupe benutzt, entdeckt vielleicht drei schwarze Punktaugen, so genannte Ocelli, zwischen den großen Facettenaugen: Auch sie sind einmalig für diese Mückenfamilie.

An den Adern in den Flügeln des kleinen Insekts zwischen seinen Fingern erkennt Björn Rulik, dass es zu den Trichocera gehört, einer der beiden in Deutschland heimischen Gattungen: »Die zweite Analader hier ist eher lang.« Die Analadern sind die hintersten Adern in den Flügeln der Tiere. Wenn er bestimmen sollte, von welcher der 15 Wintermückenarten der Familie er da ein Exemplar hält, müsste er dem Insekt die Genitalien herausnehmen und sie unter einer starken Lupe betrachten. Denn nur am Geschlechtsteil lassen sie sich wirklich unterscheiden.

Insektenleben auch im Winter

Viele Menschen denken, dass sämtliche Insekten im Winter verschwinden. »Das ist der große Irrglaube«, bekräftigt Rulik. Die Annahme stimme zwar für die meisten Insektengruppen. Mehrere Insektenfamilien haben ihr Leben aber gerade in die unwirtlicheren Monate des Jahres verlegt. Dann stehen ihnen zwar wenig Ressourcen zur Verfügung, dafür ist die Konkurrenz sehr klein.

Bei manchen Wintermückenarten leben die Larven im toten Laub am Boden und fressen Pflanzenreste. Bei anderen sind Exkremente die Kinderstube, etwa Vogelkot oder ein Kuhfladen. »Anders als im Sommer gehört ihnen im Winter der gesamte Haufen«, erklärt Rulik, »und darin können sie sich entspannt entwickeln.«

Um sogar Frost widerstehen zu können, haben die Wintermücken Schutzmechanismen entwickelt. Die Zellen von Tieren und Pflanzen enthalten Wasser. Wenn es gefriert, bildet es Kristalle und dehnt sich aus. Die Zellen platzen. Um das zu verhindern, haben die Wintermücken natürliche Frostschutzmittel im Körper, die Glyzerin ähneln. Damit überleben sie sogar in Gebirgen bis über 3000 Meter über dem Meeresspiegel.

In der sonst mageren Zeit sind die Wintermücken selbst exklusive Snacks für viele Tiere: Sie bereichern den Speiseplan von Vögeln; Spitzmäuse stillen ihren Hunger sogar bis zu einem Viertel mit Wintermücken und anderen Zweiflüglern. Die kleinen Insektenfresser sind im Winter aktiv und müssen ständig fressen, weil ihr Stoffwechsel so viel Energie verbraucht.

Aber wie machen es die Mücken selbst? Normalerweise trinken ausgewachsene Insekten Nektar, um Energie zum Fliegen zu bekommen. Bis auf ganz wenige Ausnahmen fehlen Blüten im Winter. Und dennoch leben die Wintermücken zwei bis drei Wochen lang.

Vieles ist noch unerforscht

Wie sie das schaffen, wissen so ganz genau nicht einmal Insektenforscher wie Björn Rulik. Denn bislang haben sie die Lebensweise der Wintermücken nur selten beobachtet. »Soweit man weiß, nehmen sie als ausgewachsene Mücken allenfalls Flüssigkeit auf«, sagt der Entomologe. Das heißt, die Mücken legen ihre Energievorräte schon als Larven an. Die Reserven müssen reichen, um herumzufliegen, einen Partner zu finden, sich zu paaren und Eier zu legen. Als erwachsene Mücken zehren sie quasi von ihrem »Präwinterspeck«.

Um Weibchen zu finden, tanzen die Männchen der Wintermücken in Schwärmen in der Sonne. Nach der Paarung legen die Weibchen ihre Eier in die Streuschicht. Dort schlüpfen die Larven. Wenn im Frühling die Temperaturen steigen, wird es den Tieren schnell zu warm. Dann legen sie ihre Ruhepause ein, fahren ihren Stoffwechsel herunter, liegen einfach in der Streuschicht herum und machen gar nichts: »Sommerschlaf sozusagen«, in den Worten des Biologen.

Um die Larven wieder zu aktivieren, genügt es nicht, dass die Temperaturen fallen. Die Tiere richten sich ebenso nach der Tageslänge. Wenn die Bedingungen stimmen, beginnt der Nachwuchs wieder zu fressen und zu wachsen. Rechtzeitig im Spätherbst sind sie bereit, sich zu verpuppen. »Sie schaffen es trotz der kühlen Temperaturen, all ihre Larvenstadien und die Verpuppung in zirka 40 Tagen zu absolvieren«, sagt Björn Rulik. Im frühen Winter schlüpfen die ausgewachsenen Mücken.

Der Insektenforscher lässt die Wintermücke wieder fliegen. Sie hat es eilig. »Ich hätte gar nicht vermutet, dass sie so flott sein kann«, sagt er beim Hinterherschauen: »Ich glaube, sie hatte einfach die Nase voll.«

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