Star-Bugs - die kleine-Tiere-Kolumne: Heimlicher Held mit Hörnern
Es scheint eine undankbare Aufgabe zu sein, den Mist der anderen wegzuräumen. Doch für eine bestimmte Gruppe an Insekten ist das überlebensnotwendig. Der Stierkäfer (Typhaeus typhoeus) etwa findet Dunghaufen absolut dufte und ein Festmahl. Und weil Rehe und Schafe das ganze Jahr über vor sich hin kötteln, räumt und schmaust auch der Käfer ganzjährig – wenn es nicht gerade friert. Das sollen ihm andere Insekten erst einmal nachmachen.
Zuletzt hat der Sechsbeiner sogar eine Auszeichnung erhalten, denn er wurde zum Insekt des Jahres 2024 gekürt. Das verkündete im November 2023 das Kuratorium um den Vorsitzenden Thomas Schmitt, Direktor des Senckenberg Deutschen Entomologischen Instituts in Müncheberg. Man habe damit ein phänomenales Insekt ausgezeichnet, das Menschen für die Vielfalt der Insekten begeistern könne, weil es so spektakulär aussieht, preist Schmitt den Titelträger an.
Woher die imposanten Käfer ihren Namen haben, zeigt sich auf den ersten Blick – zumindest bei den Männchen. Sie tragen drei hornartige Auswüchse am polierten Halsschild. Ihnen verdanken die Stierkäfer ihren Beinamen Dreihorn-Mistkäfer. Links und rechts am Kopf ragen zwei der drei »Hörner« gewaltig empor und erzeugen so das Bild eines Stierkopfs. »Die hornartigen Verlängerungen werden von den Insekten beim Kampf mit Rivalen und zum Schutz ihrer Nistplätze eingesetzt«, sagt Insektenforscher Schmitt. Das mittlere »Hörnchen« ist deutlich kleiner und erinnert eher an einen spitzen Dorn.
Die anderthalb bis zwei Zentimeter großen Insekten gehören zur Familie der Mist- oder Dungkäfer. Wie die meisten Vertreter der zwölf in Mitteleuropa heimischen Mistkäferarten präsentieren sich auch die Stierkäfer in glänzendem Schwarz. Der mächtige Halsschild und die Deckflügel mit ihren tiefen Längsfurchen formen den gedrungenen Körper zu einem Halbrund. Getragen wird dieses von sechs kräftigen Beinen, die mit ihren Zacken und Dornen an Sägeblätter erinnern. Am Bauch wächst dem Käfer ein dichter Pelz, der sich bis zum flachen Kopf fortsetzt und dort in einen struppigen Bart übergeht. Kurze, keulenartig verdickte Fühler ragen unterhalb der Augen aus dem Kopf und schimmern wie diese im Sonnenlicht rötlich-braun. Die Weibchen dagegen protzen weitaus weniger mit Körperanhängen, aus ihrem Halsschild recken sich nur zwei kleine Höckerchen. Geschlechtsdimorphismus nennen es Fachleute, wenn Männchen und Weibchen einer Art sich äußerlich unterscheiden.
Dung sammeln für den Käfernachwuchs
Bei allen Unterschieden: Um ihren Nachwuchs kümmern sich beide Eltern gemeinsam. »Es ergibt durchaus Sinn, dass sich das Männchen an der Brutpflege beteiligt«, sagt Thomas Schmitt. So helfe es, mehr seiner Jungen durchzubringen. Evolutionsbiologisch betrachtet sei das Verhalten deshalb nützlich für die gesamte Käferfamilie.
Diese wohnt unter der Erde: Weibchen und Männchen graben bis zu anderthalb Meter tiefe Gänge in den lockeren Boden lichter Kiefernwälder oder sandiger Heiden. Vom Hauptstollen zweigen zahlreiche Seitengänge ab, die in Brutkammern enden. In solche legt das Weibchen je ein Ei – und nahrhaften Proviant: Dung, den Kot von Pflanzenfressern. Von dem ernähren sich nicht nur die erwachsenen Stierkäfer, sondern ebenso deren Larven. Kaum aus dem Ei geschlüpft, krabbelt der Nachwuchs zum Dungvorrat und findet dort alles, was er zum Großwerden braucht. Rund ein Jahr später verlässt eine neue Generation die Brutkammern.
Mistkäfer räumen auf
Stierkäfer entsorgen in Windeseile den Kot von Kaninchen, Schafen und Rehen. Sie mögen aber auch Kuhfladen und Pferdeäpfel. Stück für Stück tragen sie den Mist in ihre Gänge, um sie dort in Ruhe zu verspeisen. Das ist für den Lebensraum der Käfer überlebenswichtig. Denn sie räumen auf. »Ohne Mistkäfer hätten wir ein riesiges Problem«, so Thomas Schmitt. Die Haufen blieben liegen, und in ihnen könnten sich Insekten massenhaft vermehren, die wir Menschen als Schädlinge empfinden. Stattdessen verschwindet die Hinterlassenschaft in der Erde und die Käfer führen deren Nährstoffe dem Kreislauf wieder zu. Davon profitieren andere Erdbewohner und Pflanzen gleichermaßen.
Was geschieht, wenn Dungkäfer fehlen, zeigte sich im 20. Jahrhundert in Australien. Mit den Neuankömmlingen aus Europa kamen Nutztiere, vor allem Schafe und Rinder. Deren Zahl explodierte geradezu. Heute leben rund 30 Millionen Rinder auf dem Kontinent. Und die produzieren eine Unmenge Kot – den die einheimischen Insekten nicht verwerten konnten.
Australien beheimatet zwar mehr als 500 Mistkäferarten, aber die fressen lediglich Beuteltierkot. Die Kuhfladen sammelten sich also auf den Rinderweiden, verschmutzten die Tiere und die Weiden, verpesteten angrenzende Gewässer und boten Fliegen und parasitären Würmern eine optimale Kinderstube. Mitte des 20. Jahrhunderts startete die australische Forschungsbehörde Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation (CSIRO) das Australian Dung Beetle Project und importierte Mistkäferarten, die sowohl mit den klimatischen Bedingungen als auch mit Rinderdung zurechtkamen. »Das war ein riskantes Unterfangen«, sagt Thomas Schmitt. Schließlich sind zuvor bereits einige solcher Experimente schiefgegangen. Statt Helfern führte der Mensch invasive Arten ein. Im Labor – und unter strengster Quarantäne – testeten die australischen Fachleute, welche Arten passen. Und die neuen Mistkäferarten erledigten ihren Job zuverlässig, nach und nach machten sie die Weiden wieder sauber.
Giftiger Kot tötet die Mistkäfer
Noch droht in Deutschland keine Kotschwemme. Aber den Mistkäfern geht es schlecht. Sie leiden wie viele andere Insektenarten unter dem Verlust ihrer Lebensräume und den schwierigen Bedingungen auf den intensiv bewirtschafteten Äckern.
Und noch etwas setzt ihnen zu: Während Kaninchen und Rehe noch feinsten Dung produzieren, enthalten Hinterlassenschaften von Nutztieren Gift. Landwirtinnen und Halter behandeln vor allem ihre Großtiere wie Pferde und Kühe prophylaktisch mit Insektengiften, etwa mit Wurmkuren. Die machen die Fladen und Köttel zu einem todbringenden Büfett. »Im Sterben der Mistkäfer ist das Insektensterben also besonders greifbar«, sagt Thomas Schmitt. Bereits seit Mitte der 1980er Jahre verzeichnen Fachleute weltweit einen dramatischen Rückgang vieler Mist- und Dungkäfer, schreibt die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. Abhilfe könnte schaffen, weniger Antiparasitika bei Haus- und Nutztieren einzusetzen.
Das fordert auch Insektenforscher Schmitt. Er sieht in dem Stierkäfer einen großartigen Botschafter für alle Kot fressenden Käfer. »Mistkäfer sind wahre Ökosystemdienstleister«, sagt er. Sie recyceln und verteilen Nährstoffe, durchlüften mit ihren Gängen den Boden und räumen den Mist der anderen weg. Und das ist ja eine Aufgabe, die nicht jeder gerne mag.
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