Storks Spezialfutter: E-Fuels? Ernsthaft?
Ich bin ein Gewohnheitstier. Als ich vor mehr als 20 Jahren als Volontär bei einer Regionalzeitung in Brandenburg angefangen habe, war ein eigenes Auto Pflicht, um auch die abgelegeneren Dörfer erreichen zu können. Für die Zeitung arbeite ich schon lange nicht mehr. Aber dem Auto bin ich treu geblieben. Aktuell ist es ein in die Jahre gekommener Kombi mit Verbrennungsmotor. Ich nutze ihn für Recherchereisen aufs Land, für Urlaubsreisen mit der Familie und manchmal für Großeinkäufe. Die meiste Zeit steht er wie fast alle Pkw nutzlos in der Gegend herum. Wenn ich mit dem Auto in der Stadt unterwegs bin, plagt mich immer häufiger ein schlechtes Gewissen. Ich will den Wagen noch so lange nutzen, wie es geht. Ich hoffe, er schafft noch vier bis fünf Jahre! Danach sattele ich auf E-Auto um. Oder auf Carsharing. Jedenfalls werde ich nicht noch mal einen Verbrenner oder Diesel kaufen. Weil sie aus guten Gründen Auslaufmodelle sind.
Daran werden auch die E-Fuels nichts ändern, die Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) gerade promotet, um das von der EU angestrebte offizielle Verbrenner-Aus für Pkw-Neuzulassungen ab 2035 aufzuweichen. Warum? Hier noch mal die wichtigsten Fakten: E-Fuels werden nicht aus Erdöl, sondern aus Wasser und Kohlendioxid hergestellt. Dazu braucht man Strom. Und sofern der aus regenerativer Wind- oder Solarenergie stammt, ist der künstliche Sprit im Prinzip CO2-neutral.
Allerdings, und das ist der Knackpunkt, bleibt die Energieeffizienz des synthetischen Kraftstoffs bescheiden: Schätzungen zufolge liegt sie bei gerade mal 10 bis 35 Prozent. Das heißt, nur 10 bis 35 Prozent der investierten Energie wird auch tatsächlich fürs Fahren genutzt. Bei E-Autos liegt die Effizienz bei etwa 80 Prozent. Mit der gleichen Menge erneuerbarer Energie kann ein E-Auto im Durchschnitt fünf- bis sechsmal so weit fahren wie ein E-Fuel-Auto. Es ist also wesentlich effektiver, den Strom direkt in die Batterie eines E-Autos fließen zu lassen, als mit großem Aufwand daraus E-Fuels zu produzieren, die dann in einem röhrenden Sechszylinder in Hitze und ein bisschen Vortrieb verwandelt werden.
Damit keine Missverständnisse entstehen: E-Fuels werden für die Mobilität von morgen eine zentrale Rolle spielen. Schiffe und Flugzeuge sind auf sie angewiesen, um – wie ab 2035 vorgeschrieben – überhaupt klimaneutral unterwegs sein zu können. Denn die Elektrobatterien sind noch zu groß und zu schwer, als dass sie auch in der Luft und auf dem Wasser eingesetzt werden könnten. Das wird eine Menge erneuerbarer Energie auffressen. Aber für diese Branchen sind E-Fuels alternativlos, für Pkw sind sie »zu schade«, wie kürzlich auf »Spektrum.de« zu lesen war.
In »Storks Spezialfutter« geht der Umweltjournalist Ralf Stork diesen Fragen einmal im Monat auf den Grund.
Für eine Übergangszeit werden die synthetischen Kraftstoffe sowieso auch für den Autoverkehr wichtig bleiben. Nach den Plänen der EU, die das Verkehrsministerium zu torpedieren versucht, sollen ab 2035 keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden. Die Schar der Verbrenner aber, die in den Jahren davor noch auf die Straße gelassen wurden, darf weiter fahren, wenn sie denn mit klimaneutralen E-Fuels betrieben werden. E-Fuels für den Schiffs- und Flugverkehr, E-Fuels für die Pkw-Bestandflotte – die Nachfrage nach dem aufwändig herzustellenden Stoff wird also groß. Nach den Wünschen der FDP würde sie noch größer.
Es gibt keine vernünftigen Gründe, den Verbrennungsmotor nach rund 150 Jahren nicht in Rente zu schicken. Die FDP argumentiert auf ihrer Homepage mit »Technologieoffenheit« für eine »klimaneutrale Mobilität«. Dass er irgendwann in der Zukunft – mit hohem Aufwand – möglicherweise klimaneutral genutzt werden könnte, wird uns bei der Bewältigung der Klimakrise aber eher nicht entscheidend weiterbringen.
Ich will Spaß, ich geb Gas
Wenn künftige Generationen einmal verstehen wollen, warum Politik und Gesellschaft angesichts des Klimawandels weder rechtzeitig noch entschlossen gehandelt haben, können sie sich das drohende Aus für das Verbrenner-Aus als Lehrbeispiel vornehmen. Es zeigt, wie verzweifelt wir an altvertrauten Gewohnheiten festhängen. Und wie wenig wir bereit sind zu akzeptieren, dass der Kampf gegen den Klimawandel mit Einschränkungen einhergehen wird. Wir wollen zwar irgendwie schon, dass der galoppierende Temperaturanstieg eingefangen wird. Wir sehen auch mit Schrecken, wie die Wälder im Trockenstress zu Grunde gehen und wie es im Sommer in den Städten manchmal unerträglich heiß wird. Aber wir wollen eben auch weiterhin genauso im Wohlstand leben wie bisher und mit unseren Benzinern über die Autobahn düsen, möglichst ohne Blick auf unschöne Windkraftanlagen, die unsere klimafreundliche Mobilität ermöglichen. Beides zugleich aber wird nicht funktionieren. Oder, um es mit dem Slogan der Brexit-Gegner zu sagen: You can't have your cake and eat it.
Nach einer aktuellen Umfrage für den ARD-Deutschlandtrend sprechen sich rund zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger gegen ein Aus für Neuzulassungen von Verbrennern ab 2035 aus. Volker Wissing hat also offenbar die Mehrheit hinter sich.
Ich möchte gerne glauben, dass das Umfrageergebnis eher einem spontanen Bauchgefühl entspringt als einer durchdachten Überzeugung. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre ich auch gefühlt gegen das Aus des Verbrennungsmotors. Allein schon, weil ich mir einen gebrauchten Benziner eher leisten kann als ein E-Auto. Aber in zwölf Jahren – bis zu einem angedachten Verbot – wird die Welt völlig anders aussehen. Vor zwölf Jahren war zum Beispiel die deutsche Fußballnationalmannschaft noch ein Team mit echten Ambitionen auf den Weltmeisterschaftstitel! Innerhalb der kommenden zwölf Jahre werden noch sehr viele E-Autos produziert werden. Die Preise werden sinken, und die Zahl der Ladestationen wird rasant steigen. Die übrig gebliebenen Verbrenner dürfen dann gerne ohne mich um die teuren E-Fuels konkurrieren. Und teuer werden sie, denn was fünfmal mehr Strom braucht pro Kilometer, ist auch mindestens fünfmal so teuer.
Die Politik kann es sich jetzt bequem machen und in der Diskussion um den Verbrenner auf den Willen der Mehrheit verweisen. Ehrlicher und verantwortungsbewusster wäre es aber, immer wieder auf die Unbequemlichkeiten, die Kosten und die Notwendigkeit des vor uns liegenden Kampfes gegen den Klimawandel hinzuweisen.
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