Storks Spezialfutter: Es geht um das halbe Land
Im Juli und August legt die Politik traditionell eine Verschnaufpause ein, auch im Bundestag ruht der Betrieb. Auf den Feldern hingegen wird gerade jetzt auf Hochtouren geackert. Roggen und Weizen müssen geerntet werden, die ersten Kartoffeln kommen aus der Erde und in den Supermarkt, dazu heimisches Obst und Gemüse.
Nach den heftigen Bauernprotesten Anfang des Jahres ist es fast ein ungewohntes Bild, so viele Mähdrescher und Traktoren nicht auf der Autobahn, sondern in ihrem quasi natürlichen Umfeld zu sehen. Ist das wieder business as usual oder nur die Ruhe vor dem nächsten großen Proteststurm?
Um zu verstehen, wo sich die Landwirtschaft ein gutes halbes Jahr nach den großen Bauernprotesten sieht und in welche politische Richtung sie steuern könnte, lohnt sich, noch einmal der Rede zu lauschen, die der Präsident des Deutschen Bauernverbands Joachim Rukwied Ende Juni auf dem Bauerntag in Cottbus gehalten hat. Der Deutsche Bauernverband ist eine der einflussreichsten landwirtschaftlichen Interessenvertretungen in Europa mit engen Verbindungen zu anderen Verbänden und in die Politik. Was die Bauern in Deutschland machen, hat also konkrete Auswirkungen auf Europa.
Die wichtigste Erkenntnis: Wenn es so kommt, wie die deutschen Bauern sich das vorstellen und wünschen, wird es in den kommenden Jahren weitere Rückschritte bei Umwelt-, Natur- und Artenschutz geben, in Deutschland und in Europa. Die Revolte gegen Umweltauflagen und Bürokratie ist noch nicht vorbei. Die Bauern geben sich hier ziemlich selbstbewusst.
»Wir haben gemeinsam das Land gerockt«, sagte Joachim Rukwied mit Blick auf die Demonstrationen zu Beginn des Jahres. Die deutschen Bauern, die mit ihren Traktoren durch die Städte fuhren, seien Vorbild und Auslöser für die europaweiten Bauernproteste gewesen, die dann wiederum ungeahnte Wirkung auf die Landwirtschaftspolitik gezeigt hätten.
Erleichterungen auf Kosten der Natur
Zum Beispiel, so erklärt es Rukwied auf dem Bauerntag, seien dadurch »längst überfällige Erleichterungen bei den GLÖZ-Vorgaben« erreicht worden. GLÖZ ist die Abkürzung für »guter landwirtschaftlicher und ökologischer Zustand«. Nur wer sich an die GLÖZ-Vorgaben hält, bekommt von der EU die Agrarsubventionen ausgezahlt. Im April 2024 wurden allerdings einige GLÖZ-Vorgaben entscheidend gelockert. Die für die Biodiversität besonders wichtige Auflage für die Landwirte, vier Prozent ihrer Fläche komplett brach liegen zu lassen, ist weggefallen.
Zufrieden zeigt sich Rukwied auch damit, dass die so genannte EU-Pestizidverordnung, die vorsah, den Einsatz von Pestiziden bis zum Jahr 2030 zu halbieren, auf Grund der Bauernproteste durchgefallen ist.
Das im Juni verabschiedete Renaturierungsgesetz, das von Wissenschaft und Naturschutzverbänden gleichermaßen als Meilenstein für den Artenschutz in Europa gefeiert wurde, ist für Rukwied eine unglückliche Entscheidung. In Ergänzung zum Naturschutz zerstörte Gebiete wiederherzustellen, sei der grundsätzlich falsche Ansatz.
Mit Blick auf Deutschlands Äcker wettert Rukwied gegen das vom Bundestag verabschiedete Düngegesetz, gegen Pläne des Landwirtschaftsministeriums, das Tierschutzgesetz zu verschärfen, und gegen das »Zukunftsprogramm Pflanzenschutz«, das helfen soll, den Einsatz von Pestiziden zu verringern. Nicht einmal das Agrarentlastungspaket, das Anfang Juli im Bundestag verabschiedet worden ist, stellt Rukwied zufrieden.
Das Paket, das von den Bauern als »Päckchen« geschmäht wird, enthält unter anderem Steuererleichterungen für Landwirte, Maßnahmen zum Bürokratieabbau und zusätzliche Fördermöglichkeiten für die Weidetierhaltung auf Grünland. Die Zugeständnisse an die Landwirte seien Lichtjahre entfernt von dem, was die Landwirtschaft wirklich braucht, so Rukwied.
Mit Zuckerbrot, doch ohne Peitsche
Man muss nicht dem Selbstlob der Berliner Ampel-Koalition folgen und das Agrarentlastungspaket als großen Wurf feiern: Die finanziellen Erleichterungen für die Landwirtschaft kompensieren nicht die Verluste durch den Abbau der Dieselsubventionen. Und die angedachten Lösungen zum Bürokratieabbau müssen sich erst mal im Praxistest bewähren.
Richtig ist aber auch, dass die Wunschvorstellungen der Bauern Lichtjahre davon entfernt sind, ein echtes Nebeneinander von produktiver Landwirtschaft und funktionierendem Natur-, Umwelt- und Artenschutz zu ermöglichen.
Um Biodiversität und Naturschutz trotzdem noch irgendwie berücksichtigen zu können (»Klimaschutz, Tierwohl, Artenvielfalt, auch soziale Ausgeglichenheit, Gerechtigkeit, das sind die Leitlinien bei der Ausgestaltung der Agrarpolitik«), wünscht sich der Verbandschef ein höheres EU-Agrarbudget. Mit den zusätzlichen Mitteln sollen dann Landwirte belohnt werden, die sich freiwillig um Natur und Artenvielfalt kümmern. »Der Ansatz muss sein: Anreizsysteme, Honorierung und nicht Ordnungsrecht, nicht Verbote«, heißt es dazu in der Grundsatzrede des Bauernpräsidenten.
Anreizsysteme und Honorierung – das bedeutet, mehr Geld für freiwillig erbrachte Leistungen ohne Kürzung bei den übrigen Subventionen. Angesichts leerer Kassen und der Größe der Herausforderung ist das extrem unrealistisch. Auslöser für die Bauernproteste in Deutschland war ja gerade das Milliardenloch im Bundeshaushalt, das durch Subventionskürzungen gestopft werden sollte. Im Rest von Europa sieht es nicht viel besser aus.
Wo geht’s nun lang?
Ordnungsrecht und Verbote klingt erst einmal böse, meint aber vor allem verbindliche Standards, die eingehalten werden müssen, um EU-Subventionen zu erhalten. Mit dem Argument, dass man auf dem Weltmarkt bestehen müsse, arbeiten Landwirte daran, dass es von solchen Verbindlichkeiten zunehmend weniger gibt. Wenn aber die Standards immer weiter ausgehöhlt werden, ist zu erwarten, dass das System irgendwann zusammenbricht.
Treibt ihre Unzufriedenheit die Landwirte im Winter wieder auf die Straße, dann liegt das vermutlich auch daran, dass ihnen die Politik noch nie einen Weg aufgezeigt hat, wie sie zwischen Weltmarktkonkurrenz und gestiegenen gesellschaftlichen Ansprüchen bestehen können. Der Weg allerdings, den Rukwied in seiner Rede skizziert, auf dem Umwelt und Natur im Zweifel im Straßengraben landen, führt auch nicht zum Ziel.
Äcker und Wiesen, Obst- und Gemüseplantagen machen mehr als 50 Prozent der Landesfläche aus. Nichtbauern haben deshalb ebenso das Recht und die Pflicht zum Mitreden. Sie dürfen sich mit der Zukunft der Landwirtschaft beschäftigen, und sie dürfen auch Ansprüche an die Produktionsbedingungen stellen. Diese Erkenntnis ist nicht neu, doch sie ging unter dem lauten Motorenlärm der Treckerdemos und dem Beifall einer ampelmüden Bevölkerung schnell unter. Für eine zukunftsfähige Gesellschaft wäre es wünschenswert, wenn sich das in der nächsten Protestrunde ändert.
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