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Storks Spezialfutter: Keine Kohle, aber konsumieren

Für wenige Cent Aufpreis gibt es das Label »klimaneutral« obendrauf. Warum die Kompensationszahlungen ein fauler Trick sind, erklärt unser Kolumnist Ralf Stork.
Flugzeug im Wald
Grüner fliegen geht leider auch mit CO2-Ausgleich nicht. Viele Zertifikate erweisen sich als wirkungslos, weil die versprochenen Umweltmaßnahmen nicht ergriffen werden.

Wenn etwas zu schön klingt, um wahr zu sein, dann ist es häufig genau das: schön, aber nicht wahr. Unwahr also. Eine dieser zu schönen Geschichten geht so: Trotz Klimawandel und knapper werdender Ressourcen müssen wir unseren Lebensstil nicht ändern. Können weiter ohne schlechtes Gewissen konsumieren, shoppen gehen und in den Urlaub fliegen. Das Zauberwort heißt CO2-Kompensation. Es ist das Versprechen, dass das klimaschädliche CO2, das nun mal bei unserem Konsum anfällt, zu 100 Prozent ausgeglichen werden kann. Durch das Pflanzen von Bäumen etwa, die ja, wenn sie groß genug sind, jede Menge CO2 speichern können.

Das Mineralölunternehmen Shell zum Beispiel legt werbewirksam nahe, dass im Grunde klimaneutrales Benzin aus seinen Zapfsäulen strömt. Für einen Aufpreis von drei Cent je Liter können Tankende »die CO2-Emissionen, die bei der Fahrt mit dem Auto durchschnittlich entstehen, ausgleichen«, heißt es auf der Shell-Homepage. Für 1,20 Euro Mehrkosten bei einer 40-Liter-Tankfüllung kann ich also mit 200 Sachen über die Autobahn kacheln, ohne dass mich ein schlechtes Gewissen beim Fahrspaß stört.

Na, das klingt doch zu schön, um wahr zu sein! Und ja, ist es auch. Shell gibt an, mit den drei Cent pro Liter Waldschutz- und Baumpflanzprojekte in Peru und Indonesien zu unterstützen. Das CO2 aus Ihrem oder meinem Auspuff soll dann mit CO2-Einsparungen verrechnet werden, die mittels Neupflanzungen oder dem Schutz bestehender Wälder erreicht werden. Für solche Forstprojekte gibt es Zertifikate, die die Einsparung des Klimagases bescheinigen und beispielsweise von Shell gekauft werden können.

Die Wochenzeitung »Die Zeit« und der britische »Guardian« haben vor Kurzem berichtet, dass bis zu 90 Prozent solcher Zertifikate, die von dem Unternehmen Verra angeboten werden, vermutlich wertlos sind. Ein Beispiel zu einer Berechnungsgrundlage: Ein Unternehmen oder eine Privatperson besitzt Wald in einer Region, in der es immer wieder zu Kahlschlägen kommt. Für das Waldgebiet können CO2-Zertifikate ausgegeben werden. Die Besitzer müssen nur versichern, dass sie ursprünglich den Plan hatten, den ganzen Wald abzuholzen, aber nun davon Abstand genommen haben. Plötzlich wird so eine riesige Menge eingespartes CO2 generiert, obwohl sich an der Zahl der vorhandenen Bäume rein gar nichts geändert hat.

Zu den Unternehmen, die über Verra vermittelte Zertifikate gekauft haben, gehören neben Shell auch Disney, Gucci und Easy Jet. Andere Anbieter von Zertifikaten wie zum Beispiel Climate Partner sind wegen zweifelhafter Vergabepraktiken ebenfalls in die Kritik geraten. Die Verbraucherorganisation foodwatch fordert nun gar ein Komplettverbot von »Klimawerbung« wegen Irreführung. Kein Klimasiegelanbieter mache den Lebensmittelherstellern konkrete Vorgaben zur CO2-Reduktion.

Denn selbst wo tatsächlich Bäume neu gepflanzt werden, sind Aufforstungsprojekte mit Vorsicht zu genießen. Zum einen gehen die Setzlinge in horrender Zahl wieder ein, die versprochene Kohlendioxid-Aufnahme findet also gar nicht statt, und zum anderen dauert es eben viele Jahrzehnte, bis die Bäume ihr Speicherpotenzial voll ausbilden. Die globalen CO2-Emissionen müssen aber jetzt schon verringert werden.

»Das Versprechen von klimaneutralen Produkten oder der kompletten CO2-Kompensation ist immer eine Luftnummer«, sagt auch Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Angenommen, in einem Drogeriemarkt stünden neu entwickelte Shampoos von drei verschiedenen Unternehmen, erklärt Resch: Das eine Unternehmen investiere in nachhaltige regionale Inhaltsstoffe, wodurch das Produkt vielleicht 50 Cent mehr koste, das zweite in eine biologisch abbaubare Verpackung, die vielleicht 30 Cent mehr koste. Das dritte Unternehmen verändere gar nichts am Produkt, stecke jedoch einen Cent pro Flasche in ein Zertifikat. Dann könne es mit dem Label »klimaneutral« werben.

»Das Unternehmen, das so gut wie nichts investiert hat, aber mit Klimaneutralität wirbt, findet vermutlich am meisten Käufer und Käuferinnen für sein Produkt«, sagt Resch. Die CO2-Kompensationsversprechen führten in die falsche Richtung. Statt eines echten Wettbewerbs der Produkte um mehr Nachhaltigkeit gebe es nur einen Wettbewerb um das schönste Logo.

Durch Akzeptanz zur Änderung

»Meiner Meinung nach ist das System der CO2-Kompensation nicht reformierbar«, sagt Jutta Kill, Biologin und Autorin, die zur Rolle von freiwilligen Zertifizierungssystemen recherchiert. Auch von den CO2-Kompensationen für den Privatgebrauch hält sie nicht viel. »Wenn ich mal fliegen muss, kompensiere ich den Flug grundsätzlich nicht über einen der vielen CO2-Rechner. Lieber laufe ich durch meinen Kiez und rede mit den Menschen über den Klimawandel. Oder ich spende für eine Naturschutzorganisation, da kommt das Geld dann ohne Zwischenhändler an«, sagt Kill.

Wie die DUH findet sie es im Grundsatz gut, wenn sich Unternehmen für Nachhaltigkeit und Naturschutz einsetzen. »So ein Engagement ist wichtig! Die Unternehmen sollten es nur nicht mit ihren Kohlendioxidemissionen in Verbindung bringen und auf diese Weise versuchen, Verantwortung für ihre Emissionen abzugeben«, sagt Kill.

Wer fliegt, mit dem Auto fährt und konsumiert, vergrößert seinen CO2-Abdruck. Und kein Kompensationszertifikat kann daran etwas ändern. Die Akzeptanz dieser bitteren Wahrheit ist Voraussetzung dafür, dass wir unseren Konsum zurückfahren und unseren CO2-Abdruck wirklich verringern.

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