Storks Spezialfutter: Mit dem Trecker in die falsche Richtung
In »Storks Spezialfutter« geht der Umweltjournalist Ralf Stork diesen Fragen einmal im Monat auf den Grund.
Zwischen protestierenden Bauern und den Klimaaktivisten der Letzten Generation gibt es mehr Gemeinsamkeiten, als den Gruppen lieb sein dürfte: Beide haben als Mittel des Protestes den Verkehr lahmgelegt. Beide fühlen sich zu den Protesten regelrecht gezwungen. Die Letzte Generation sieht wegen des Klimawandels das Überleben der Menschheit als Ganzes in Gefahr, ihre Aktionen sind der Versuch, die lethargische Bevölkerung irgendwie aufzurütteln. Auch die Bauern haben ein nachvollziehbares Motiv: Zumindest vordergründig ging es ihnen ursprünglich einmal um die aus ihrer Sicht existenzgefährdenden Sparmaßnahmen der Bundesregierung.
Beiden Gruppen ist ein Hang zur Selbstgerechtigkeit nicht fremd. Vermutlich lappen auch deshalb die Protestformen mitunter ins Radikale. Beide Gruppierungen agieren in einem internationalen Kontext. In vielen europäischen Ländern gehen sowohl die Bauern auf die Barrikaden als auch die Klimaaktivisten der radikaleren Fraktionen. Bei beiden droht über die öffentlichkeitswirksamen Proteste manchmal das konkrete Anliegen etwas in Vergessenheit zu geraten.
Oder können Sie aus dem Stegreif sagen, was die Bauern genau mit ihrem Protest inzwischen erreichen wollen?
Unterschiede gibt es natürlich auch: Die Letzte Generation kommt vielleicht auf 1500 aktive Unterstützerinnen und Unterstützer, die Landwirtschaft ist ein Wirtschaftszweig mit mehr als 500 000 Beschäftigten. Und während die Blockaden der Letzten Generation von großen Teilen der Bevölkerung grundsätzlich abgelehnt wurden, ist das Verständnis für die Blockaden der Landwirte ungleich größer.
Sympathie für Blockierer
Die öffentliche Meinung über die Bauern hat sich auch dann nicht grundlegend geändert, als sie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in Schlütsiel bedrängten oder das Treffen des Grünen-Kreisverbands im Bamberger Land blockierten oder den politischen Aschermittwoch der Grünen in Biberach oder den Besuch von Grünen-Chefin Ricarda Lang in Magdeburg. Oder als sie verschiedenen öffentlich-rechtlichen Sendern und Druckereien Besuche abstatteten, weil die Landwirte mit der Berichterstattung der Medien nicht so zufrieden waren. Selbst dann nicht, als Bauern auf der B 5 östlich von Berlin Mist und Gülle auf die Straße kippten und so mehrere Unfälle mit Verletzten verursachten.
Die Letzte Generation stellt auf ihrer Internetseite übrigens klar, dass alle an ihren Aktionen Beteiligten sich gewaltfrei und respektvoll zu verhalten haben. Etwas überspitzt kann man also formulieren, dass ein Unterschied zwischen Letzter Generation und Bauern die Einstellung zur Gewalt ist. Die eine Gruppierung lehnt sie kategorisch ab, die andere nicht.
Der Fairness halber muss man ins Feld führen, dass eine so große Gruppe wie die Bauern nicht so leicht zu disziplinieren ist wie die ungleich kleinere Letzte Generation. Der Bauernverband inklusive der betroffenen Landes- und Kreisverbände hat sich auch klar von den genannten Übergriffen distanziert.
Ein grundlegendes Problem der Bauernproteste bleibt trotzdem: Die Gruppe der Demonstrierenden ist unüberschaubar groß und heterogen, die Liste der Forderungen ist lang und vielfältig. Das macht die Proteste anfällig für Eskalationen. Bei gewerkschaftlich organisierten Streiks sind die Forderungen klar definiert. Gestreikt wird so lange, bis diese spezifischen Forderungen erfüllt sind oder ein gangbarer Kompromiss gefunden ist. Die Bauernproteste kommen mir dagegen vor wie eine Rebellion gegen das System. Das macht die Proteste auch anschlussfähig für Querdenker, Rechte und Wutbürger.
Forderungen, Überforderungen
Inzwischen gehen die Forderungen ohnehin weit über den Stopp der Agrardiesel-Subventionen hinaus, der die Protestlawine ursprünglich lostrat: Es geht um weniger Bürokratie, höhere Steuerentlastungen, die Wiederherstellung echter Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der EU und einen Auflagenstopp für die Landwirtschaft. Andere Verbände fordern auch noch den Abschuss von Wölfen, das Ende von Freihandelsabkommen und der Düngeverordnung. Da wird dann auch schon mal in Abrede gestellt, dass das wissenschaftlich vielfach belegte Insektensterben tatsächlich etwas mit der Intensivierung der Landwirtschaft zu tun haben könnte. Bei der Vielzahl der Forderungen ist es gar nicht so leicht zu sagen, unter welchem Umständen die Bauern eigentlich wieder von ihren Protesttreckern runterklettern wollen.
Auch, wie eine Rücknahme der gesetzlich verankerten Auflagen überhaupt vonstattengehen sollte. Es gibt solche Vorschriften unter anderem in den Bereichen Gewässerschutz, Pflanzenschutz, Tierschutz und Düngemittelverordnung. Die Auflagen sind der Versuch, in der Landwirtschaft höhere Umwelt- und Naturschutzstandards durchzusetzen. Ein Auflagenstopp wäre also so etwas wie eine bäuerliche Konterrevolution auf Kosten der Natur.
Grundsätzlich habe ich Verständnis dafür, dass Landwirte unzufrieden sind. Ihre berufliche Situation ist schwierig: Der Job ist hart, in Europa gibt es höhere Auflagen als in vielen anderen Ländern, das ist ein Wettbewerbsnachteil. Molkereien und der Einzelhandel zahlen zu wenig für landwirtschaftliche Erzeugnisse, und der Klimawandel mit steigenden Temperaturen, mit Starkregenereignissen und Dürre ist eine Realität, von der die Landwirte als Allererste betroffen sind. Aber gerade Letzteres zeigt doch: Landwirte sind Naturwirte, sie brauchen eine gesunde Natur, um mit ihr zu wirtschaften. Dass ausgerechnet die Rücknahme jener Maßnahmen, die die Landwirtschaft umweltfreundlicher, klimaresilienter und damit auch zukunftsfähiger machen, die Lösung sein soll, will mir partout nicht einleuchten.
Die Regierung sollte vor den Treckerblockaden nicht einknicken. Ernst nehmen sollte sie die Unzufriedenheit der Bauern aber in jedem Fall. Wenn die deutsche Politik wirklich und ernsthaft einen Umbau der Landwirtschaft unter ökologischen Gesichtspunkten erreichen will, dann sollte sie ein stimmiges Bild entwerfen, warum sie eine solche Transformation für nötig hält und wie diese gelingen könnte. Und sie sollte dieses Bild klar kommunizieren, auch an die wütenden Männer und Frauen in ihren Traktoren. Das würde dann vielleicht auch ein bisschen gegen die Unzufriedenheit helfen.
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