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Star-Bugs – die kleine-Tiere-Kolumne: Gut gebrüllt, Ameisenlöwe

Ameisenlöwen wirken auf den ersten Blick unscheinbar. Doch dahinter verbergen sich Taktik, Taktgefühl und starke Klauen.
Zwischen bräunlichem Sand und einzelnen weißen Quarzkörnern öffnen sich die orangebraunen Greifzangen eines Ameisenlöwen. Diese Greifzangen sind mit Stacheln besetzt, der sandfarbene Kopfansatz des Ameisenlöwen weist zahlreiche dunkle Borsten auf.
Aus der Nähe betrachtet wirken die Ameisenlöwen sehr furchteinflößend – wie eine Figur aus einem Horrorfilm.
Insekten und andere Wirbellose finden sich überall um uns herum, doch bis auf Schmetterlinge, Bienen und wenige andere Gruppen genießen sie geringe bis keine Achtung oder gar Sympathien. Dabei ist die Welt der Sechsbeiner und Co mehr als faszinierend. Ein genauerer Blick auf diese Welt der kleinen Tiere in unserer Natur lohnt also. Wir stellen regelmäßig besondere Stars aus diesem Universum vor.

Ein heißer, trockener Julitag weicht der Abenddämmerung. Neben einem großen Stein regt sich etwas: Sandkörner rutschen zur Seite; braune, keulenförmige Fühler und ein spitzer Kopf mit blaugrün schimmernden Facettenaugen schieben sich an die Oberfläche. Bald folgt ein schlanker, beigebraun gezeichneter Körper mit sechs borstenbesetzten Beinen und vier Stummelflügelchen.

Wir sind Zeuge, wie eine Ameisenjungfer aus ihrem im Sand versteckten, kugelförmigen Kokon schlüpft. Das Insekt stolpert über den warmen Sand zum nächsten Grasbüschel. Am höchsten Stängel klettert das Tier bis zur Spitze empor, wo es schließlich verharrt.

Elf Arten von Ameisenjungfern (Myrmeleontidae) zählen Fachleute in Mitteleuropa, weltweit sind es rund 2000. Die nachtaktiven Insekten besiedeln bevorzugt trockene Gebiete, Wüsten und Halbwüsten; in Europa vor allem sandige Dünen. Besonders häufig finden sich in unseren Breiten zwei Arten: die Gemeine Ameisenjungfer (Myrmeleon formicarius) und die Geflecktflügelige Ameisenjungfer (Euroleon nostras). Beide teilen sich mitunter denselben Lebensraum. Im Juli und August klettern die ausgewachsenen Tiere aus ihren Kokons.

Auf den ersten Blick kann man Ameisenjungfern mit Libellen verwechseln. Ihr Körperbau ähnelt sich und beide jagen Fluginsekten wie etwa Fliegen oder Falter. Aber die Familie der Ameisenjungfern gehört einer eigenen Ordnung an: den Netzflüglern, zu denen auch die Florfliegen zählen oder die Schwarzhalsige Kamelhalsfliege.

Larve der Ameisenjungfer | Im Sand ist der Ameisenlöwe perfekt getarnt; mit dem Hinterteil voran gräbt sich die Larve in den lockeren Boden.

Ein kurzes Leben als elegante Jägerin

Nur wer genau hinschaut, entdeckt das rund vier Zentimeter lange Insekt am Grashalm. Die Tarnung ist notwendig, denn noch kann das zarte Wesen nicht fliegen. Im engen Kokon sind die Flügel zusammengefaltet wie ein Fallschirm im Rucksack. Bevor die Ameisenjungfer zur Jagd aufbrechen kann, muss sie ihre Flügel ausbreiten – und zwar so unauffällig wie möglich, damit sie nicht im Schnabel eines hungrigen Vogels landet.

Bis zu einer Stunde pumpt das Insekt Hämolymphe aus dem Körperinneren in das fein verästelte Geflecht der Flügeladern. Stück für Stück entfalten sich die transparenten Flügel, gleich einer Luftmatratze, die langsam mit einem Blasebalg mit Luft gefüllt wird.

Als die Ameisenjungfer das erste Mal mit voll entfalteten Flügeln abhebt, ist es bereits dunkel. Ihre erste Mahlzeit wird vermutlich ein Nachtfalter sein, im Flug erbeutet. Den Rest ihres nur rund 30 Tage kurzen Lebens als Vollinsekt verbringt sie mit Fressen, Partnersuche und damit, einer neuen Generation von Ameisenjungfern das Leben zu schenken.

Aus den Eiern, die das Weibchen im lockeren Sand ablegt, schlüpfen Larven. Die unterscheiden sich deutlich von ihren geflügelten Eltern: Rundlicher, sandfarbener Körper mit sechs stark behaarten Beinen; der flache Kopf trägt außer den dunklen, nur nadelspitzengroßen Augen und kaum sichtbaren Fühlern ein Paar kräftige Kieferzangen. Diese sind fast länger als der gesamte Kopf und an den Innenseiten mit zahlreichen Zähnen und Borsten bestückt. Es wundert nicht, dass die Larve als Inspiration für zahlreiche mystische Kreaturen in Sciencefiction-Filmen herhalten musste, etwa das Menschen fressende Wüstenungeheuer Sarlacc bei Star Wars.

Vor echten Ameisenjungfern muss sich jedoch kein Mensch fürchten. Ihre Jagdstrategie indes ist so außergewöhnlich, dass die Larven der Ameisenjungfern ihr einen eigenen Namen verdanken: Ameisenlöwen.

Nach dem Schlüpfen | Sobald die Ameisenjungfer einen Grashalm erklommen hat, beginnt sie, ihre Flügel zu entfalten.

Mit Sandfallen auf der Jagd

Die meisten europäischen Ameisenlöwenarten verfolgen ihre Beute nicht aktiv, sondern lauern ihr auf. »Der Sand ermöglicht es den Ameisenlöwen, schnell und einfach einen Trichter zu bauen«, sagt David Sillam-Dussès. Der Biologe erforscht an der Sorbonne Université in Paris hauptsächlich das Verhalten von Termiten; er untersucht zum Beispiel, wie diese mittels Pheromonen und »Klopfzeichen« miteinander kommunizieren. Mit seinem französisch-slowenischen Team hat er sich aber auch das Jagdverhalten der Ameisenlöwen genauer angeschaut. Einen Fangtrichter zu bauen, sagt er, sei Teil ihrer Strategie.

Einer festgelegten Choreografie folgend buddelt die Larve eine kegelförmige Grube in den lockeren Sand, beginnend mit einem kleinen Kreis, der immer größer und tiefer wird. »Dafür schleudert sie mit ihren kräftigen Mandibeln und dem flachen Kopf Sandladung für Sandladung aus dem Loch«, erzählt Sillam-Dussès, zunächst nach außen, später weit über den Trichterrand hinaus. Bis zu 30 Zentimeter weit fliegen die Sandkörner, mehr als 20-mal so weit, wie die kleine Larve lang ist. Am Ende verkriecht der Ameisenlöwe sich am Boden des Trichters und wartet. Nur die sichelartigen Fangwerkzeuge und manchmal ein Teil des Kopfes schauen aus dem Sand.

So entstehen ganze Kraterlandschaften. Eine Ameisenlöwenkolonie kann mehrere Quadratmeter mit hunderten Tieren umfassen. Für Ameisen und andere Insekten, die zufällig in so ein »Minenfeld« geraten, beginnt ein Spießrutenlauf – der mitunter im Trichter endet. Dieser ist zwar so stabil, dass er nicht von selbst zusammenstürzt. Krabbelt aber eine Ameise an den steilen Wänden entlang, gibt der Sand nach. »Wie eine Lawine reißen die rutschenden Sandkörner die Beute in den Abgrund«, so Verhaltensforscher Sillam-Dussès. Je kräftiger die Ameise strampelt, um den rettenden Trichterrand zu erreichen, umso schneller kullern die Sandkörner bergab – und mit ihnen das Insekt. Manchmal gelingt es Beutetieren sogar, Halt an den Grubenwänden zu finden. Damit sie nicht entkommen, bewirft die am Boden lauernde Larve die Flüchtenden gezielt mit einer Extraladung Sand und bringt sie so erneut zum Rutschen.

Ameisenjungfer | Die Ameisenjungfer ist fertig zum Abflug; sobald es dunkel ist, geht sie auf die Jagd.

Ameisenlöwen »hören« mit ihren Borsten

Woher aber weiß der Ameisenlöwe, wo die Beute sich befindet? »Ameisenlöwen fühlen die Vibrationen, die eine vorbeilaufende Beute erzeugt«, erklärt Sillam-Dussès. Und zwar über Sensoren an Borsten an den Körperseiten. Die helfen zudem bei der Ortung, indem sie messen, wo es vibriert.

Sobald die Ameise in die Nähe der Fangwerkzeuge gerät, greift der Ameisenlöwe zu. Starre Borsten verankern den flachen Körper fest im Sand, so dass die Larve sogar große Beutetiere überwältigen kann. Mit einer giftigen Injektion betäubt der Räuber seine Beute und saugt sie mit Hilfe spezialisierter Mundwerkzeuge aus. Zurück bleibt eine leere Chitinhülle, die der Ameisenlöwe schwungvoll aus dem Fangtrichter schleudert.

An diesen Überbleibseln zeigt sich, dass der Ameisenlöwe sich nicht nur auf seine namensgebenden Beutetiere beschränkt: Spinnen, Asseln, Käfer, Tausendfüßer und Fliegen werden von der immer hungrigen Larve verzehrt. Bis zu drei Jahre verbringt der europäische Ameisenlöwe als Larve; die Wintermonate übersteht er ohne Nahrung in seinem sandigen Versteck. Irgendwann im Mai oder Juni spinnt der Löwe einen seidenen, mit Sandkörnern besetzten Kokon und wandelt sich im Lauf von etwa vier Wochen zur geflügelten Jungfer.

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